„Fachliteratur“ im Posthof

Die Simmerings zu Gast in Borken-Kerstenhausen
BORKEN-KERSTENHAUSEN. „Zuhause bei den Simmerings“ heißt das aktuelle Programm des Quartetts, das gestern Abend im Posthof nur zu dritt auftreten konnte. Die Simmerings sind auch reduziert schnell überall zu Hause. Sie bringen alles mit: ihre Instrumente, schöne Stimmen, Bücher, Noten und eine heitere Gelassenheit.

Rund 50 Besucherinnen und Besucher waren in den ländlich-gemütlichen Veranstaltungssaal der Familie Lux im Borkener Stadtteil Kerstenhausen gekommen. Die Erwartungen nach einem interessanten, kurzweiligen, amüsanten und hintergründig-feinsinnigen Abend wurde nicht enttäuscht. Gelesen wurde aus zeitgenössischer Literatur, gesungen wurden dazu Lieder aus der Simmering-Feder von Thomas Frankfurth. Die Simmerings sind Bettina Gerland, Eckhard Huneck, Thomas Frankfurth und Sandra Bürger, die krankheitsbedingt nicht in die Tasten greifen konnte.

Liebe, Magie und Aral-Tankstelle

Der Abend begann literarisch mit „Liebe und Magie“ von John Burnside und „Herkunft“ von Saša Stanišić, der als Bosnier in Heidelberg großgeworden ist und von einer Aral-Tankstelle im Stadtteil Emmertsgrund zu erzählen weiß. Die Tanke wurde gelegentlich überfallen und die Kinder der Aral machten Ausflüge ins Völkerkundemuseum. Man war stolz auf die Uni und die Verschonung vor Bomben im Krieg. Die Texte sind sorgfältig gewählt und haben stets etwas Ernstes und Komisches zugleich, schließlich stets etwas Verblüffendes. Manchmal offenbaren sie einfach genau die Lebensweisheiten, die uns zum gerade noch gefehlt haben: „ich habe den Garten umgegraben, du wolltest gern ein Beet. Zu doof, dass wir Oktober haben …“

Das Wort zu Hause oder auch Heimat kommt in vielen Liedern vor: „Nachhaus“, „Komm doch heim“, „Heimat in einem Lied“, „Zuhause“, „Heimat“. Spannend wird es immer in den asynchron zum Thema gewählten Titeln: In der „Bar jeglicher Vernunft“ ist – wie in jeder Bar – der schönste Platz an der Theke. Die Gäste erfahren, dass der lactoseintolerante Milchmann aus der Verzweiflung nicht mehr herauskommt. Die veganen Kannibalen sind hier in geschlossener Gesellschaft bei Wurst vom Bauernhof zu Gast. Gelesen wird über Oma Martha (Marco Göllner) und ihre Heimat oder den Markisenmann (Jan Weiler)

Apfelshampoo, Panzerband und Shell Tankstelle

Es gibt ein Mitsingstück für die, die wollen. Es will niemand. Ein Klassiker der „Sprech- und Singgemeinschaft“ ist das Lied Apfelshampoo. Es geht um Apfelkuchen, Apfelgelee, eben Apfelshampoo oder doch um Apfel Helene. Oder was die Birne? Und, huch! Eingemachte Mirabellen … Vea Kaiser erzählt vom toten Willi, der auf Reisen geht, um in Montenegro begraben zu werden. Diesmal ging es um eine Shelltankstelle. „Es gibt Redebedarf!“

Bei jedem neuen Programm, erzählt Thomas Frankfurth, muss man sich trennen von lieb gewonnenen Texten. So gibt es jetzt ein Lied über Panzerband statt Akkuschrauber. Beides hilft im Haushalt Dinge zusammen zu halten. Selbst Beziehungen haben ein Recht, geklebt zu werden. Man kann auch mal eine vorlaute Klappe zukleben.

Ein Besuch bei den Simmerings zu Hause bildet auch: 10.000 Dinge müllen einen Haushalt zu? Wow! Der Markisenmann – erfährt man – hat Fußbodenheizung im Heizungskeller. Eine soziale Komponente gibt es auch: „Deine Mutter macht sich Sorgen, dass Du Dir Sorgen machst!“ Mutter darf trotzdem nicht kommen, weil so viel von zu Hause erzählt wird bei den Simmerings …

Die Frage nach der Heimat

Über Veränderungsprozesse im dörflichen Leben zur Mittagsstunde las Eckhard Huneck aus dem Buch von Dörte Hansen. „Nach all den Liedern, die ich vermied“, heißt es resümierend, „finde ich Heimat in einem Lied“. Schließlich bleibt immer noch die Frage: „Wie bitte sieht denn Heimat aus? Wo ist Heimat denn zu Haus‘?“ Und die unbeantwortete Preisfrage: „Wenn die letzte Klappe fällt, was kostet heute Nacht die Welt?“

Wo ist eigentlich die Heimat der Simmerings? Die ist schwer einzuordnen in bekannte Kategorien. Um sie zu verstehen, hilft nur, sie anzusehen und anzuhören … (Rainer Sander)