
Das Parkdeck in realer Schönheit - ohne Schloss © Foto: Rainer Sander
Stadtverordnete fürs moderne Bauna-Center
BAUNATAL. Auch wenn es der Traum vieler Romantiker und Nostalgiker gewesen wäre: Baunatal wird nun doch nicht mit einer historischen Fachwerk-Altstadt samt malerischem Schloss zur touristischen Hochburg ausgebaut. Unser Aprilscherz sorgte heute für reichlich Gesprächsstoff und Schmunzeln …
… Für alle, die sich anschauen wollen, wie das Glücks Königreich in Obihiro aktuell aussieht, verlinken wir hier gerne ein relativ aktuelles Youtube-Video.
Da halfen weder langfristige Mietverträge noch Bürgschaften. Tatsächlich liegt die wahre Entscheidung der Stadtverordnetenversammlung gar nicht so fern von den großen Visionen: Tatsächlich ging es in der gestrigen Sitzung nämlich um die echte und nicht minder kontrovers diskutierte Zukunft des maroden Parkdecks am Europaplatz, dem sogenannten Bauna-Center.
Harte Fakten statt Träumereien
Im Gegensatz zur erfundenen Fachwerk-Idylle ging es in der Debatte um harte Fakten, handfeste politische Streitigkeiten und sehr reale Auseinandersetzungen zwischen den Fraktionen SPD/CDU sowie Bündnis 90/Die Grünen/FDP. Am Ende einer emotionalen Sitzung setzte sich der pragmatische Vorschlag von SPD und CDU deutlich durch.
Das Jahr 2007, in dem das Glücks Königreich in Hokkaido geschlossen wurde, war auch das Jahr, in dem der Masterplan für Baunatal vorgestellt wurde. Seit diesem Tag, also seit 18 Jahren, ist bekannt, dass man hier gute Ideen einbringen kann. Die Investoren standen nicht Schlange und ob ein neuer Aufruf daran etwas ändern würde, ist fraglich, denn in Immobilienkreisen spricht sich herum, wenn es spannende und ertragreiche Chancen für Investments gibt. Und es kann, aber es muss nicht immer schlau sein, wenn einer sagt: „ich will“, dann plötzlich festzustellen, man könnte auch noch mal ein paar andere fragen. Das abzuwägen war wohl die vornehme Aufgabe der Stadtverordneten zu Baunatal am gestrigen Abend.
nh24 hat die Vorschläge von SPD/CDU und die Idee von Bürgermeister Henry Richter, den GRÜNEN und der außerparlamentarischen Richter-Unterstützer (Wählergemeinschaft Gemeinsam für Baunatal) bereits vorgestellt.
Rodenberg (SPD): „Kein Wolkenkuckucksheim“
Udo Rodenberg (SPD) eröffnete die Diskussion mit dem Hinweis, dass das Projekt bereits seit 2007 geplant sei, aber aufgrund gerichtlicher Intervention zunächst stockte. Er betonte, dass man heute nur einen einzigen ernsthaften Investor habe, der ein konkretes und realistisches Konzept vorgelegt habe: Einzelhandel, Gastronomie und dringend benötigten Wohnraum. „Wir brauchen jetzt eine pragmatische Lösung und kein Wolkenkuckucksheim“, so Rodenberg: „Der Markt hat längst anders entscheiden!“ Er warf Bürgermeister Henry Richter und den GRÜNEN vor, den Investor „vier Monate hängen gelassen“ zu haben. Ein Bebauungsplan sei eine Selbstverständlichkeit, ein Städtebaulicher Vertrag ebenfalls.
Klein (Grüne): „SPD und CDU leben in Allmachtsfantasien“
Martina Klein (Bündnis 90/Die Grünen) reagierte empört auf die Vorwürfe von SPD und CDU. Seit 19 Jahren sei beim Parkdeck nichts passiert. Die Grünen hätten längst eine interfraktionelle Diskussion eingefordert, die von SPD und CDU aber abgelehnt worden sei. Sie attackierte die beiden Fraktionen scharf: „Sie lehnen Gespräche mit anderen Fraktionen ab und leben in Allmachtsfantasien!“ Es gehe SPD und CDU offenbar nur darum, „die Medien zu beflügeln und die Bevölkerung zu spalten“, so Klein. Ihre Fraktion verlange unter anderem Transparenz, eine Bonitätsprüfung, die Einhaltung energetischer Standards und ein europaweites Vergabeverfahren.
Bei dieser Gelegenheit: Die zahmen Vögel singen von der Freiheit, die wilden fliegen. nh24 wird nicht „beflügelt“. Wir können nicht für andere sprechen, haben selbst aber große Freude am Fliegen! 😉
Mock (CDU): „Ich lasse mir nicht verbieten, mit Investoren zu reden“
Andreas Mock (CDU) reagierte heftig auf Kleins Vorwürfe und warf Bürgermeister Richter seinerseits vor, in einer Mail den Investor davor gewarnt zu haben, privat mit Parteien zu sprechen. „Ich lasse mir nicht verbieten, mit Bürgern und Investoren zu reden“, erwiderte Mock kämpferisch und kritisierte Martina Kleins Äußerung über Allmachtsfantasien. „Sie werfen uns Kommunikationsprobleme vor, aber der Bürgermeister hat sich doch selbst ohne uns mit dem Investor getroffen.“
Bürgermeister Richter: „Wir sind gar nicht so weit auseinander“
Bürgermeister Henry Richter verteidigte sich ausführlich und wies Vorwürfe der Geheimhaltung zurück. Schon seine Amtsvorgängerinnen Silke Engler (SPD) und Manuela Strube (SPD) hätten Gespräche geführt. Richter bestätigte, mit dem Investor gesprochen, aber bewusst keine bindenden Vereinbarungen getroffen zu haben, um zunächst offene Fragen zu klären – beispielsweise zu möglichen Ankermietern wie Woolworth oder Action sowie den Auswirkungen auf das Stadtbild und vorhandene Parkplätze. „Es geht nicht darum, ob wir das Projekt umsetzen wollen, sondern um das Wie“, erklärte Richter und unternahm einen Versuch der Versöhnlichkeit: „Eigentlich sind wir gar nicht so weit auseinander.“
Oswald (FDP): Rechtliche Unsicherheiten und Bürgerwille
Dr. Rainer Oswald (FDP) äußerte dagegen rechtliche Bedenken. Das Verfahren sei bereits so alt, dass es keine rechtliche Bindung mehr habe. Er begrüßte ausdrücklich, dass der Bürgermeister vorsichtig agiere, auf die Einhaltung der Vergabepflichten achte und hält selbst eine erneute (europaweite?) Ausschreibung für notwendig. „Will es der Bürger? Dann machen wir es!
Borschel (Grüne): Warnung vor Festlegungen
Edmund Borschel (Grüne) hat falsche Meldungen auf Portalen und Medien gelesen und wäre erfreut gewesen, „wenn wir vorher erfahren hätten, was wir heute gehört haben.“ Als Gemeinsamkeiten erkennt er: Das Parkdeck ist dringend sanierungsbedürftig. Eine Öffentlich-Private Partnerschaft ist ok. Stellplätze müssen berücksichtigt werden. Das Gravierende sei die Festlegung auf einen Investor. „Es gab immer Gespräche, von denen wir nichts wussten. Wie konkret waren damals die Pläne? Eine europaweite Ausschreibung muss doch geklärt werden!
Jung (SPD): „Aktueller Bedarf der Konsumenten – Wir müssen handeln“
Erster Stadtrat Daniel Jung (SPD) machte deutlich: „Man führt immer regelmäßige Gespräche!“ Pandemie und einige Krisen in Folgen hätten nicht positiv auf das Investitionsklima gewirkt, „aber hier ist jemand über Jahre hinweg immer wieder gekommen, das spricht für Ernsthaftigkeit.“ Früher Biomarkt, heute Action-Markt, in 10 Jahren wieder etwas anderes. Action habe wenigstens ein Konzept, um dem Online-Handel etwas entgegenzusetzen, „Schauen Sie sich das mal an …! Entscheidend ist, wer jetzt was macht und ob die Stadt wirklich etwas selbst machen kann. Es gibt ein Gesamtkonzept für starke Eingänge in die Innenstadt!“ Konzeptionell müsse man sich über die weiteren Standorte Gedanken machen. Entscheidend sei, jetzt endlich zu handeln!
Stüssel (CDU): Wirtschaftsgemeinschaft weiß, was geht!
Sebastian Stüssel (CDU) sorgte noch einmal für Adrenalin, als er auf den Einzelhandel zu sprechen kam: „Edelboutiquen und feine Herrenausstatter kann selbst die Kasseler Innenstadt nicht mehr halten, aber Baunatal soll das …“, fragte er provozierend und griff Edmund Borschel direkt an: „Als Lehrer bei der Bewertung von Hausaufgaben hätten Sie diese Art der Arbeitsverweigerung und Verzögerungstaktik niemals durchgehen lassen.“ Stüssel verwies auf die klare Positionierung der Wirtschaftsgemeinschaft Baunatal, die weiß was möglich ist und sich deutlich für diese Investorenlösung ausgesprochen habe.
Ergebnis: Deutliche Mehrheit für SPD/CDU
Nach emotional geführter Debatte endete die Abstimmung deutlich: Der Antrag von SPD und CDU erhielt mit 24 Ja-Stimmen eine klare Mehrheit (9 Nein-Stimmen, 4 Enthaltungen). Der Vorschlag der Grünen für ein Konzeptverfahren mit breiter Beteiligung wurde zuvor mit 9 Ja-Stimmen klar abgelehnt (25 Nein-Stimmen, 3 Enthaltungen). Das ist der erste Schritt. In den weiteren geht es um konkrete Planungen und die Änderung des Bebauungsplanes. (Rainer Sander)

