Stadt sucht ökologische Flucht nach vorne
BAUNATAL. Dass sich viele Menschen Mieten nicht mehr leisten können, sehen wir nicht nur im Fernsehen. Es passiert tatsächlich nicht bloß in anderen Städten oder Metropolen, sondern auch in Kassel, Stadtallendorf, Vellmar oder Baunatal. Schlimmer: Eine wachsende Anzahl Menschen findet gar keine Wohnung mehr. Stets, wenn die Nachfrage größer ist als das Angebot, steigt der Preis.
Die Mietpreisentwicklung in Baunatal eilt mit 38 Prozent bereits jetzt dem Bundesdurchschnitt von etwa 25 Prozent deutlich davon. So kritisieren auch (wir) Medien gerne die Ampel-Regierung dafür, dass sie ihr selbst gestecktes Ziel von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr bereits im ersten Planjahr weit verfehlt. Genauso gerne schreiben wir darüber, dass stets neue Flächen versiegelt werden und dass Neubaupläne dem Klimaschutz scheinbar wie ein Geisterfahrer entgegenkommen. Die Wahrheit ist: Es gibt keine Lösung, die nur schön ist und allen gefällt.
Von 400.000 Wohnungen entfallen mindestens 150 auf Baunatal
400.000 Wohnungen, heruntergebrochen auf Nordhessen, bedeuten rund 6.000 davon für die sechs Landkreise und die Stadt Kassel jedes Jahr, allein rund 150 davon für Baunatal. Der Bevölkerungszuwachs im Regierungsbezirk ist kaum anders als im Bundesdurchschnitt. Kassel und Baunatal, so erklärte Baunatals Erster Stadtrat Daniel Jung gestern, liegen leicht darüber. Er rechnet bis 2030 mit einem überdurchschnittlichen Anstieg zwischen 3,5 und 3,9 Prozent. Der Bedarf an Wohnungen ist in Baunatal seit jeher deutlich höher als in anderen Kommunen der Region. Die Arbeitsgruppe Wohnen im Stadtteilzentrum am Baunsberg hat jüngst abgefragt, dass aktuell 100 Wohnungen, die es nicht gibt, vermietet werden könnten, und zwar an Menschen, die bereits jetzt in Baunatal leben. Vieles deutet auf einen Bedarf von über 200 Wohnungen pro Jahr.
Es kann kaum besser werden. Die Gründe sind Zuzug, Zuwanderung, Senioren, die kleinere Wohnungen suchen, ohne deswegen ihre vertraute Umgebung verlassen zu wollen sowie Kinder, die in Baunatal aufgewachsen sind und nach Auszug aus dem Elternhaus weiter in der Heimatstadt bleiben möchten. Arbeitnehmer suchen arbeitsplatznahe Wohnungen, worüber sich auch das Klima freut. Es gibt eine Menge gute Gründe, in Baunatal Wohnraum zu schaffen.
170 Grundstücke können bebaut werden, nur 2 stehen auch zur Verfügung
Die Vorgabe ist, möglichst klimaneutral zu bauen und dabei wenig Flächen zu verbrauchen. Nachverdichtung, also unbebaute Grundstücke im Stadtgebiet zu nutzen, ist das Zauberwort. Auch das, so Bürgermeisterin Manuela Strube, ist Gegenstand von Planungen. So hat die Baunataler Doppelspitze mit der Verwaltung analysiert, dass in Baunatal 170 Grundstücke für eine Bebauung geeignet sind. Von den 170 Eigentümern haben aber lediglich 2 spontan zugesagt, dass sie ihre Grundstücke zur Bebauung freigeben. Die 168 anderen müssten überzeugt oder enteignet werden, wenn den guten Absichten Taten folgen sollen.
Im Innenbereich könnten auch lediglich 5 Hektar bebaut werden. Nach aktuellen Vorgaben Platz für 175 Wohneinheiten (35 WE pro Hektar). Weil der Bedarf deutlich höher eingeschätzt wird, dürften tatsächlich mehr als 20 Hektar benötigt werden. Was tun?
Die Stadt Baunatal hat tatsächlich im Innenbereich in 10 Jahren bereits 400 Wohneinheiten durch Nachverdichtung geschaffen und dabei gut abgewogen zwischen Geschosswohnungsbau und Einfamilienhäusern. Die letzten großen Quartiere im Weißen Feld, dem Graben, dem Ried, an der Moltkestraße, an der Schauenburger Straße und im Holzweg sind nun erschöpft.
15 bis 20 Hektar werden mit der Deutschen Habitat GmbH geplant
Die Stadt plant nunmehr die Erschließung und Gestaltung eines Gebietes zwischen Großenritte, Altenritte und Schauenburg-Elgershausen. Nur dort, so Strube und Jung, lassen sich auf einer Fläche von 15 bis 20 Hektar alle ökologischen und sonst relevanten Vorgaben erfüllen. Selbst hier werden Flächen unbebaut bleiben, weil Frischluftströme oder Gewässerschutz beachtet werden. Ein nicht zu bewältigendes Verkehrsaufkommen, so Daniel Jung, wäre sogar ein KO-Kriterium. Insgesamt könnte sich mit einer weiteren Anbindung an die Landesstraße zwischen Baunatal und Schauenburg tatsächlich sogar eine Entlastung ergeben, die sich Großenritter bereits lange vergeblich wünschen.
Gemeinsam mit dem Projektentwickler „Deutsche Habitat“ (DEUHAB), die bereits ein Neubaugebiet in Schönefeld im Bereich von Flughafen und Tesla realisiert hat, sollen alle wichtigen Faktoren berücksichtigt werden. Es gibt, so Daniel Jung, wenige Büros in Deutschland, die überhaupt einen komplexen, ganzheitlichen Entwicklungsprozess begleiten können. Es soll ein verkehrsarmes Stadtgebiet werden mit CarSharing und guter ÖPNV-Anbindung. Dazu müssen viele Player mitspielen, besipielsweise der NVV und die KVG. Bei dieser Größenordnung, so hoffen die Verantwortlichen, ergibt sich für Volkswagen auch eine Möglichkeit zur Entwicklung von Szenarien für die Mobilität der Zukunft.
Bezahlbarer Wohnraum mit Null-Energiekonzept
Entstehen soll weder eine reine Mehrfamilienhaussiedlung, die wie das nordhessische Manhattan aussieht, noch eine Eigenheimsiedlung, wie sie bisher überall in Nordhessen entstanden sind. Es geht vielmehr darum, ökologisch und klimaschonend bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, möglichst über den bisherigen Standards. Zielvorgabe ist ein Null-Energiekonzept. Standardisierte Planungen und konfigurierte Komponenten sollen dabei helfen. Dazu kommen Kita und seniorengerechtes Wohnen, Nahversorgung, medizinische Versorgung und Infrastruktur.
Trotzdem hat sich eine kleine, aber wahrnehmbare Bürgerinitiative gegründet, der allerdings auch viele Eigentümer angehören, die vermutlich eher ihren Bestand schützen wollen.
Markt der Möglichkeiten für 22. Juli geplant – BI wird eingeladen
Voraussichtlich am 22. Juli soll eine workshopartige Versammlung stattfinden, in der sich alle Beteiligten mit dem, was sie einbringen, vorstellen. Das, so Manuela Strube, schließe ausdrücklich auch die Bürgerinitiative ein, um gleichberechtigt ihre Positionen den Planungen gegenüberzustellen. Es geht, so die Bürgermeisterin, um eine transparente offenen Planung. Weil sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt gar nichts festlegen lässt, ist es auch schwer möglich, mit Animationen zu arbeiten.
Zu guter Letzt: VW zahlt zukünftig so viel weniger Gewerbesteuer, dass keine noch so schönen Träume das Minus ausgleichen könnten, ohne die finanzielle Belastung für die Bürger spürbar nach oben zu schrauben und die Infrastruktur gleichzeitig zu reduzieren. Eine Infrastruktur für 40.000 Einwohner und eine Einwohnerzahl von knapp 30.000 werden sich annähern müssen. (Rainer Sander)
2 Kommentare
Leider haben unsere Politiker in den letzten Jahren auf ganzer Linie Versagt.
Angefangen mit dem Gas Gerd und dann mit der i.M. Erika die ja der Meinung war das wir das Schaffen und jetzt der vergessliche Olaf mit seiner Ampel, leider geht es mit Deutschland rasant Berg ab und das scheint so Gewollt von der Regierung.
Bezogen auf die Migration in Deutschland wird es zwangsläufig zu Verteilungskämpfen um den Wohnraum kommen. Das wird sich selbstverständlich massiv auf die kommenden Wahlen auswirken. Die aktuelle Politik von Rot/Grün ist noch immer nicht gewillt dagegenzusteuern. Merkel hat damit begonnen und jetzt wird es im Sinne der Grünen Ideologie forciert. Und die Bundesbauministerin strotzt nur so vor gefühlter Inkompetenz.
Kommentare wurden geschlossen.