Streit um Fotovoltaik am Odenberg
GUDSENSBERG. Gudensberg zeigte sich gestern Abend von seiner „besten“ und seiner diskussionsfreudigen Seite. Es war die erste Stadtverordnetenversammlung in der beginnenden Ära Best. Stadtverordnetenvorsteher Jochen Noll erinnerte an die letzte Stadtverordnetenversammlung. Die war am 17. Februar und damit genau eine Woche vor der ersten Rakete auf die Ukraine.
Auf den gestrigen Tag genau explodieren nun schon seit einem Monat Raketen und Bomben in der Ukraine. Bürgermeister Frank Börner wurde vor einem Monat verabschiedet und auch die Partnerstädte in Polen und eben Schtschyrez in der Ukraine hatten Grüße geschickt. „Ich bin entsetzt“, so Noll, was dort Schreckliches passiert. Der Partnerschaftsverein ist ganz nah dran. In Gudensberg kennt man die Menschen, die angegriffen werden. Man weiß, wie sie aussehen, wie sie sprechen, was sie denken, was sie in ihrer Freizeit tun und was ihre Sorgen waren. Jetzt haben sie andere Sorgen…
75 Ukraine-Flüchtlinge in Gudensberg registriert
Zum ersten Mal verkündete Bürgermeisterin Sina Best die Mitteilungen. Auch für sie hat der Krieg alles verändert und die ersten Amtstage bestimmt. Im Rathaus hat sie einen Koordinierungsausschuss gebildet und die Fraktionen eingebunden. Die Homepage des Partnerschaftsvereins berichtet tagesaktuell. Die Stadt muss die Ankommenden betreuen, 75 sind bereits in Gudensberg gemeldet. Es wird, so die Bürgermeisterin, darüber hinaus noch mehr Schutzsuchende geben, die sich nicht gemeldet haben. Die Notunterkunft in der Kreissporthalle ist bereit, aber noch nicht belegt. Dank geht an die Gudensberger Feuerwehren und die aus Fritzlar, Niedenstein, Edermünde und Wabern, ohne die das nicht ginge.
Terrano-Bad: Dachdecker und Zimmerer dringend gesucht
Dann war sie ganz bei der Stadtpolitik. „Ich freue mich auf Diskussionen und gute Ideen!“ Eben eine gute Zusammenarbeit. Ein Thema, das in den sozialen Medien und auf der Straße genauso bewegt, ist das Terrano-Hallenbad. Aufträge für Gerüstbau, Rohbau und Edelstahlbecken wurden nach der Ausschreibung vergeben. Dachdecker und Zimmerer wollten auch bei erneuter Ausschreibung kein Angebot abgegeben. Die Vermutung: Komplexe Arbeiten will bei guter Auftragslage niemand haben. Jetzt kann freihändig vergeben werden. Eventuell funktioniert der Zeitplan nicht mehr.
ÖPNV-Verbesserung für Maden und Obervorschütz?
Die Stadt hat dem NVV nahegelegt, Maden und Obervorschütz besser anbinde. Dafür wurde eine Linie 500b vorgeschlagen. Sie könnte halbstündig versetzt fahren. Das würde 3000 Bewohner ansprechen. Der 30-Minutentakt für die Linie 500 sei beim sind NVV ohnehin konkret im Gespräch, wenn das Land dies unterstützt. Eine Linie 500b könnte eine Alternative sein. 1 Million Euro im Jahr würde das kosten. Im Herbst 2022 gibt es ein Ergebnis der Planungen und Kalkulationen, und ein Jahr später könnte die Umsetzung erfolgen.
Walter Schaumlöffel (BL) jetzt im Magistrat
In der Bürgerliste gibt es Veränderungen. Klaus Polter verzichtet auf das Amt im Magistrat. Walter Schaumlöffel rückt dafür nach. Er wurde von Jochen Noll und Sina Best in das Amt eingeführt und verpflichtet.
Fraktionsmittel übertragen
Die Übertragung von Fraktionsmitteln aus dem Jahr 2021, haben die Stadtverordneten zuerst beschlossen. Der Landkreis hatte der Übertragbarkeit zuvor bereits zugestimmt.
- Verena Schellschack (FWG) erklärte den Sachverhalt. Die Fraktionen bekommen für ihre Parlamentsarbeit ein Budget pro Kalenderjahr. Im Jahr 2021 waren Schulungen geplant, insbesondere für die neuen Stadtverordneten. Diese konnten pandemiebedingt erst 2022 stattfinden.
Einstimmig stimmte die Versammlung der Übertragung zu.
Gudensberg will ins Dorfentwicklungsprogramm 2022
Gudensberg will sich für das Förderprogramm zur Dorfentwicklung bewerben. Zwölf Kommunen können aufgenommen werden. Ziel der hessischen Dorfentwicklung ist es, die Dörfer im ländlichen Raum als attraktiven und lebendigen Lebensraum zu gestalten.
- Sandra Gogrefe (SPD) stellte dazu fest: „Fakten und Zahlen zählen“, in einem offenen Dialog und Gesprächen zwischen allen Beteiligten. Es sei wichtig, dass die Entwicklung nun auch in den Stadtteilen voranschreitet. Auch private Baumaßnahmen können dann zwischen 35 und 65 Prozent Förderung erhalten. Bürgerinnen und Bürger müsse man aktiv beteiligen. Ein Nein hieße Stillstand!
Es gab keinen Widerspruch und mit der beschlossenen Bewerbung ist Gudensberg auf dem Weg zur Dorfentwicklung.
Wählergemeinschaften und GRÜNE wollten Fotovoltaik auf die lange Bank schieben
Wer nicht versteht, warum Windkraft und Fotovoltaik nicht im notwendigen Klimaschutztempo vorankommen und es vielerorts Widerstand – auch in den Reihen GRÜNER Fraktionen – gibt, bekam dazu gestern Abend im Gudensberger Bürgersaal eine Live-Demonstration. Gestritten wurde inhaltlich aber auch, ob der Streit nicht zum falschen Zeitpunkt, weil die Planungen noch nicht abgeschlossen sind. Im Einzelnen:
Laut Beschlussvorlage des Magistrats, liegt eine Interessenbekundung von ortsansässigen Landwirten vor, deren Freiflächen-Photovoltaikanlagen zu erweitern. Sollen weitere Flächen für die Stromgewinnung durch PV-Anlagen auf Vorbehaltsgebieten für die Landwirtschaft entstehen, muss in der Regel ein Antrag auf Abweichung vom Regionalplan gestellt werden und die Kommune den Nachweis führen, dass die beanspruchten Böden eine Wertigkeit von höchstens 45 Punkten haben. Das ist gemäß Vorlage für drei Flächen gegeben:
- Gudensberg zwischen Odenberg und A49 (Odenberg Solar GbR)
- Dorla südlich der A49 (Sandfeld Solar GbR)
- Dorla nördlich der A49 (Höhle-Solar GbR)
Änderungsantrag der Bürgerliste für die Fläche am Odenberg
Widerspruch gab es dafür seitens der Freien Wählergemeinschaft, der Bürgerliste und auch der GRÜNEN. Der Antrag der Fraktion Bürgerliste Gudensberg auf Herausnahme des Anlagestandortes „Gudensberg zwischen Odenberg und A49“ aus dem Antrag auf Abweichung vom Regionalplan für PV-Freiflächenanlagen vom 17.02.2022 und Überweisung an den Ausschuss für Bauen, Planen und Umwelt, wurde intensiv und kontrovers diskutiert.
- Erich Müller (BL) findet, dass die Unterlagen weder vollständig noch nachvollziehbar sind. Die erste Antragstellung vom September 2021 wurde zurückgezogen wegen eines Feldweges. In der Berechnung sei dieser noch drin, obwohl die Fläche aber kleiner geworden ist. Auch die veränderte Rechtslage zum Abstand solcher Anlagen zu Autobahnen verändere die Situation. Der kalkulierte Energiegewinn sei nicht runtergerechnet worden, spiele aber in der Bodenpunkt-Bewertung eine gewichtige Rolle. Auf der Fläche befände sich seit 2009 außerdem eine Ausgleichsfläche für eine Biogasanlage. Diese werde nicht berücksichtigt.
- Dirk Schütz (SPD/HaFi) erinnert sich, dass es zahlreiche Diskussionen gab, als das Vorhaben erstmals auf der Tagesordnung stand. Planungstiefe bestehe noch nicht und erst mit dem Aufstellungsbeschluss könnten wesentliche Fragen beantwortet werden.
- Sonja Klingenberg-Jahn (B90/GRÜNE) ist für nachhaltige Energie, aber es sei ein Naherholungsgebiet und es gingen gute Böden verloren. Sie sieht die Zeit für einen Kompromiss.
Marcus Erler: Klimamanagement ins Rathaus
- Marcus Erler (FWG) kritisierte, dass Flächen einbezogen wurden, auf der gar keine Fotovoltaik-Module stehen werden, die aber einen niedrigen Punktwert haben, während Flächen, die genutzt werden, einen deutlich höheren – und damit nicht genehmigungsfähig – Punktwert ausweisen. Er wunderte sich außerdem darüber, dass einzelne FWG-Mitglieder gebeten wurden, sich zu enthalten. Die FWG, so Erler, würde sich der Energiewende nicht verschließen. Es gäbe aber kein ganzheitliches Konzept. Eine Klimamanagerin gehöre ins Rathaus. Um die EEG Ziele bis 2050 zu erreichen, müsse Gudensberg 100 Hektar oder 140 Fußballfelder PV Flächen einschließlich Dachflächen schaffen. Flächen mit hohen Bodenpunkten sollten nicht eingeschlossen und die Sicht auf die Basaltkuppen geschützt werden. Eine Entscheidung ohne Gesamtkonzept sei lediglich Aktionismus.
- Tom Sohl (CDU) erklärte, „wir stimmen nur darüber ab, ob wir das überhaupt wollen und bieten natürlich Kompensationsflächen an. Die können getauscht werden.“ Investoren könnten nicht alle Planungen vor der Genehmigung abschließen und Kosten produzieren.
- Alexander Höhmann (SPD) schilderte Krisenzeiten, Dürren und Ausbeutung Erde. Er habe Hoffnung, auch in Gudensberg die Lebensqualität zukünftiger Generationen und das Gemeinwohl zu erhalten. Die älteren Generationen hätten sich bereichert, die jüngeren Generationen setzen neue Prioritäten.
- Christof Hesse (FWG) erinnerte an die Änderung im EEG Gesetz. Jetzt könnten Flächen im geringeren Abstand zur Autobahn genutzt werden.
Tom Sohl: Debatte vollkommen verfrüht
- Tom Sohl (CDU) empfindet die Debatte als vollkommen verfrüht und überflüssig. Man wolle wichtige Weiche stellen für die Zukunft. „Jetzt diskutieren wir Standorte zur Erweiterung. Warum senden wir unseren Bürgern nicht das deutliche Signal, dass wir das wollen? Das Regierungspräsidium wird alles genau prüfen!“ Der Odenberg sei Hanglage, die aktuell landwirtschaftlich nicht genutzt werde. GRÜNE wollten private Hausbauer verpflichten und belasten, Investoren aber abwürgen. Er sei verwundert, wie sie sich heute hier positionieren. Wir verpflichten niemanden. „Ich bin der jüngste Abgeordnete und befürworte das!“
- Sonja Klingenberg-Jahn (B90/GRÜNE) erwiderte, man stimme jetzt nicht über die Ablehnung ab und Dachflächen seien heute nicht das Thema.
- Anja Weber (FWG) möchte Bürger und Bürgerinnen am Odenberg vorab informieren. Sie sieht eigentlich keinen großen Disput. Auch sie wünscht sich einstimmige Entscheidungen. Jetzt streite man ohne Ansatz von Kompromissbereitschaft. Mit dem Kopf durch die Wand sei nicht zielführend. Es müsse geprüft werden, welche Flächen gebraucht werden. Auch Hallendächer sein hervorragend geeignet und sollten geprüft werden. Meine Worte, sagte sie, werden das Abstimmungsverhalten nicht verändern. Wir sollten aber demütiger sein. Gute Entscheidungen brauchen mehr Zeit.
Mit jeweils 15 (SPD, CDU) zu 14 (BL, FWG, GRÜNE) Stimmen wurde der Änderungsantrag der Bürgerliste abgelehnt und der Antrag auf Abweichung für die erste Fläche (Odenberg) angenommen. Für die beiden anderen Flächen in Dorla gab es jeweils eine Gegenstimme und 28 Ja-Stimmen. (Rainer Sander)