WABERN (von Thomas Schattner). Nach sechs Jahren Planung war es Anfang des Jahres 1722 so weit, im Januar konnte in Wabern mit dem Bau einer repräsentativen, landgräflichen Kirchenarchitektur begonnen werden. Dies ist umso erstaunlicher, da der Ort damals eher klein, arm und weitgehend unbedeutend war, wäre da nicht da das landgräfliche Jagdschloss gewesen, welches von 1701 bis 1712 entstanden war.
Dies ließ Landgraf Karl als repräsentativen Aufenthaltsort für seine Familie und den Hofstaat zu den alljährlich stattfinden Reiherbeizen in Wabern errichten. Zwar liegen für das frühe 18. Jahrhundert keine konkreten Einwohnerzahlen für den Ort vor, doch es existieren Zahlen für die Jahre 1618, 1639 und 1747. Der 30-jährige Krieg von 1618 bis 1648 hatte die Einwohnerzahl ordentlich dezimiert, von 53 Personen im Jahr 1618 verblieben im Jahr 1639 noch 24 verheiratete Männer und sechs Witwen am Ort, hinzu kamen 17 Pferde und 13 Kühe. Und selbst im Jahr 1747, rund einhundert Jahre später, gab es nur 93 Haushalte im Ort. Trotzdem wurde in der Zeit seit dem Jahr 1722 eine große protestantische Querkirche errichtet, weil der Landgraf ein standesgemäßes Gotteshaus während seiner Aufenthalte zu den Reiherjagden benötigte.
Dieser enge historische Kontext lässt sich vielfach bis heute verfolgen und erkennen. Landgraf Karl ernannte im Jahr 1713 Johann Balthasar Stauch zum „Hochfürstlichen Burggrafen“ in Wabern. Damit war Stauch der Stellvertreter des Landgrafen während seiner Abwesenheit vor Ort. Deshalb war der Burggraf auch die zentrale Figur beim Bau der Waberner Kirche, denn er führte das Kirchenbaubuch, in welchen über jede Einnahme und Ausgabe in der Bauzeit Rechenschaft abgelegt wurde. Als Stauch im Jahr 1767 hochbetagt in Wabern verstarb, wurde er auf dem Kirchhof, der sich damals um das Gotteshaus herum befand, beigesetzt. Noch heute befindet sich seine Grabplatte außen an der Nordwand des Kirchenschiffs.
An der Nordwand der Kirche befand sich auch bis zum Jahr 1889 ein hochherrschaftlicher, separater Eingang zur Kirche, der dem Landgraf und einzelnen Repräsentanten des Hofstaats vorbehalten blieb und der zur Fürstenloge im Inneren führte. Den Zugang müssen wir uns wie folgt vorstellen, da es keine bildlichen Überlieferungen von ihm gibt: Zwei mit einem „Bogen“ (Geländer) versehene und geschwungene Treppen von je zwölf Stufen dienen als zwei Aufgänge zur Fürstenloge. Diese Aufgänge liegen in ihren Grundpositionen jeweils in einer Viertelfläche und besitzen jeweils etwa 18 bis 20 cm hohe Treppenstufen, die zu einem kleinen Podest führen. Dieses lag in einer Höhe von 2,40 Metern. Von dort betrat der Landgraf das Innere des Kirchengebäudes. Aber das Kirchenbaubuch nennt noch einen anderen Grund zur Nutzung des Podests: „Wo von man Zu forderst noch nähere Hochgebietende ordre einziehen und erwartten muß“. An der Stirnseite der Fürstenloge befanden sich wohl auch die Wappentafeln des Landgrafen, die in seiner Abwesenheit den Kirchenbesuchern übermittelten, wer der Hausherr war. Diese Tafeln befinden sich auch heute noch im Waberner Gotteshaus.
Die Säulen, der im Jahr 1889 statt der Landgrafenloge eingezogenen Nordempore, bestehen aus Gusseisen. Gusseisen war das erste neue Baumaterial der Industrialisierung schlechthin. Es erlaubte statisch die Verwendung von viel filigraneren Säulen als z.B. die Fachwerkständer aus der Bauzeit um 1722. Vor dem Jahr 1992 besaßen die Säulen eine grüne Farbschicht. Dies war kein Zufall, denn oft wurden aus zeitgenössischer Sicht um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert mit den filigranen Gusseisenelementen pflanzliche und florale Ornamentik assoziativ verbunden. Kunstgeschichtlich kann das besonders an den Pariser Metro-Eingängen von Hector Guimard aus den Jahren 1900ff. nachempfunden werden.
Zwar haben auch weitere Renovierungen in den Jahren 1850 bis 1852, 1916, 1954 und 1992 das Gotteshaus in Teilen verändert, ohne jedoch weitere gravierende Eingriffe in die architektonische Grundkonzeption vorzunehmen. Insofern kann auch heute noch der Raumkörper des frühen 18. Jahrhunderts in Teilen nachvollzogen werden, so wie ihn die damaligen Handwerker geschaffen haben. Diese waren typisch für die Zeit oft keine Einheimischen. Zu groß waren die Bevölkerungslücken, welche der 30-Jährige Krieg hinterlassen hat. So waren z.B. Lorentz Gruber und Christian „Johann“ Feyerabend maßgeblich am Bau beteiligt. Ersterer war Maurermeister und Baumeister zugleich und stammte höchstwahrscheinlich aus Tirol, Feyerabend stammte aus Thüringen, wie auch die große Masse der am Kirchenbau verwendeten Nägel von einem Nagelschmied aus Homberg stammten, der in Thüringen geboren worden war. Nachfahren von Feyerabend und Gruber leben heute noch in Wabern.
Waberns Kirchenhistoriker
Der im letzten Oktober verstorbene Horst Schattner hat über 20 Jahre zur Kirchengeschichte von Wabern historisch geforscht. Er hat u.a. das Kirchenbaubuch im Marburger Staatsarchiv entdeckt und an seiner Transkription mitgearbeitet, dazu hat er die Transkription von zahlreichen Kirchturmknopfdokumenten ab dem Jahr 1769 in die Wege geleitet. Des Weiteren gab er zusammen mit Dr. Kathrin Ellwardt im Jahr 1998 einen kleinen kunstgeschichtlichen Kirchenführer heraus und er hat auch dafür gesorgt, dass Waberns zweite Chronik, die im Jahr 2017 erschien, einen hervorragenden Beitrag von Ellwardt zur Waberner Kirche beinhaltet.
Zweibändige Dokumentation
Horst Schattner hat am Ende seines Lebens zusammen mit seinem Sohn versucht, eine kirchenhistorische Bilanz seiner Arbeit in Form von zwei Dokumentationsbänden von je 440 Seiten zu ziehen. Die Veröffentlichung dieser erlebte er leider nicht mehr. In Band eins wird der Sakralbau u.a. mit dem Kirchenbaubuch und Kirchturmknopfdokumenten sowie den Kirchenrenovierungen abgehandelt. Der Band zwei beinhaltet die Profanbauten wie z.B. das Pfarrhaus, den Pfarrgarten, den Kirchplatz mit seinen Denkmälern, den Kirchhof sowie die Biografien der Geistlichen incl. der Vakanz-Vertretungen – soweit ermittelbar – von 1722 bis zur Gegenwart, welche in der Waberner Kirche tätig waren.
Dabei zeigte sich z.B., dass etliche Pfarrer publizistisch tätig waren, dass ein Pfarrer später nach Breitenau ging und dort auch in den Jahren 1933/1934 Pfarrer im Konzentrationslager und von 1940 bis 1945 im Arbeitserziehungslager der Nationalsozialisten war, dass gleichzeitig Waberns Pfarrer Metz in den 1930er und 40er Jahren mit permanenten Auseinandersetzungen mit den Repräsentanten des NS-Regimes drangsaliert wurde, nachdem sein Vorgänger von den Nationalsozialisten aus dem Amt gejagt wurde, dass der Dekan, der 1977 die Konfirmanden einsegnete, Seelsorger der Fußball-A-Nationalmannschaft bei den Weltmeisterschaften 1968 bis 1978 war, dass eine Pfarrerin die deutschen Behindertensportler bei den Paralympics in Salt Lake City und Athen 2002 bzw. 2004 betreut hat, etc. Kurzum, die Waberner Kirchengeschichte ist vielfältig, spannend und interessant.
Nachlesen kann man diese Geschichte(n) in: 300 Jahre Evangelisch-reformierte Wabern – Eine Dokumentation,
Hrsg.: Horst und Thomas Schattner
Band 1: Der Sakralbau, ISBN: 979-8825943985
Band 2: Die Profanbauten, die Pfarrer und Pfarrinnen sowie das 275te Kirchenjubiläum,
ISBN: 979-8826018163
Beide 440 Seiten starke Bände sind bei Amazon erschienen und können dort für jeweils 13,38 € erworben werden.
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