Mit dem Fahrrad von Schönefeld nach Gudensberg
GUDENSBERG. Gudensberg ist Teil der globalisierten Welt. Auch Gudensberger Unternehmen, so Bürgermeister Frank Börner beim Neujahrsempfang am Freitag, sind international aktiv und haben holländische, belgische, französische, amerikanische oder japanische Eigentümer: „wir alle profitieren von Welthandel, die Wirtschaft hat Hochkonjunktur, uns geht es gut.“
Viele Menschen, so Börner haben Angst und wollen, dass alles so bleibt, wie es ist. Eine Rückkehr zum Nationalen und zur Abgrenzung sind aber kein Weg. Die Stadt stehe für Weltoffenheit und Toleranz.
Aktuelle Ereignisse sind präsent
Nicht ganz frei von den Ereignissen in Hanau konnte Bürgermeister Frank Börner die etwa 400 Gäste in diesem Jahr in Gudensberg begrüßen. „Wir trauern um die Opfer der rechts radikalen und rassistischen Terrortat in Hanau. Nach der feigen Ermordung unseres Regierungspräsidenten Doktor Walter Lübke durch einen bekennenden Neonazi ist dies ein weiterer Angriff auf die Grundwerte unserer Demokratie“, so Börner zu Beginn seiner Ansprache.
Die Gudensberger Neujahrsempfänge finden bereits seit 20 Jahren statt. Zu Beginn noch in der Synagoge, inzwischen reicht der Platz nicht mehr aus. Seit einigen Jahren ist der Bürgersaal Treffpunkt zu Neujahrsbeginn. Die Idee hatte der frühere Bürgermeister und Mitglied des Bundestages, Dr. Edgar Franke.
20 Jahre positive Entwicklung
Gudensberg, so Börner habe in den letzten 20 Jahren eine sehr positive Entwicklung erlebt die Einwohnerzahl sei um etwa 8 Prozent gestiegen, von 8963 im Jahr 1999 auf jetzt 9707.2230 Menschen arbeiten in Gudensberg, 550 mehr als vor 15 Jahren. Von Investitionen profitiere die gesamte Wirtschaft der Region. Eine der bedeutendsten ist die neu hinzugekommene Rudolph-Logistik Gruppe.
Eine besondere Herausforderung für die nächsten Jahre ist nicht nur die Digitalisierung, sondern auch die weitere Entwicklung der Stadt. Sogenannte Smart-City wird nachhaltig gestaltet und soll die Lebensqualität verbessern. Mit schnellem Internet hat Partner Netcom die Grundlage gelegt, jetzt geht es um Glasfaser bis ins Haus. Gleichzeitig sollen Wachstum und Weiterentwicklung nicht um jeden Preis geschehen. Gudensberg wächst, aber die städtischen Gremien seien sich einig: flächensparendes und verdichtetes Bauen hat Vorrang, junge Familien und ehrenamtlich engagierte Bürger werden zukünftig bei der Vergabe von Bauplätzen bevorzugt.
Zahlreiche Gäste aus dem Gudensberger Vereinsleben, darunter viele Ehrenamtliche, die Vertreter der Banken und Organisationen aber auch der zahlreichen Gewerbebetriebe und Mitglieder des Gewerbevereins kamen im Bürgerhaus zusammen, um gemeinsam das neue Jahr zu gestalten. Auch viele Bürger folgten der Einladung.
10 Jahre echte Städtepartnerschaften
Tradition beim Neujahrsempfang in Gudensberg sind die Besuche der Bürgermeister Bogdan Szczęśniak aus Jelcz-Laskowice (Polen) und Oleg Vasylyschyn aus Schtschyrez (Ukraine) mit ihren Delegationen. Bogdan Szczęśniak erinnerte an den Aufbau der kommunalen Selbstverwaltung in Polen, der für seine Stadt eng mit Gudensberg verknüpft ist. Auch ohne, dass er es erwähnt, spricht eine gewisse Dankbarkeit aus einem Worten, die Verbundenheit und Vergangenheitsbewältigung beweisen.
Der Ort, so Szczęśniak, war vor dem Weltkrieg noch von Deutschen bewohnt. Gastgeschenke aus Jelz-Laskovice sind meist etwas Besonderes. Dokumente aus der Zeit vor dem Weltkrieg und zwei kurze Filme über eine Fabrik und den Übungsplatz der Bertha-Werke, einem Auslagerungsbetrieb der Kruppwerke, in dem bis zum Jahr der Kapitulation 125mm Geschütze gefertigt wurden. Das, so der polnische Bürgermeister, ist die Geschichte der Stadt, die niemand leugnen will. Dass die Delegation aus Gudensberg mit Bürgermeister Frank Börner 2019 am Jahrestag des Überfalls auf Polen in Jelcz-Laskovice war ist Symbol für eine gelungene Überwindung der Vergangenheit.
Es ist eine ehrliche Partnerschaft entstanden und die wird in diesem Jahr mit dem 10-jährigen Jubiläum der Städtepartnerschaft in Jelz-Laskovice, im Oktober gefeiert. Mit dabei die Stadt Schtschyrez, die inzwischen ebenfalls mit Gudensberg Partner des. Eine solche Dreiecksbeziehung, erinnerten die beiden Gäste, gibt es sonst nicht zwischen diesen drei Ländern. Aus Schtschyrez brachte Oleg Vasylyschyn Keramik mit. Ein kleines Glöckchen war dabei: Eine kleine Freiheitsglocke?
Schönefeld: eine brandenburgische Erfolgsgeschichte
Als Gastredner konnte Frank Börner den früheren Bürgermeister der Stadt Schönefeld, dort wo der Flughafen Berlin-Brandenburg (BER) entsteht, begrüßen. Eine neue innerdeutsche Partnerschaft oder Freundschaft könnte zwischen Gudensberg und Schönefeld entstehen. Dr. Udo Haase und Frank Börner haben sich auf einer Auslandsreise nach Kirgisien und in die Mongolei kennengelernt und schon mehrmals gegenseitig besucht. Es spricht für Gudensberg, dass es nicht neidisch auf andere Kommunen blickt, denen es (noch) besser geht, sondern sich anschaut, was dort die Erfolgsrezepte sind. Das motiviert! Zwischen Bürgermeister Frank Börner und Dr. Udo Haase stimmt die Chemie, das ist nicht zu übersehen. Beispiel dafür ist ein Radweg von Schönefeld nach Gudensberg mit einer Länge von 315 Kilometern. Der Chor aus Gudensberg-Gleichen sang zur Eröffnung in Schönefeld das Hessenlied.
„Schönefeld ist das Bayern Brandenburgs“, so zitierte Bürgermeister Frank Börner die örtliche Zeitung. Selbst der Landkreis Dahme-Spreewald braucht keine Schlüsselzuweisungen, als einziger in den neuen Bundesländern, denn für die Hälfte des Kreisetats sorgt die Stadt mit dem Flughafen und den Gewerbegebieten drumherum sowie an der Autobahn.
An 5. Stelle in Deutschland
An 5. Stelle der pro Kopf Einnahmen in Deutschland liegt Schönefeld aktuell, vier Kommunen in Bayern und Baden-Württemberg stehen noch besser da. Die Ausgangsvoraussetzungen waren schon von Mai bis September 1945 im Osten anders. Es galt für ein halbes Jahr Moskauer Zeit. Damals war man dem Westen immerhin zwei Stunden voraus. Den Neustart nach der Wende beschrieb Haase nur kurz. Was im Bewusstsein aller stets präsent ist, das sind die Dinge, die nicht so gut funktionieren. Schönefeld hat einen gut funktionierenden Flughafen, der Geld in die Kassen des Ortes spült aber der zukünftige, neue Flughafen ist seit 2006 im Bau, am 31. Oktober 2020 soll er eröffnet werden.
Die Leidensgeschichte der Planer und Verantwortlichen ist bekannt. Das begann schon damit, dass die ursprüngliche Bezeichnung BBI für Berlin Brandenburg International nach dem IATA-Code schon an einen indischen Flughafen vergeben war. BER war immerhin noch zu haben. Dr. Udo Haase sieht die Ursachen im Desaster in falsch definierten Wunschzetteln, falschen Baukosten, mangelnder Kommunikation und einem fehlenden Dirigenten. Ein Orchester werde auch nicht von Baumeistern geleitet. Die Zeit mit Hartmut Mehdorn habe er genossen. Der wollte kein Diplomat werden und war es auch nicht.
Politik sollte sich raushalten
Der Bund, so erinnert sich Haase, beharrte auf Schönefeld. Stolpe und Wowereit, die beiden Länderchefs hatten andere Pläne. Die Entscheidung, dass zwei andere Flughäfen geschlossen werden, hält Haase für falsch. Auch andere Metropolen hätten mehrere Flughäfen. Zukünftig, so sein Resümee, müsse sich die Politik raushalten oder die 4-jahres-Rhythmen ausschalten. Klar müsse sein: Gemeinnutz geht vor Eigennutz. Positiv ist der Eintrag im Guinness Buch für die niedrigste Lärmbelastung weltweit. Satire oder Wahrheit liegen aktuell, so Haase, sehr dicht beieinander. Schönefeld wird nach aktuellen Hochrechnungen von zur Zeit 17.000 auf 45.000 Einwohner anwachsen.
Interessant auch seine Gedanken zur Rechtslage in Deutschland: „Wenn ein Bürgermeister nicht die Lebenszeit hat, alle Gesetzte und Vorordnungen, die seine Arbeit betreffen, überhaupt zu lesen, sollte man über eine Vereinfachung nachdenken.
Pippert: Gefühl des Neuanfangs für Mut und Kraft bewahren
Stadtverordnetenvorsteher Walter Pippert hoffte in seinen Abschluss worden, dass das die Gudensberger das Gefühl des Neuanfangs für Mut und Kraft bewahren. Der Neujahrsempfang sei stets die Gelegenheit zum Austausch: „Es ist in einer Kommune wichtig, miteinander zu sprechen…“ Dabei lobte er die gelebte Streitkultur: „In Gudensberg wird vorher geredet!“ Für ihn ist in der Tagespolitik Nachhaltigkeit wichtig: „Ich werde nicht mehr alle Folgen des Klimawandels erleben. Aber unsere Kinder und Enkel.“
Die Moderation hatte in diesem Jahr Schmeckefuchs Thomas Hof übernommen, der Gudensberger Chor die Ohrwürmer sorgte für den musikalischen Rahmen. (rs)