ALSFELD. An einem schiefen Linden-Duo scheiden sich derzeit in Alsfeld die Gemüter. Die beiden in den 1970er-Jahren straßenbegleitend am Ludwigsplatz angepflanzten Winterlindern (Tilia Cordata) sollen im Februar 2019 für den Bauteiletransport des Windenergieparks Fischbach gefällt werden.
Das sieht der ein oder andere Bürger Alsfelds als einen Umweltfrevel. Eigens eine Petition mit 1092 Unterschriften zum Erhalt der rund vierzig Jahre alten Straßenbäume wurde bereits im Vorjahr verfasst, nach unzähligen Debatten in der Stadtpolitik dennoch ein Fällungsbeschluss gefasst. Seitdem kursieren durchaus alternative Fakten zum Sachverhalt, die mit dem Baubeginn des Energieparks frischen Wind bekamen.
Alsfelds Bürgermeister Stephan Paule (CDU) bezog auf Anfrage erneut Stellung. Ausschlaggebend war laut seinen Schilderungen nicht eine fünfstellige Ausgleichszahlung je Fällung, sondern die negativen Auswirkungen der Winterlinden auf zwei weitaus ältere Bäume am Ludwigsplatz. „Zwei unabhängige Beurteilungen haben ergeben, dass beide Linden die platzprägenden Bäume in Form einer großen Linde und einer großen Eiche negativ beeinträchtigen, weil sie in die Kronen hineinwachsen“, so der Bürgermeister. Eine Entfernung der beiden Linden innerhalb der nächsten zehn Jahre wäre aus seiner Sicht auch ohne Schwertransporte sehr wahrscheinlich gewesen. „Die große Eiche und die große Linde in der Mitte des Ludwigplatzes bleiben auf jeden Fall erhalten und profitieren davon, dass die anderen Bäume nicht mehr in ihre Krone hineinwachsen“, machte der Bürgermeister zu den geplanten Fällungen deutlich. Wie er ausführte, steht die Fällung eines Bergahorns und einer Platane vor der Hausnummer 4 des Ludwigsplatzes für die Schwertransporte überhaupt nicht zur Diskussion. Eine weitere, vor etwa fünf Jahren angepflanzte Linde, wird laut Paule für die Transporte versetzt und nicht gefällt.
Bei den erwähnten Transporten handelt es sich um die Bauteile für den Windpark der VSB Holding bei Fischbach. Dort soll eine 14.000 Quadratmeter große Waldfläche für den Bau zweier Windkraftanlagen gefällt werden, die rund 11.000 Menschen mit einer Stromnennleistung von 6,9 Megawatt versorgen sollen. „Die Windenergieanlagen werden auf forstwirtschaftlich genutzten Flächen im Eigentum des Landesbetriebes HessenForst errichtet“, informierte die VSB-Pressereferentin Kathrin Jacob-Puchalski. Wie sie in einer Pressemeldung beschreibt, sind sämtliche Planungen mit den zuständigen Behörden abgestimmt. „Für die Standorte der Windenergieanlagen muss dauerhaft eine Fläche von etwa 1,4 Hektar Wirtschaftswald, also Wald der perspektivisch für die Holzgewinnung genutzt wird, gerodet werden“, so Jacob-Puchalski. Laut ihren Schilderungen wurde bei der Planung darauf geachtet, die Standorte in einen naturschutzfachlich weniger wertvollen Bestand zu legen. Wie sie sagte, liegen die Areale daher auf einer 20 bis 30 Jahre alten Aufforstungsfläche beziehungsweise in einer alten Windwurffläche mit jungem Baumbewuchs. Als Ausgleich für die Rodung bei Fischbach wurde ein bisher als Grünland genutztes Areal bei Grebenhain auf einer Fläche von etwa 18.000 Quadratmetern in Laubwald umgewandelt. Angepflanzt wurden dort standorttypische Arten wie Stieleiche, Bergahorn und Hainbuche sowie Wildkirsche und Winterlinde. „Zudem wird bei Ruhlkirchen im Fauna-Flora-Habitat-Gebiet ‚Wälder nördlich Ohmes‘ ein Teil des Waldes stillgelegt“, machte die Pressereferentin zu den Bemühungen für einen Umweltausgleich deutlich. Laut ihren Schilderungen wird so in Abstimmung mit dem Forstamt Romrod ein Waldstück aus der forstwirtschaftlichen Nutzung genommen und wieder der Natur überlassen.
Im Hinblick auf die Schwertransporte teilte die VSB-Pressereferentin mit, dass in der Zeit von April bis Mai 2019 der Ausbau der Transportstrecke erfolgen soll. Dazu gehöre auch die Wegführung in der Stadt Alsfeld am Ludwigsplatz. „In Vorbereitung darauf werden außerhalb der Vegetationsperiode und der Brutzeit voraussichtlich im Februar 2019 die betroffenen Bäume am Ludwigsplatz gefällt“, so Jacob-Puchalski. Die eigentlichen Transporte für die Windenergieanlagenteile sollen im Juni 2019 rollen. Zu einer innovativen Transportmethode von Rotorblättern in Form der sogenannten Bladelift-Technik sagte die Unternehmenssprecherin, dass diese nicht pauschal überall zum Einsatz kommen kann. „Für den Bladelifter müsste das Logistikkonzept in wesentlichen Teilen neu erarbeitet werden, was Mehrkosten und großen zeitlichen Verzug für das Bauprojekt bedeuten würde“, so Jacob-Puchalski. Zudem sei zur Verkleinerung der Rodungsflächen im Windpark Fischbach eine Just-in-Time-Lieferung der Großkomponenten geplant, sodass große Lagerflächen im Wald entfallen können. „Bei der Anlieferung mittels Bladelifter wären größere Rodungsflächen für die Logistik im Wald nötig“, so die Pressereferentin. Die Nutzung von alternativen Routen wurde laut ihren Angaben selbstverständlich in Vorbereitung des Projektes ebenfalls geprüft und abgewogen. „Im Fazit hat sich die bekannte Strecke über den Ludwigsplatz als bestmögliche Variante hinsichtlich der Kosten, der Logistik und des Eingriffes in die Natur erwiesen“, stellte die Unternehmenssprecherin fest.
Übrigens: Im benachbarten Romrod wurde ein Baum in der Zufahrt eines städtischen Bauprojekts ohne öffentliches Aufsehen gefällt. Statt einer Ausgleichsmaßnahme erinnert dort lediglich ein hölzerner Stumpf an den ehemaligen Standort einer Platane. (pw)