NORDHESSEN. Die Zeit war nicht leicht, im Jerusalem rund um das Jahr Null. Judäa war seit 63 vor Christus Römische Provinz, erobert von Gnaeus Pompeius. Es galt römische Recht, also das Steuersystem der Schutzmacht und römische Soldaten waren allgegenwärtig. Natürlich auch mit rekrutierten Juden. Allerdings gab es auch weitgehend Religionsfreiheit. Die Juden durften glauben, was sie wollten, so wie es in unseren Breiten die Kelten und Germanen ebenfalls durften.
Jesus hatte sich allerdings reichlich unbeliebt gemacht. Er traute sich, die Herrschenden zu kritisieren, und zwar nicht nur die weltlichen, sondern auch die religiös herrschenden und hat sogar die Händler aus dem Tempel vertrieben. Er war kein Meckerer. Er hatte schließlich ein klares Bild von der Zukunft, und in einer Zeit, in der Geschichten über Dämonen, Gottes Zorn oder unerklärbare Naturwunder zum Lebensalltag der Menschen gehörten, war er nicht der Einzige, der an Wunder glaubte. Vielleicht war er der Einzige, dem solche auch zugeschrieben wurden. Wein zu Wasser, Blinde sehen, Lahme gehen, Leprakranke werden geheilt und er selbst kann über Wasser gehen.
Für Griechen, Römer und Araber, deren Götter allerlei Unfug trieben in einer Zeit von Sirenen, Zyklopen, Zentauren und Flaschengeistern, waren Wunder sicherlich nicht so „verwunderlich“, wie in unserer heutigen, aufge- und wissenschaftlich erklärten Zeit. Himmelfahrt, Auferstehung, Seelenwanderung, Geisterheilung und vor allem Engel waren nicht etwa – wie heute – esoterische Spinnereien, sondern Elemente der „Staatsreligion“. Wobei Staat und Religion noch anders definiert waren als in der Gegenwart.
Einem „Seher“, Schamanen, Zauberer oder Medizinmann zu folgen, war in allen Kulturkreisen in der Eisenzeit – und auch schon in der Bronzezeit – jedenfalls nichts Ungewöhnliches. Das war es auch in den Opfermooren der Germanen in dieser Epoche nicht. Trotzdem gab es bereits eine Wissenschaft, die Natur zu erklären verstand. Schon viele Jahrhunderte vor Christus konnten die gebildeten Menschen hierzulande die Zyklen der Himmelskörper erklären, was eine ziemlich lange Beobachtung erforderte. Länger als ein Menschenleben. Die Himmelsscheibe von Nebra ist ein Beleg dafür, dass – ohne entwickelte Schriften – wissenschaftliche Expertisen möglich waren. Die Bibliothek von Alexandria in Ägypten war bereits 300 vor Christus ein Tempel der Wissenschaft.
Andererseits hätten weder Vercingetorix in Gallien noch Arminius in Germanien einen Krieg gegen die Römer beginnen können ohne die Unterstützung der geistigen Führer, der Druiden und Schamanen… Staat und Religion waren stets miteinander verwoben. Der eine war darin erfolgreich, der andere nicht.
Wir glauben immer wieder, dass wir erst heute in komplizierten Zeiten leben. Das denken wir immer dann, wenn Dinge anders kommen, als geplant. Das ist aber immer so. Alle Wendepunkte in unseren Leben passieren ungeplant. Die Welt und was mit Menschen passiert, war damals kein bisschen anders. Sie war einerseits bereits globalisiert durch munteren Handel, wie Salz von der Werra gegen mediterrane Gewürze oder Blei aus dem Egge-Gebirge gegen Wein und Rohstoffe. Sie war andererseits der unterschiedlichen Sichtweise von Politik, Religion und Wissenschaft ausgesetzt. Schon immer war die Wissenschaft schnell der Vorstellung erlegen, die meisten wissenschaftlichen Entdeckungen seien „jetzt“ erfolgt. Nun kommt nichts Überraschendes mehr. Außer Sokrates haben bis heute wenige Menschen zugeben können, dass sie – gemessen an den vielen unentdeckten Wahrheiten des Universums – streng genommen nichts wissen. Er stellte das bereits 400 Jahre vor Christus fest.
Heute gibt es merkwürdige Gestalten, die sich auf die christlich geprägte abendländische Kultur berufen, aber damit exakt das Gegenteil von dem Verbinden, für das Jesus gestanden hat. Die lassen wir übrigens in den meisten Staaten heutzutage immerhin gewähren und nageln sie nicht an ein Kreuz…
Es ist geschichtswissenschaftlich sicher nicht ganz korrekt, aber heute, an Karfreitag, vor etwa 2.000 Jahren, ist Jesus um 15:00 Uhr, also genau jetzt, gestorben. Es war niemand dabei, dessen Live-Bericht wir zurate ziehen könnten. Alle Evangelien wurden Jahrzehnte später geschrieben. Wir können das nur glauben. Es lehrt uns jedenfalls, dass Menschen immer wieder Opfer von staatlichem und religiösem Machterhalt werden, vorwiegend dann, wenn die öffentliche Ordnung gestört ist oder jemand das Gesicht verlieren könnte. Auch wenn es – wie damals – eigentlich um etwas völlig anderes geht…
Auch in den vergangenen zwei Jahren haben wir sehr verschiedene Propheten kennengelernt. Nicht allen wollten wir vertrauen, vielen konnten wir nicht vertrauen und manchen durften wir auch nicht vertrauen. In der Ukraine passiert, was in Rom vor mehr als 2.000 Jahren begonnen hat, nur dass wir uns das heute weder vorstellen konnten noch damit umzugehen verstehen. Den Menschen wird es damals nicht besser gegangen sein, als allen, die heute etwas anderes glauben, als akzeptiert wird. Wir täten gut daran, Menschen nicht an dem zu messen, was sie von der Mehrheit unterscheidet, sondern an dem, was sie für Minderheiten und Mehrheiten tun oder bedeuten.
Im Moment fällt es vielleicht schwer, sich mit einem Tod im fernen Palästina zu beschäftigen, wo der Krieg vor unserer Haustür zugleich Tausende tötet. Mit der Auferstehung erfährt die Geschichte erst ihren Sinn und einen Zusammenhang. Darum geht es in der OSTERKOLUMNE am Sonntagmorgen. Die Zeit zwischen Tod und Auferstehung, Depression und Erlösung, Sinnlosigkeit und Sinnhaftigkeit ist immer schwer auszuhalten…
Ihr
Rainer Sander