Landwirte gegen Jäger? Schutzlos gegen DNA-Virus?
Kassel | Baunatal. Vor längerer Zeit schon hat sie über den Kaukasus den Weg an der Türkei vorbei nach Europa gefunden. Über Russland, die Ukraine und Weißrussland, hat sie die baltischen Staaten quasi überrannt. Inzwischen ist die Afrikanische Schweinepest ASP in Ostpolen und einem kleinen Flecken in Tschechien angekommen, die Verbreitung erfolgt fast ausschließlich über die Wildschweine. 400 Kilometer trennen die Tierseuche noch von den ersten deutschen Regionen im Osten.
Da kommt womöglich Schlimmeres auf Sachsen zu, als eine Handvoll Flüchtlinge. Und das über Grenzen, die sich nicht schließen lassen, wie auf einer Informationsveranstaltung des Regierungspräsidiums Kassel in der Baunataler Stadthalle am Freitagabend deutlich wurde. Die ersten Parallelen werden dennoch deutlich, als ein Landwirt die Schließung aller Grenzen nach Osten fordert. Theoretisch kann aber jedes Auto die DNA-Viren transportieren und 9 Millionen LKW-Transporte jährlich lassen sich unmöglich mikrobiologisch untersuchen, genauso wenig wie mehrere Tausend Kilometer Wildschutzzäune entlang der Grenze realisierbar wären.
Nicht hochansteckend und ungefährlich für Menschen
Eines ist dennoch erfreulich: die afrikanische Schweinepest ist nicht in dem Maße wie die bekannte Schweinepest oder die Maul- und Klauenseuche hoch ansteckend. Das macht sie für den Nutztierbestand theoretisch beherrschbar, allerdings nur, wenn man – quasi mit deutscher Gründlichkeit – einige Regeln beachtet und wenn Jäger mit Landwirten zusammenarbeiten.
Zur Übertragung sind direkte Kontakte über Blut, Futter oder Begegnung notwendig. Ein Bauernhof lässt sich relativ gut schützen, der Wald hingegen fast überhaupt nicht. Die Natur kennt auch keine Grenzen, jedenfalls nicht für Schwarzwild. In manchen befallenen Regionen sind nahezu alle Wildschweine betroffen oder gefährdet und die schrecklichen Bilder aus dem Baltikum – von überall rumliegenden Schwarzwild-Kadavern – wollen Karl Apel und Eva Frenzel (Hessisches Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz – HMUKLV) sowie Dr. Gisela Isa und Dr. Britta Deppe (Regierungspräsidium Kassel – RP) den Nordhessen gerne ersparen.
Sorgsam mit Abfall umgehen – vor allem an Autobahnen
Im Fleisch toter Wildschweine überleben Erreger bis zu 18 Monate. An der Luft ungekühlt immerhin etwa drei Monate. Auch Zecken können die Erreger lange „speichern“ und noch nach Jahreszyklen wieder abgeben. Auf andere Tierarten oder gar Menschen ist die Krankheit nicht übertragbar. An Kleidung oder durch unsorgsamen Umgang mit Lebensmitteln können wir allerdings zur Verbreitung beitragen. An jeder Autobahn aus Richtung Osten reichen weggeworfene Essensreste, um die DNA-Viren – von Wildschweinen am Straßenrand aufgefunden – zu verbreiten.
Das Schwarzwild ist nicht Verursacher, sondern Leidtragender, aber über die Wildschweine kam die Pest in unserer Nähe. So streben HMUKLV und RP präventive Maßnahmen gegen die Verbreitung an. Ein einzelner Betrieb lässt sich mit konsequenter Futterhygiene, Verhindern des Kontaktes zu Wildschweinen und entsprechender Vorsicht bei An- und Abfahrt sowie Kleidung relativ gut schützen. So sind auch im Baltikum immer weniger Nutzviehbestände betroffen.
Schlüssel gegen die Ausbreitung: Schwarzwildbestand
In einem stark ausgedünnten Schwarzwild-Bestand wird sich die afrikanische Schweinepest sehr langsam verbreiten. Wenn es eine Chance geben sollte, sie zu stoppen, dann durch drastische Reduzierung der Bestände, die allerdings gerade jetzt europaweit so groß sind, wie nie zuvor. Milde Winter, frühere Fruchtbarkeit der Frischlinge und andere Faktoren kommen begünstigend zusammen. Selbst in den Städten leben inzwischen Wildschwein-Rotten.
Existenz bedroht
Eines wird mit der Veranstaltung deutlich: Die Landwirte haben Angst um ihre Existenz. Das Ministerium macht klar: Ist ein Betrieb betroffen, so wird der Bestand getötet und im Umkreis von 3 Kilometern ein Sperrbereich errichtet. Ein Beobachtungsbereich reicht über 10 Kilometer. Erst 45 Tage nach Entwarnung erfolgt die erneute Freigabe. Aus den betroffenen Regionen dürfen keine Produkte von Schweinen mehr verkauft oder produziert werden. Außerhalb der EU wird es Länder geben, die gar kein deutsches Schweinefleisch mehr abnehmen, sollte die Seuche die Bundesrepublik erreicht haben. 30 Prozent der Schweinefleischproduktion wird aber exportiert und auch deutsche Verbraucher werden plötzlich kein Schweinefleisch mehr essen, obwohl der Erreger auf den Menschen nicht übertragbar ist.
Ein massiver Verfall der Schweinefleisch-Preise und ein enormes Überangebot wird die Existenz von Betrieben gefährden. 95 Prozent der Betriebe sind als Kleinbetriebe besonders existenzbedroht.
Jäger als Selbstvermarkter?
Es scheint so, als läge die Last der Verantwortung jetzt bei den Jagdverbänden und Jägern, die ihrerseits klagen, dass sie Wild-Fleisch kaum vermarkten können und stellenweise einen unberechtigt schlechten Ruf genießen. Der Verband darf nicht helfen, weil er gemeinnützig ist, Jäger stehen vor hohen Auflagen, was Schlachtung und Verarbeitung betrifft und Supermarktketten haben klare Vorstellungen, zu welchen Zeiten sie wie viel Fleisch abnehmen können.
Das Ministerium wird daran arbeiten, jede Form von Kooperationen zwischen Schlachtern und Jägern zu unterstützen. Oft, so Apel, können hier unbürokratisch im Rahmen bestehender Regeln Joint Ventures ermöglicht werden. Also das zukünftige Motto: „Esst mehr Wildschwein!“ Kreativität und Engagement sind gefragt. Panik jedenfalls ist unangebracht, Sorge aber berechtigt und wirtschaftlicher Schaden kann reduziert werden, wenn alle Hand in Hand arbeiten. (rs)