NORDHESSEN. Es ist tief in der Nacht. Der Vollmond steht über Kellerwald, Knüll, Meißner, Upland sowie Habichtswald und taucht die Nacht in fahles Licht. In Rathäuser zu Schwalmstadt, Baunatal, Homberg, Korbach, Witzenhausen oder Jesberg suchen im Schutz der Nacht Agenten aus Wiesbaden nach den neuen Grundsteuer-Hebesätzen … Warum?
Hätte es eines Beweises dafür bedurft, warum es keine einfachen Antworten auf komplexe Fragen gibt, dann ist dieser durch die Grundsteuerreform erbracht. Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes hat 2018 erklärt, dass der Gleichheitsgrundsatz verletzt wird, wenn Einheitswerte die Grundsteuer bestimmen und diese in West und Ost sogar unterschiedlich sind.
Nordhessens Kommunen vor kniffligen Entscheidungen
Die aktuellen Bodenwerte sollen für den sogenannten Grundsteuermessbetrag gelten. Der soll nun den Wert eines Grundstückes objektiv abbilden. Wir alle haben verfolgen können, wie schwer das zu berechnen war. Nun wird es andere Unterschiede zwischen einzelnen Grundstücken geben. Das Prinzip heiß Gerechtigkeit. Mehr Wert = mehr Steuer. Dafür legt jede Gemeinde oder Stadt einen Hebesatz fest, einen Multiplikator. Liegt der Messbetrag von Grundstück und Gebäude beispielsweise bei 60 Euro und der Hebesatz bei 300 Prozent, dann sind (60 x 3) also 180 Euro Grundsteuer fällig.
Das trifft auch für Mieter zu, denen der Gesamtwert eines Grundstücks im Bezug auf die gemietete Wohnung eigentlich „Latte“ ist. Viele müssen vielleicht über die Nebenkosten ab 2025 mehr, andere weniger bezahlen. Das Thema dominiert aktuell viele Haushaltsdebatten in den Gemeindevertretungen und Stadtverordnetenversammlungen.
Die Grundsteuerreform und ihre weitreichenden Folgen
Das ist so, weil sich durch die Neuberechnung auch das Gesamtniveau aller Grundstückswerte in einer Kommune rauf oder runter verschiebt, hat das Land Hessen bereits gerechnet und den Städten/Gemeinden Empfehlungen gegeben, den Hebesatz zur Niveauanpassung entweder zu senken oder zu erhöhen, um insgesamt eine unveränderte Grundsteuereinnahme zu erzielen und die Grundstückseigentümer im Durchschnitt gleich zu belasten. Mal abgesehen von einigen „Ausreißern“ nach oben oder unten, berücksichtigt das nicht die komplexen und tatsächlich gravierenden Auswirkungen auf die Gemeindefinanzen auf anderer Ebene:
Da kommt man als Bürgerin oder Bürger gar nicht drauf. Je nachdem, ob und wie eine Kommune den Empfehlungen des Landes folgt oder nicht, beeinflusst maßgeblich das Steueraufkommen der Städte und Gemeinden über den kommunalen Finanzausgleich und zusätzlich durch andere finanzielle Belastungen über Umlagen an Landkreise und Schulträger. Das stellt sich grundsätzlich in südhessischen Ballungszentren anders dar als im spärlich besiedelten Nordhessen.
Die Kombination dieser Faktoren bringt viele Kommunen in ein Dilemma: Während sie mit sinkenden Einnahmen und Kürzungen im kommunalen Finanzausgleich kämpfen, drohen gleichzeitig steigende Umlagen. Was bedeutet das konkret?
Grundsteuerhebesätze und ihre doppelte Wirkung
Durch die Neubewertung der Grundstücke und die Reform der Grundsteuer geraten die Kommunen in eine Zwickmühle. Wer die Hebesätze senkt, spart seinen Bürgerinnen und Bürgern zwar Geld, muss dafür mit finanziellen Nachteilen im Kommunalen Finanzausgleich (KFA) rechnen. Denn die Schlüsselzuweisungen, die Kommunen aus dem KFA erhalten, werden auf Basis eines landesweiten Durchschnittshebesatzes berechnet. Kommunen mit niedrigeren Hebesätzen gelten hier als „finanzstärker“ – auch wenn sie das in der Realität oft nicht sind.
Steigende Kreis- und Schulumlagen
Die Problematik endet jedoch nicht beim KFA. Auch die Kreis- und Schulumlagen, die die Kommunen an die Landkreise und Schulträger abführen müssen, sind eng mit der Grundsteuerbemessung verknüpft. Diese Umlagen werden als Prozentsatz der sogenannten Steuerkraftsumme berechnet, die wiederum die Höhe der kommunalen Einnahmen aus der Grundsteuer berücksichtigt. Das heißt:
Kommunen mit höheren Hebesätzen und damit höheren Einnahmen zahlen auch höhere Umlagen. Kommunen, die ihre Hebesätze senken, senken zwar ihre Steuerkraftsumme, profitieren aber nicht zwangsläufig, da die Landkreise und Schulträger darauf reagieren könnten, indem sie ihre Umlagesätze anheben, um ihre eigenen Einnahmen zu stabilisieren. Das werden auch die nordhessischen Kreise tun müssen.
Das Ergebnis: Kommunen mit sinkenden Hebesätzen könnten sich am Ende nicht nur mit geringeren KFA-Zuweisungen konfrontiert sehen, sondern auch mit steigenden Umlagen, die ihre Haushalte zusätzlich belasten. Der finanzielle Spielraum wird dadurch weiter eingeengt.
Regionale und strukturelle Verschiebungen mit Konsequenzen für die Handlungsfähigkeit
Diese Entwicklung trifft besonders strukturschwächere Regionen – etwa Nordhessen – hart. Während finanzstärkere Kommunen im Süden mit höheren Grundsteuerwerten und stabilen Einnahmen ihre Umlagen besser verkraften können, geraten Kommunen im Norden stärker unter Druck. Das führt zu einer doppelten Belastung: Sie müssen steigende Umlagen schultern und bekommen gleichzeitig weniger Geld aus dem Finanzausgleich.
Die Kombination aus sinkenden Schlüsselzuweisungen und steigenden Umlagen bedroht die kommunale Handlungsfähigkeit vieler Städte und Gemeinden. Für Bürgerinnen und Bürger könnte dies bedeuten, dass wichtige Investitionen – etwa in die Infrastruktur, Bildung oder den sozialen Wohnungsbau – auf der Strecke bleiben. Auch der Druck, andere Steuern wie die Gewerbesteuer anzuheben, könnte wachsen. Besonders für wirtschaftlich schwächere Kommunen wäre das eine riskante Strategie.
Fazit: Ein Balanceakt mit Risiken
Die Grundsteuerreform spiegelt gerade die Widersprüche und Wechselwirkungen im hessischen Finanzsystem. Kommunen, die ihre Hebesätze senken, um ihren Bürgern entgegenzukommen, riskieren finanzielle Nachteile – nicht nur durch den kommunalen Finanzausgleich, sondern auch durch steigende Umlagen. Ohne eine Reform dieser Mechanismen droht vielen Kommunen eine finanzielle Schieflage. Insbesondere strukturschwächere Regionen könnten langfristig in Not geraten.
Ein nachhaltiger Ausgleich zwischen kommunalen, Kreis- und Landesinteressen scheint zur Friedenswahrung dringend nötig. Die Landesregierung steht vor der Verantwortung, Regelungen zu schaffen, die diese Wechselwirkungen entschärfen und sicherstellen, dass die Reform ihrem ursprünglichen Ziel – mehr Gerechtigkeit – tatsächlich gerecht wird.
Ein Thema, zu dem die Regierungsparteien in Hessen bisher noch keine Lösung und die alten sowie neuen Alternativen zu den „Altparteien“ keine Meinung haben. Sie merken vielleicht schon, das eignet sich so gar nicht für Bauernfängerei, weil es so ganz schwer zu erklären ist …
Ihr
Rainer Sander
2 Kommentare
Super ! Endlich mal einer der erklärt, wie schädlich Bürokratie sein kann.
Dazu kommen dann auch noch die hohen Kosten der Berechnung und mit Sicherheit die große Zahl von Klagen.
Am Ende gewinnt immer die Bank.