SCHWALMSTADT. Wir können das ganz gut in Deutschland. Es geht nicht unbedingt darum wie wir etwas meinen. Manchmal ist es wichtiger, was wir hätten meinen können und schließlich wie es andere verstehen oder hätten verstehen können. Und zu guter Letzt sprechen Juristen dann noch ihre eigene Sprache.
In Neukirchen (Knüll) gibt es einen Teich, in dem drei Kinder auf tragische Weise um Leben gekommen sind. Zwei konnten schwimmen, eines nicht. Man darf gar nicht darüber nachdenken, wie sich Eltern fühlen, wenn sie von einer Minute auf die andere drei Kinder verlieren…
Trauer können wir in Deutschland aber nicht so gut. Das kommt in Deutschland immer etwas verkrampft. Wenn dann alles juristisch aufgearbeitet werden muss, verdrängt die Sachlichkeit jeden Rest von Trauer. Die Eltern müssen vor Gericht vorsichtig sein, weil ihnen mangelnde Aufsichtspflicht angelastet werden könnte. Darauf wird hingewiesen. Staatsanwaltschaft und Verteidigung müssen sich streitbar begegnen, das geben Sitz- und Prozessordnung so vor.
Die Zuhörer haben still zu sein, selbst ein Raunen ist unerwünscht. In aller Sachlichkeit wird ausverhandelt, was schwer zu bewerten ist. Wenn irgendein Wasser zum Feuerlöschen benutzt wird, dann fragt kein Mensch nach seiner Beschaffenheit. Hauptsache nass und vorhanden! Wird es im Plan als eventuelle Reserve genannt, dann ist es ein Löschwasserreservoir. Das heißt aber nur, es ist verlässlich da, mehr nicht. Weniger auch nicht.
Ist es ein Löschwasserteich, dann gibt es Vorschriften. Eine DIN und EN (Deutsche und Europäische Norm) – bei Löschwasserteichen die Nummer 14210 – geben vor, wie er beschaffen sein muss. Auch dass er eingezäunt – oder befriedet – sein muss. Allerdings ursprünglich, um den Teich und damit die Löschsicherheit zu schützen, nicht primär, um das Baden oder Reinfallen zu verhindern.
Umgangssprachlich ist das ein Feuerlöschteich und als solcher wurde der Teich in Seigertshausen sogar offiziell mal bezeichnet: bevor es eine DIN-Norm dafür gab. Dieser Begriff hat eigentlich gar keine Bewandtnis… Oder war doch Löschwasserteich gemeint, aber nicht gesagt? Und wenn das Reservoir fest eingeplant ist, ist es dann nicht faktisch doch ein Löschwasserteich? Aber selbstverständlich nicht, wenn es natürlichen Ursprungs ist und von einem Bach durchflossen wird. Oder doch?
Das muss ein Gericht – ein nordhessisches Gericht in Schwalmstadt jetzt klären. Was so eindeutig wirkt, muss es vor Gericht nicht zwangsläufig auch sein. Und dann kommt die sogenannte Verkehrssicherungspflicht hinzu. Das meint, dass alles und jeder, der sich durch eine Kommune bewegt, einen Anspruch darauf hat, dies sicher und unbeschadet tun darf! Also nicht in Löcher zu fallen, keine Äste auf den Kopf zu bekommen, nicht von umstürzenden Mauern erdrückt zu werden und vielleicht auch nicht in einem See zu ertrinken.
Das mit dem See könnte schwer werden. Muss ein Nichtschwimme so klug sein, dass er nicht in zwei Meter tiefes Wasser geht oder muss man ihn daran hindern, dass er es tun könnte? Müssen an erreichbaren Stellen zwingend Treppen und Ausstiegshilfen angebracht sein? Wie viel Konsequenz müssen wir aufbringen, damit unsere Kinder wieder alle Schwimmen lernen? Wie viele Schilder müssen wir aufstellen, die ein Kind gar nicht lesen kann?
Vor fünf Jahren ist in Frielendorf-Welcherod ein Mann in einer Pfütze ertrunken. Weder ein Schwimmkurs noch ein Schild, hätten das verhindert. Als dieselbe Gemeinde im Silbersee eine Ponton-Sauna am WellnessParadies plante, sollten Saunagäste zur Abkühlung einfach in den Teich springen dürfen. Da mahnten die Juristen, dann sei eine Badeaufsicht nötig, die es sonst in dem Gewässer nicht geben müsse. Die Finnen, die uns immer eine lange Nase machen, wenn Europa PISA-Studien durchführt, würden sich kaputtlachen, wenn ihre Saunen an den zahllosen und saukalten finnischen Seen beaufsichtigt werden müssten.
Je nachdem wie das Urteil in Schwalmstadt ausfallen wird, könnte es sein, dass im Grunde jedes Wasser einen Zaun braucht. Nicht, weil es gefährlich ist, im Twistesee, im Edersee, im Silbersee oder dem Singliser See zu baden, Nein, weil man nicht weiß, wie es im Ernstfall ausgelegt wird, weil wir für jeden tragischen Unglücksfall auch einen Verantwortlichen brauchen. Und weil kein Bürgermeister und schon gar kein ehrenamtlicher Magistrat seine ganze Amtszeit über abends mit dieser Ungewissheit ins Bett gehen will, wäre es dann folgerichtig, so viele Gewässer wie möglich vor der Bevölkerung zu schützen und mit einem möglichst hohen Zaun zu versehen. „Er (oder sie) hätte doch wissen müssen, dass da ein Stein liegt, über man hätte hineinstolpern können…“
Ihr
Rainer Sander