Karl-Heinz Härtl, Brüder Grimm und Huskies in Kassel geehrt
KASSEL. Bescheiden versteckt sich die „Wolfs-Passage“ in der Kasseler Wolfsschlucht 27. Sie führt zu einem Fotostudio, einem Nagelstudio, zu Physiotherapie, Orthopädie, Krankenkasse, Personalvermittlung, Beleuchtungsfirma oder Immobilienmakler. Interessanter ist, wer sich auf den kühlen Steinfliesen des Trottoirs inzwischen verewigt hat.
Das Netzwerk Nordhessen, dem sich bereits einige Partner angeschlossen haben und das von namhaften Unternehmen, wie der Kasseler Sparkasse unterstützt wird, hat hier einen kleinen „documenta-Stadt Boulevard“ angelegt: Die Mall of Fame mit Sternen für Personen und Persönlichkeiten aus Nordhessen oder Vereine aus der Metropole und ihrem Umland. Die bisherigen Sterne tragen die Namen von Antonia Ringborg, The Bates, Thorsten Bauer, Elisabeth Selbert, Sabine Wackernagel und Thomas Stellmach.
„Ewiges Leben“ (Sempervivum) für Dr. Walter Lübcke
Am gestrigen Fronleichnamstag sind vier weitere, unter der Moderation von Schauspielerin Natalie Nowak und Carsten Viernau, hinzugekommen: die Brüder Grimm, Dr. Walter Lübcke, Karl-Heinz Härtl und die Kassel Huskies. Höhepunkt der Veranstaltung – zugleich Familienfest mit der Roten Rübe – war allerdings die Namens-Taufe einer neuen Pflanze. Karl-Heinz Härtl hat in seiner Gärtnerei in Niedenstein eine neue Pflanze aus der Gattung Sempervivum gezüchtet, die ab sofort unter einem ganz besonderen Namen registriert ist: das „Dr. Walter Lübcke Sempervivum“.
Gärtnermeister Karl-Heinz Härtl, dessen Sohn Florian maßgeblich an der Züchtung mitgewirkt hat, hatte den Wunsch, dass der Name Dr. Walter Lübcke in die ganze Welt getragen wird durch eine Pflanze, die in Niedenstein geboren wurde. Er war ein Mensch, der für Nordhessen gebrannt hat. Begleitet mit den Sounds of Silence von Dr. Wolfram Boder am Saxofon hielt der amtierende Regierungspräsident Mark Weinmeister die Laudatio für seinen ermordeten Vorvorgänger.
Erinnerung an den Menschen und nicht an das Opfer
Er hätte lieber jemanden geehrt, der noch lebt und bei seinem Freund sowie Amtsvorgänger Walter habe er immer gedacht, „so jemand kann keine Feinde haben.“ Er sei immer natürlich geblieben, im Herzen ein Waldecker, der ins Wolfhager Land eingeheiratet hat. Walter konnte man nicht übersehen. Wo Menschen waren, ging es ihm am besten. Lübcke habe nie den Anspruch gehabt, seine eigene Meinung durchzusetzen. Vielmehr war ihm an Kompromissen gelegen, die zum Wesen der Demokratie gehören. So habe er auch oft gezweifelt über seine eigenen Entscheidungen, selbst darüber, ob der Satz in Lohfelden richtig gewesen ist. Weinmeister habe ihm damals gesagt, „was man denkt, muss man auch sagen!“
In Anwesenheit dessen Sohnes Christoph wolle er lieber an den Menschen und nicht an das Opfer Walter Lübcke erinnern. Er habe in jeder Situation versucht, etwas hinzubekommen, und er hätte sich sicher gefreut, vor allem über das Fest. Walter war ein absoluter Europäer und die Ehrung mit dem Sempervivum (Bedeutung: Ewiges Leben) sei ein wichtiges Zeichen vor der Europawahl.
Ehrung für Karl Heinz Härtls Lebenswerk
Nicht nur der mit der Pflanzenzucht Beschenkte, sondern auch der Züchter wurde geehrt. Natalie Nowak schilderte Karl Heinz Härtl als „Mensch mit sooo einem großen Herzen“ und Sonja Rossettini blickte in der Laudatio auf die Lebens- und Schaffensstationen des Gärtnermeisters und Pflanzensoziologen zurück. Begonnen hatte er seine berufliche Laufbahn im Botanischen Garten in Kassel und nach dessen Schließung im Stadtgartenamt fortgesetzt. Dort durfte er mit Joseph Beuys gemeinsam zur documenta 7 einen Großteil der 7.000 Bäume pflanzen. Die Verbindung von Kunst und Natur stand stets im Mittelpunkt seiner Arbeit. Er setzte immer auf die Versöhnungskraft der Natur und die Versöhnung mit der Natur.
Als Gutachter und Beauftragter war er deutschland- und teilweise europaweit im Einsatz und politisch immer auf Seite der Schwächeren. Über Walter Lübcke begann die Zusammenarbeit mit dem RP, die erst im vergangenen Jahr mit dem Ausstieg des Regierungspräsidiums aus dem Projekt zum Erhalt des Frauenschuhs beendet wurde. Seine Schwebende Steine, die in einem Buch dokumentiert sind, gelten als Friedensbotschaft für ein natürliches Miteinander in der Natur. Viele Arten sind ohne andere Arten nicht lebensfähig.
Artensterben gravierender als Klimawandel
Die „Gemeinschaft im Gleichgewicht“ und „Friedliche Koexistenz“ gelten genauso in der Pflanzen- und Tierwelt, wie in der Menschenwelt. Es gehe um ein respektvolles Miteinander auf diesem Planeten. In einem neuen Projekt kümmert er sich beispielsweise um die Renaturierung von Schottergärten. Die Natur kann nicht sprechen, sagt aber immer die Wahrheit.
Der dankbare Geehrte selbst erinnerte daran, dass durch den Verlust von vier bis fünf Arten jeden Tag mehr Lebensperspektive verloren geht, als durch den Klimawandel. Aber: „Wir schaffen das!“ Ob die „Jury“ dem auf diese Weise Ausgezeichneten tatsächlich einen Gefallen getan hat? Das Lebenswerk von „Kalle“ Härtl ist eigentlich noch lange nicht beendet und der leidenschaftliche Natur- und Artenschützer hat tatsächlich noch eine Menge vor.
Mehr als „nur“ Märchen
Bernhard Lauer nahm die Ehrung der Brüder Grimm vor, die 200 Jahre zurück als Söhne eines Amtmanns aus Steinau nach Nordhessen kamen. Über die Literatur des Mittelalters und der Romantik gelangten sie zu den Märchen und Sagen, mit denen sie berühmt geworden sind. Die Sammlung ist das meistgelesene Buch in Deutschland nach der Bibel. Märchen, so Lauer, vermitteln, dass man mit Klugheit und Wahrheit vorankommen kann. Dass sie nicht nur Märchen erzählt haben, werde auch in ihren Worten an das deutsche Volk deutlich. Das Wirken besser mit Kassel zu verbinden, sei immer noch eine Aufgabe. (Rainer Sander)