IM KRANKENHAUS. Also: Den Kliniken geht es schlecht, weil sie sich nicht mehr finanzieren können und weil Ärzte genauso fehlen wie Pflegekräfte. Gleichzeitig wächst das Defizit der gesetzlichen Krankenkassen. Dass der Privaten auch. Pflegekräfte bekommen jetzt mehr Geld, weshalb die Pflegeleistungen nicht für die Pflegekassen teurer werden, sondern für die Pflegebedürftigen oder deren Angehörigen. Den Pflegekassen ging’s auch vorher schlecht genug.
Bereits 2019 hat die renommierte Ärztezeitung von 3.300 fehlenden Klinikärzten gesprochen. Dreiviertel aller Kliniken sind betroffen. 2021 erneuerte das Blatt die Daten und im Mai 2022 waren 2.750 Stellenanzeigen aktiv. In diesem Jahr kam die Panikmeldung von der Ärztekammer: Das Problem beginnt schon bei den fehlenden Studienplätzen.
Ein bisschen Germany First geht immer …
Bereits der letzte Gesundheitsminister Jens Spahn ist im Ausland auf Entdeckungsreise gegangen, um zu erforschen, wo noch Ärzte für Deutschland akquiriert werden können. Tatsächlich sieht es außerhalb deutscher Grenzen eher noch schlechter aus. Im nicht mehr so wohlhabenden Großbritannien fehlen laut Tagesspiegel vom 25. Juli 2022 insgesamt 12.000 Ärzte und 50.000 Pflegekräfte. Das European Data Journalism Network hat schon vor Jahren für jetzt über 230.000 fehlende Ärzte in der EU vorhergesagt. Das kam also alles nicht unbedingt überraschend. Interessant ist dabei, dass pro 1.000 Einwohner in Deutschland – neben den skandinavischen Ländern – die meisten Ärzte praktizieren.
In ärmeren Ländern könnte man gewiss noch ein paar Ärzte mit Geld nach Deutschland locken. Laut WHO fehlen in den Entwicklungsländern allerdings jetzt bereits etwa zehnmal so viel Ärzte wie in Europa, nämlich 2,3 Millionen. Das sind zumeist die Regionen, die durch den Klimawandel am meisten betroffen sind. Die werden zukünftig jeden Arzt brauchen. Aber irgendwie ist auch diese „Mit-Geld-geht-alles-Taktik“ am Ende wieder schlüssig: Wer an mangelnder ärztlicher Versorgung stirbt, wird zumindest kein Flüchtling mehr …
Wettrennen: Haus- oder Klinikärzte?
Gleichzeitig fehlten im letzten Jahr laut Robert-Bosch-Stiftung 3.570 Hausärzte in Deutschland. Alle Nordhessen, die nicht in Kassel wohnen, haben das tatsächlich bereits bemerkt. Ganze Kommunen sind inzwischen „arztfrei“. Bis 2035 sollen sogar 11.000 zu wenig da sein. Niedergelassene Fachärzte vermissen wir genauso! Drei, vier, fünf oder sechs Monate auf einen Facharzttermin zu warten, sollte niemanden mehr irritieren. Seit Jahren laufen Kampagnen, um Klinikärzten und Studienabsolventen eine Haus- oder Landarztpraxis schmackhaft zu machen. Ich bin gespannt, wer das Wettrennen gewinnt! Das ist aber auch egal! Verlieren wird wohl der Patient – so oder so.
Als Ursache für das Problem in den Kliniken wird inzwischen sogar von Gesundheitsminister Dr. Karl Lauterbach die Umstellung der Abrechnungspraxis von Kliniken vor rund 20 Jahren identifiziert. Dafür spräche, dass laut „Welt“ vom 14. Februar 2022 tatsächlich 42 Prozent mehr Ärzte beschäftigt sind als vor dieser Umstellung. Trotzdem fehlen welche.
Die Idee von Markt- und Betriebswirtschaft in Kliniken hat tatsächlich funktioniert!
Die schlaue Idee war, dass marktwirtschaftliche Regeln zur Kostensenkung im Gesundheitswesen beitragen würden. Die ersten, die das Prinzip verstanden haben, waren die Medikamentenhersteller, die sofort gewusst haben, wenn mehr Leistungen verkauft werden, dann werden auch mehr Medikamente gekauft. Und die Kliniken haben wahnsinnig schnell geschnallt, welche Leistungen Überschüsse bringen und welche nicht. Vor allem aber, dass hohe Stückzahlen auch schlechte Margen ausgleichen können. Was also sprach in den letzten Jahren dagegen, den Patienten mehr Leistungen zu verkaufen, als sie eigentlich brauchen? Seitdem „verbaut“ die Branche mehr Hüften und Kniegelenke, auch die dritte oder vierte Chemotherapie, die statistisch gesehen das Leben nur um wenige Tage verlängert, aber die Lebensqualität völlig ruiniert, wird noch verschrieben und dass die Zahl der Kaiserschnitte ansteigt und gleichzeitig die Erlöse bei einem Kaiserschnitt deutlich besser sind als bei einer natürlichen Geburt, ist vermutlich kein Zufall.
Wir haben gleichzeitig wunderbar dafür gesorgt, dass auch wirklich jedes Wehwehchen ärztlich behandelt werden muss. Haben wir uns früher bei einem Schnupfen unwohl gefühlt und sind einen Tag zu Hause geblieben, hat ein Anruf beim Arbeitgeber genügt. Am Ende war es eine Frage des Vertrauensverhältnisses zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Heute ist der gelbe Schein quasi Pflicht und so gehen wir auch dann zum Arzt, wenn nur die Nase läuft, was sie nach ein paar Tagen in fast 100 Prozent der Fälle – auch ohne Arzt – nicht mehr tun würde.
Das Gute am Dilemma ist das Schlechte am Dilemma!
Dass die Ärzte fehlen, bewirkt ironischerweise auch etwas Positives, denn tatsächlich fehlen auch 120.000 Pflegekräfte. Das würde viel mehr auffallen, würden mehr Ärzten auch noch für mehr Pflegeleistungen sorgen. Was passiert, wenn wir die Lücke von rund 15.000 Ärzten insgesamt und 120.000 Pflegekräften schließen könnten? Dann müssten wir diese allerdings gemeinsam auch noch vergüten. Der Betrag ist im aktuellen Defizit der Krankenkassen noch gar nicht berücksichtigt. Laut Tagesschau vom 14. Juni 2022 beträgt dieser auch so bereits bei 25 Milliarden Euro. Die Pflegekassen schlagen bereits gleichzeitig Alarm. Dagegen ist das aktuelle Defizit durch steigende Energiekosten vergleichsweise harmlos.
Es ist der falsche Zeitpunkt, alles auf die Pharma-Industrie zu schieben, was früher immer der Fall gewesen ist. Denn die loben wir ja gerade, weil sie so schnell und toll Impfstoffe produziert. Und wenn‘s zum Schwur kommt, dann werden Medikamenten- und Prothesen-Hersteller laut genug jammern, damit sie am Ende von der Reform verschont bleiben. Und wenn wieder die Frösche um ein Konzept zum Trockenlegen des Sumpfes gebeten werden, dann ahnen wir, was geschieht.
Weniger Leistung oder mehr Geld?
Am Ende erhöht entweder der Staat seinen Anteil und finanziert das Loch aus Steuern, die wir alle zahlen, oder die Beiträge werden direkt erhöht. Dann trifft es den Durchschnittsverdiener nach den Berechnungen des Instituts für Gesundheitsökonomie (IfG) mit 455 Euro jährlich. Weil die Demografie in den nächsten Jahren für mehr Pflegebedürftige und damit auch für mehr Krankheiten sorgen wird, wird‘s von allein nicht besser werden.
Ein Anfang könnte sein, die Dokumentationspflichten etwas herunterzufahren. Wenn‘s denn schon betriebswirtschaftlich sein muss, fällt mir der erste Leitsatz aus meiner betriebswirtschaftlichen Ausbildung bei der Handwerkskammer ein: „lieber eine wirtschaftliche Ungenauigkeit als eine unwirtschaftliche Genauigkeit“. Wenn wir denn schon betriebswirtschaftliche Lösungen bevorzugen.
Wie ehrlich wird Politik sein?
Tatsächlich wäre ein vollständiges Umdenken im Gesundheits- und Pflegewesen, genauso wie beim Klimawandel nötig. Irgendwann sind die Möglichkeiten der Optimierung einfach ausgeschöpft. Ich weiß nicht, warum ich mir nicht vorstellen kann, dass Politik plötzlich so ehrlich sein wird? Das Schlimmste wäre aktuell vermutlich, wenn Corona plötzlich seinen Schrecken verlieren würde. Ein ganzes Weilchen werden wir die Pandemie noch brauchen, weil sonst kein Schuldiger mehr auszumachen wäre, wenn das System auch ohne die ansteckende Krankheit in sich zusammenbricht. Ohne Corona würden wir die Politiker erleben, die – wie immer – lieber die Vergangenheit ändern würden (mit Schuldzuweisungen), anstatt die Zukunft zu planen.
Das volkswirtschaftlich „Positive“ an der ganzen Misere könnte sein, dass, wer schlecht versorgt und schlecht gepflegt wird, zum Sinken der Lebenserwartung in Deutschland beitragen wird. Irgendwann hat sich das System – im wahrsten Sinne des Wortes – gesundgeschrumpft. Die Frage ist, wer dafür den Preis überreichen möchte und wer ihn denn tatsächlich haben will …
Ihr
Rainer Sander
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1 Kommentar
Wie groß wäre der Ärztemangel sowie der Mangel an Pflegekräften, wären man nur auf die Personen angewiesen, mit deutscher Herkunft, wie es die rechten Parteien fordern? Die Privatisierung hatte in den UKGM Standorten die besten Fachärzte und Professoren abwandern lassen. Oft waren es Ärzte mit Migrationshintergrund, die sich eigene Praxen aufgemacht haben, andere sind an Universitätskliniken gegangen, die öffentlich finanziert werden. Gute Fachärzte bringen Kliniken auch mehr und zahlungsfähige Patienten.
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