Zum Tod von Bernd Siebert
GUDENSBERG. Gibt es einen eigenen Himmel oder womöglich auch eine eigene Hölle für Politiker? Gelegentlich könnte das sinnvoll sein …? Ganz sicher nicht für Bernd Siebert, der gestern Morgen – zwar nach längerer Krankheit – aber doch unerwartet nicht mehr aus einer eigentlich erwartungsreichen Nacht aufgewacht ist.
Eigentlich nämlich wollte er gestern zum CDU-Landesausschuss – dem sogenannten „Kleinen Parteitag“ – nach Frankfurt reisen und über den Koalitionsvertrag mitentscheiden. Die Klinikärzte rieten ab, eine Videopräsenz wurde stattdessen vorbereitet. Dazu kam es nicht mehr.
Bernd Siebert war ein Politiker, der nicht auf Bigpoints fixiert gewesen ist, nicht ein Ministeramt angestrebt und doch seinen Einfluss Jahr für Jahr, Legislaturperiode für Legislaturperiode ausgebaut hat. Es waren schließlich weniger die Ämter, die ihn ausgemacht haben, sondern vielmehr seine Präsenz, seine Persönlichkeit, seine Zuverlässigkeit und auch seine Nähe. Die Nähe zu den Menschen beispielsweise, die mit ihm zusammengearbeitet haben. Er war in seinem Einflussbereich Chef, aber er konnte auch Trainer, Berater oder Supervisor sein. Die Reaktion eines politischen und privaten Begleiters ist kennzeichnend:
Mark Weinmeister, Regierungspräsident in Kassel und drei Jahrzehnte Weggefährte Sieberts, hat die Nachricht schwer getroffen: „Bernd war für mich mehr als ein Freund, er war ein Vater, ein Vertrauter, ein unglaublicher Mensch mit ganz viel Herz und Empathie.“ Der Satz, der folgt, verrät viel über den Menschen Bernd Siebert und seine Rolle in der politischen Schlangengrube: „Wir wussten alles voneinander und ohne ihn wäre ich nicht dort, wo ich jetzt bin.“ Er habe ihm so viel zu verdanken, „dass ich mir gar nicht vorstellen kann, dass er nicht mehr ist.“ Er fühle sich bis ins Mark getroffen, sagt Weinmeister.
Dabei sind echte Freunde im Politkarussell, das sich vermeintlich nur dank persönlicher Antriebsenergien dreht, die Ausnahme. Es waren nie diese oberflächlichen Arrangements und Kompromisse, die Bernd Siebert eingegangen ist. Eine Spanne von 30 Jahren als Abgeordneter, zuerst von 1991 bis 1994 im Hessischen Landtag und nahtlos von 1994 bis 2021 im Bundestag ist ungewöhnlich lang. Die durchschnittliche Bundestagszugehörigkeit der CDU-Abgeordneten liegt aktuell bei 9 Jahren, bei allen anderen Parteien noch deutlich niedriger. Eine Zeit, die niemand erfolgreich durchzieht, der sich egoistisch durchmogelt. Bernd Siebert ist mit den Menschen, Kollegen und Parteifreunden immer klar, ehrlich und authentisch umgegangen. Es gab nie Zweifel daran, dass das, was Bernd Siebert ist, auch die Person Bernd Siebert ist.
Er hat gleichwohl die politischen Strategien beherrscht, wie kaum ein anderer, aber stets ohne Ressentiments oder Druck. Es gab keine Feinde in der Politik, weil er selbst niemanden zum Feind erklärt hat. Die innerparteilichen Karriereschritte kamen langsam, dafür nachhaltig als Vorsitzender der Hessischen Landesgruppe oder als Verteidigungspolitischer Sprecher der CDU auf dem Höhepunkt des Afghanistan-Einsatzes. Unterbrochen wurde der Weg zweimal ironischerweise durch die Wahlerfolge der CDU, als die Partei fast alle Wahlkreise bis auf die Nordhessischen gewann und selbst der beste Listenplatz deshalb nichts nützte. Zweimal konnte er erst später nachrücken.
Die Dauer und die unglaubliche Belastbarkeit seiner Verbindungen in Bonn, Berlin und auch Wiesbaden haben sich ausgezahlt. Zwei Jahrzehnte lang kamen zum Schwälmer Heringstopf, dem Neujahrsempfang der Schwalm-Eder CDU, die hochrangigsten CDU-Politiker an den Silbersee in Frielendorf. Heute würden keine Hubschrauber der Bundeswehr mehr in Fritzlar fliegen und wären nicht so viele Soldaten in Schwarzenborn stationiert, hätte Bernd Siebert hier nicht sein ganzes Gewicht in die Waagschale geworfen. Ohne sein Engagement hätte es vielleicht auch den Airport Kassel-Calden nicht gegeben und manches Andere in Nordhessen auch nicht.
Es war seine stets heiter-ironische Art, dem Leben zu begegnen und seine Eigenschaft, sich selbst nicht allzu sehr ernst zu nehmen, die ihm die Gelassenheit gaben, mit Selbstironie Wege zu beschreiten: „Mehr Gewicht für Schwalm-Eder“ lautete einmal sein zweideutiger persönlicher Wahlslogan. Seine Ämter und Funktionen in Land, Bezirk und Kreis hat er Stück für Stück seit 2018 abgegeben, ohne dass seine Stellungnahmen und Positionen an Gewicht und Kraft verloren hätten. Er war bis zum letzten Tag eine gefragte Institution in der Hessen- und Bundes-CDU. Nichts, womit man flüchtige Begegnungen belohnt, sondern Kontinuität, Verlässlichkeit und Beständigkeit.
Auf Bernd Siebert konnte man sich verlassen. Das wusste niemand besser als die CDU-Kreistagsfraktion. Ihr gehörte er seit 1972 und bis jetzt an. 18 Jahre war er außerdem Stadtverordneter in seiner Heimatstadt Gudensberg. Dies unglaubliche kommunalpolitische und ehrenamtliche Kontinuität und Konsequenz haben dafür gesorgt, in Wiesbaden und vor allem Berlin die Bodenhaftung nicht zu verlieren. Die ausgedehnte jährliche Sommerbereisung seines Wahlkreises war für viele kleine Ortsverbände gelegentlich eine gefühlte Last, hat aber dazu beigetragen, sich überall Geltung und Respekt zu verschaffen. Denn auch das Interesse an Betrieben und Institutionen in der Heimat war stets echt. Und wenn etwas nicht echt war, hat Bernd Siebert das auch nicht gemacht. „Wenn ich auf eine Kirmes feiern gehe, dann merken die Menschen, dass ich das nicht bin“, hat er mal gesagt. Diese Art von Volksnähe war nicht die Seine, echte Nähe durchaus.
So geradlinig, wie er war und seine Wege verliefen, so gut konnte er auch mit Menschen umgehen, die anders tickten als er. Künstler und Querdenker (als der Begriff noch nicht negativ besetzt war) haben ihn stets herausgefordert und inspiriert. In Menschen, die andere Wege gingen, konnte er sich hineindenken. Eine wertvolle Eigenschaft. Echte Freunde hatte Siebert übrigens nicht nur in der CDU. Parteiübergreifend war er anerkannt und respektiert.
Gestorben ist Bernd Siebert am 16. Dezember 2023 so, wie er gelebt hat. Ohne Stress, ohne Qual, aber unter Spannung bis zum letzten Moment und vielleicht mit der gleichen großen Selbstverständlichkeit wie bei Allem im (politischen) Leben. Vom Eintritt in die Junge Union 1969, als Woodstock das beherrschende Jugendthema gewesen ist, bis gestern. Auch der Aufenthalt im Krankenhaus war kein Hinderungsgrund für Aktivität und wache Gedanken.
Wir waren „per Du“ und deshalb darf ich sicher sagen: Dort, lieber Bernd, wo Du jetzt bist, wirst Du viele Menschen wiedertreffen, von denen sich keiner abwenden wird, weil Du kommst. Kein Frank Martin Neupärtl hier im Kreis, kein Bezirksvorsitzenden-Kollege wie Manfred Schaub, kein Walter Wallmann, kein Helmut Kohl. Sie werden sich freuen, dass Du auftauchst und auch diejenigen, die irgendwann folgen, weil wir alle folgen werden und die von Dir gelernt haben, wie das läuft in der Politik, aber jetzt Schritte ohne Dich gehen müssen, werden Dir irgendwann im Himmel – wie ich vermute – nichts vorwerfen können. Schon gar nicht, Du hättest sie falsch beraten. Deine Frau Erika hat mir gestern Deine innere – und bezeichnende – Einstellung für diesen letzten Gang verraten: „Wenn’s im dicken Buch geschrieben steht …“ Es stand wohl dort.
Dein
Rainer Sander