Stadtverordnete mutig: 3-Millionen-Euro-Förderung ausgeschlagen
BAUNATAL. Wenn man in Baunatal etwas tut, dann ist „normal nicht das normale Maß“. „Außergewöhnlich“ oder „groß-“ und manchmal „überdimensioniert“ gelten als Attribute nicht nur für Bauprojekte, sondern auch für die Rhetorik. Auf einem Grundstück zwei Hallenbäder, das findet man in der Republik zumindest nicht oft, und um im Bürgermeister-Wahlkampf, wird „XXL-Rhetorik“ zur Pflicht.
Sachentscheidung statt Gewissensentscheidung: kein neues „Wettkampf-Bad“
Eine Gewissensentscheidung möchte Edmund Borschel (B90/GRÜNE) am gestrigen Abend gegen 22:00 Uhr erreichen, um 13 Millionen €uro – und vielleicht auch unkalkulierbar mehr – für den Neubau eines Wettkampfbades ausgeben. Andreas Mock (CDU) fragte prompt, „ob es auch ein wenig kleiner geht“. Bei Abstimmungen im Bundestag, wenn es um Entscheidungen über Afghanistaneinsätze oder um Abtreibungen geht, könne man von Gewissensentscheidungen (ohne Fraktionsempfehlung) sprechen. In der vorangegangenen einstündigen Diskussion um ein Schwimmbad war allerdings klar geworden, dass es um sehr nüchterne wirtschaftliche und haushaltspolitische Abwägungen geht. Das ging in aller Deutlichkeit auch aus dem gemeinsamen Antrag von SPD, CDU und FDP hervor.
Das Ergebnis vorweg: 29 Stadtverordnete und damit mehr als eine Zweidrittelmehrheit der anwesenden Parlamentarier, sprachen sich dagegen aus, eine zugesagte Förderung in Höhe von 3 Millionen €uro in Anspruch zu nehmen und entschieden damit, zum jetzigen Zeitpunkt, angesichts der Baunataler Haushaltslage kein Sportbad der „Wettkampfklasse C“ zu bauen. Alle machten jedoch deutlich, dass eine Schließung des Bades nicht einmal angedacht sei und ausreichend Haushaltsmittel zur Verfügung stehen, um jede Reparatur bezahlen zu können. Udo Rodenberg (SPD) erklärte, der Zustand der 30 Jahre alten Technik sei weit besser als in vielen anderen Anlagen. Der Beschluss der Stadtverordnetenversammlung vom 28. September 2020, dass das Sportbad weiterbetrieben wird, hat ohnehin Bestand. Der ist allerdings an eine Überprüfung im Rahmen des Sportentwicklungsplanes gebunden.
Nachdem sich die (vor allem die Oppositions-) Fraktionen der Baunataler Stadtverordnetenversammlung mehr als ein Jahr lang in Panik um die Baunataler Bäderlandschaft und das Schwimmenlernen der Kinder – angesichts drohender Bäderschließung – überboten haben und dabei gerne diese Panik auch auf die Sportlerinnen und Sportler übertragen und sie mobilisiert haben, ist angesichts der nunmehr hohen Kosten von wenigstens 12,3 Millionen €uro (ohne den Rückbau des bestehenden Bades) keine Rede mehr. Per gestrigem Beschluss wurde auch die Panik gleich mitbeendet. Nur bei der Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lebt sie noch ein wenig weiter.
Plötzlich 3 Millionen – die Vorgeschichte
Bereits mehrmals stand das Sportbad auf der Tagesordnung und verschiedene Varianten wurden diskutiert. Braucht Baunatal zwei Hallenbäder? Ist es besser zu sanieren, anzubauen oder neu zu bauen? Förderanträge wurden gestellt und bisher nicht genehmigt. Aufgrund der Aufstockung eines Fördertopfes des Bundes im Sanierungsprogramm für Bäder durch Beschluss des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages am 5. Mai 2021 wurde in einer zusätzlichen Tranche etwas überraschend, so lautet eine gemeinsame Erklärung von SPD, CDU und FDP, auch der Projektantrag zur Sanierung des Sportbades in Baunatal noch berücksichtigt: „wir haben uns alle über die Zusage von bis zu 3 Mio. € gefreut.“
Allerdings war, so die Allianz im Parlament, bereits zu diesem Zeitpunkt klar, dass die zunächst genannte Abgabefrist 21.10.2021 eine große Herausforderung sein würde, den zur Erlangung des Zuschusses nötigen Förderantrag mit einer Reihe von zu erfüllenden Anforderungen fristgerecht zu erstellen.
Besteht Zwang, Geld, das im Haushalt steht, unbedingt auszugeben?
Immerhin waren gestern Abend etwa 80 Besucher, alles Schwimmsportler der Baunataler Sportvereine und der DLRG – bewaffnet mit Transparenten – in die Stadthalle gekommen. Stadtverordnetenvorsteher Rainer Heine würde sich wünschen, dass zu Themen wie Haushalt oder Inklusion genauso viele interessierte kämen. Auf der Tagesordnung standen ein Gemeinsamer Antrag von CDU, SPD und FDP, kein neues Bad zu bauen und die Förderung nicht in Anspruch zu nehmen und weiterer Antrag der Fraktion von BÜNDNIS 90 DIE GRÜNEN, dass Bad jetzt zu bauen.
Udo Rodenberg (SPD) zitierte aus der gemeinsamen Erklärung der drei in dieser Frage verbündeten Fraktionen: zeitnah kostenminimierte, aber realistische Varianten sowohl für eine Sanierung, aber auch für eine Ersatzlösung in Form eines Neubaus oder Anbaus an das Freizeitbad zu entwickeln und dabei ein externes Planungsbüro mit möglichst breiter Erfahrung im Bäderbau einzubeziehen.
Kein Referenzbad innerhalb des gesetzten Kostenrahmens bundesweit gefunden
Parallel wurde bundesweit nach kostengünstig realisierten Referenzprojekten gesucht. Allerdings wurde kein Sportbad nach der von unseren Vereinen als Mindestanforderung gesetzten Wettkampfklasse C gefunden, das in letzter Zeit in etwa im Kostenrahmen von 8 Millionen € realisiert wurde. In Werdohl wurde kostengünstig ein Bad mit allerdings nur 4 Bahnen realisiert, dass 2020 nach Baukosten von netto 5 Millionen €, also brutto knapp 6 Millionen € in Betrieb ging. Dieses Projekt war am 15. Juli 2021 Ziel der Exkursion einer fraktionsübergreifenden Gruppe von Stadtverordneten und Mitgliedern der Verwaltung. Die teilnehmenden Stadtverordneten bildeten anschließend den Arbeitskreis Aqua Park, der in der Sitzung am 26. Juli 2021 zur Vorbereitung der nötigen politischen Beschlüsse der Stadtverordnetenversammlung Konsens erzielte, dass angesichts der Haushaltslage die Kostenobergrenze für das Projekt bei circa 8 Millionen € liegen muss und deshalb nur noch die Anbauvariante mit Erfüllung der Mindestanforderung Wettkampfklasse C der Vereine, also 1 Becken (Hubboden optional) ohne Sprungturm und ohne separates Lehrschwimmbecken weiter verfolgt werden soll, da alle anderen Varianten von vorn herein weit außerhalb des Kostenrahmens liegen.
Mit dem Projektträger des Bundes Jülich, der über den Förderantrag entscheiden muss und der Oberfinanzdirektion Frankfurt fand am 12. August 2021 ein Projektgespräch statt. Beide haben viele Bäderprojekte verantwortlich begleitet und treffen die deutliche Aussage, dass eine Kostenobergrenze von 8 Millionen € für Wettkampfklasse C nirgendwo auch nur annähernd erreicht wurde, sondern dass in jedem Fall selbst in der minimalsten Variante mit Kosten jenseits von 10 Millionen € zu rechnen sei. Hinzu kämen noch die aktuellen erheblichen Baukostensteigerungen. Zudem wurde die Abgabefrist für den Förderantrag bei Jülich nicht verlängert, sondern sogar auf den 26. September verkürzt.
Kein Planungsbüro kann kurzfristig förderfähigen Antrag erstellen
Aus den Gesprächen der Verwaltung mit fachkundigen Planungsbüros kam parallel die Nachricht, dass kein Planungsbüro in der Lage ist, die umfangreichen Unterlagen für den Förderantrag fristgerecht zu erstellen. Parallel hat die Verwaltung aus den alten Unterlagen der Variantenstudie von EHS aus 2012 alle Teile herausgerechnet, die für die minimalste Variante eines Anbaus an das Freizeitbad auf der Ostseite mit 1 Becken der Wettkampfklasse C bei Mitnutzung der Umkleiden des Freizeitbades nicht zwingend erforderlich sind. Auch das Ergebnis dieser überschlägigen Kostenherleitung, die jedoch eine fundierte Kostenrechnung für den Förderantrag durch ein Fachbüro nicht ersetzen kann, landet bei 12,3 Millionen €, also ebenfalls weit jenseits des Kostenrahmens von 8 Millionen €.
Die Einigkeit der Fraktionen ist dann unter die Räder gekommen. Wir müssen die gesamte Stadtgesellschaft im Auge haben, sagte Rodenberg. Da sind zwei Feuerwehrhäuser in Altenritte und Kirchbauna zu erneuern, die Kulturhalle muss saniert werden und weitere Maßnahmen stehen an. Es passe nicht wirklich, diesen Förderantrag zu stellen. Von Dichtmachen sei keine Rede. Ganz im Gegenteil. Für Reparaturen ist im Haushalt vorgesorgt. Einschränkungen im Betrieb sind nicht zu erwarten. Es gibt weiterhin Angebote für die Kinder. DLRG-Ausbildung, Tauchausbildung und Wettkämpfe sind auch zukünftig möglich. Außerdem: „Das wird nicht das letzte Förderprogramm sein. Es wird auch in Zukunft ein passendes geben.“
Sebastian Stüssel: Verantwortung tragen heißt auch Wahrheit sagen
Sebastian Stüssel (CDU) freut sich, dass das Haus so voll ist. Es ist ein emotionales Thema. Schwimmbad ist eine Daseinsvorsorge und gehört zum gesellschaftlichen Leben. Corona habe gezeigt, dass die Gemeinschaft fehlt. Dazu gehört der Sport. Das Bad muss erhalten werden. Die Annahme, man könne das Ganze billiger haben war falsch. Man habe sich alles angesehen und in. In Werdohl sind dann die Träume zerplatzt, etwas mit 5 Millionen Euro zu realisieren. Nach dem Gespräch mit Jülich waren dann auch die 8 Millionen nicht haltbar. Eine tiefgehende Bedarfsanalyse und eine Kalkulation müssen ein Testat enthalten. Das ist in der kürze der Zeit nicht mit echten Zahlen möglich.
Insgeheim hätten viele Menschen die Sorge, dass die Politik das jetzt platt macht. So auch die vielen Zuschauer. Es sei honorig, für seine Sache einzustehen. Verantwortung tragen heißt aber auch festzustellen, dass das Geld nicht mehr so locker sitzt. Als Bürgermeisterkandidat könne man jetzt auch ein Bad für 25 Millionen fordern. Die GRÜNEN sagen, 12 Millionen sind kein Problem. Das seien aber die gleichen Leute, die sonst den Haushalt ablehnen. Auch über Parteigrenzen hinaus müsse man aber die Wahrheit sagen. Und die lautet: „Es geht nicht!“ Stüssel rief auf: „Leute, lasst uns dran arbeiten!“ Die Grünen hätten das Geld gar nicht in den Haushalt einstellen wollen, es jetzt aber ausgeben. Ihn hatte die Pressemitteilung irritiert, dass jetzt Geld da wäre. Zu dem Zeitpunkt war noch nichts geplant oder beschlossen. Stüssel wirbt darum nichts zu versprechen, was man nicht halten kann. Es sei eben der „GRÜNE Sonderweg im Bürgermeisterwahlkampf“, der auch andere kostenintensive Maßnahmen, wie E-Ladesäulen einschließe. Die Kalkulation einer Fraktion sei allerdings nicht rechtssicher.
Außerdem richtete er einen Appell an die Sportler, nicht die Sportarten gegeneinander auszuspielen. Auch das ursprüngliche Bad habe einmal das doppelte gegenüber der Planung gekostet. Natürlich sollten jetzt Kalkulationen für spätere Fördertöpfe aufgestellt werden.
Lothar Rost beschwört das Ende der Demokratie in Baunatal
Lothar Rost (B90/GRÜNE) beschwor im Falle einer Ablehnung des Zuschusses das Ende der Stadtverordnetenversammlung und stellt einen anderen Antrag vor, nachdem, basierend auf städtischen Kalkulationen, ein Antrag beim Projektträger Jülich im Rahmen von 12,3 Millionen Euro soll gestellt werden solle, um 3 Millionen Euro Zuschüsse nicht zu verlieren. Ein Neubau werde in den nächsten Jahren nicht günstiger. Eigenmittel könnten zinsgünstig aufgenommen werden. Haushaltmittel von 13 Millionen Euro seien im Haushalt eingestellt. Planungen sollten an einen Gesamtübernehmer übergeben werden. Ein Ausfall der Betriebstechnik würde in einem 30 Jahre alten Bad zur Schließung führen. Ein Neubau würde auch die Energiekosten jährlich um 100.000 Euro senken. Zu Wahrheit würde gehören, dass es auch dazu keine belastbaren Zahlen geben kann, weil es keine Planung gibt.
Reiner Oswald möchte nicht nur mit dem Herzen entscheiden
Reiner Oswald (FDP) empfindet die Sitzung als unangenehm. Er ist inhaltlich bei Lothar Rost, „aber wir haben es eben nicht genau durchgerechnet. Ich bin einfach nicht bereit, über eine mir auf die Füße fallende Planung zu entscheiden, um 3 Millionen Fördergeld nicht zu verpassen.“ Manchmal müsse man nach der Realität und nicht nach dem Herzen entscheiden. Es dürfe nicht passieren, jetzt Millionen Folgekosten zu verursachen und auf die Schnelle ein Bad zu planen, mit dem die Schwimmer womöglich gar nichts anfangen können. Er bedarf jetzt Mut, Nein zu sagen. Die Stadt könne sich nicht völlig blank machen.
Für Henry Richter geht es um die Zukunft des gesamten Sportes in Baunatal
Henry Richter (B90/GRÜNE) zugleich Bürgermeisterkandidat für GRÜNE und FDP, erklärt, es gehe um die Zukunft des Sportes und um die Zukunft des Sportbades. In einer alten Vorlage stand, dass das Sportbad zum 1. September geschlossen werden soll. Am 28.9.2020 sei auch beschlossen worden, dass alle Förderungen des Landes und des Bundes in Anspruch genommen werden. 3 Millionen Euro Fördergelder sein keine Kleinigkeit. Der Haushalt sei eine gültige Beschlusslage. Die anderen Fraktionen wollten verantwortungslos gegenüber den Bürgern der Stadt nichts tun. Mit jedem Monat nähmen die Schäden zu und am Ende werden die Kosten höher. Immer mehr Menschen wunderten sich über die Kapriolen der Baunataler Politik. Stadtverordnetenvorsteher Rainer Heine korrigierte: Im Beschluss stand nicht, alle Zuschüsse zu beatragen, sondern alle Risiken abzuwägen.
Andreas Mock versteht die GRÜNEN Sorgen nicht
Andreas Mock (CDU) findet es schön, dass die Stadtgesellschaft Anteil nimmt und mitbekommt, wie schwierige Entscheidungen fallen. Er hat Respekt vor der SPD, die trotz der Pressemitteilung von Frau Dilcher (SPD), dass das Sportbad jetzt gebaut werden könnte, jetzt anders entscheidet. Die GRÜNEN hätten den Antrag für 12,3 Millionen zu bauen, vorgelegt, ohne zu sagen, ob das auch der Deckel ist. Mit Schwimmbädern habe man Kostensteigerungen von 100 Prozent in Baunatal erlebt. Jetzt den Haushalt ausreizen und dann bei Kostensteigerungen nicht daran erinnern, was im Haushalt steht, ginge nicht. Der alte Beschluss war unter anderen Voraussetzungen zustande gekommen. Warum haben die GRÜNEN die Sorgen, dass das Bad geschlossen wird, fragte er. Viele Sportarten wie Golf stünden ja schon auf der schwarzen Liste der GRÜNEN. Eine von den GRÜNEN mit vorangetriebene EU-Vorlage würden 80 Prozent der vorhandenen Bäder infrage stellen. Wissen die GRÜNEN schon, dass so etwas zukünftig nicht mehr gefördert werden soll? Natürlich könne man umweltfreundlicher einen Neubau betreiben, aber es mache keinen Sinn, für eine Einsparung von jährlich 100.000 Euro eine unsicherere Investition von vielleicht weit mehr als 13 Millionen zu beschließen. Baunatal wäre nach dem Rückbau auch ohne Freibad. Baut man das dann auch neu? Jetzt heißt es auf Sicht fahren
Christian Strube schließt Mehrheit für eine Schließung aus
Christian Strube (SPD) sieht das Parlament in einem langen, schwierigen Prozess. Die SPD hatte Dialog mit den Sportlern begonnen. Es habe viele interfraktionelle Sitzungen gegeben. Weder die CDU noch die SPD würden eine Schließung des Sportbades mittragen. 900 Kinder stehen auf der Warteliste für Schwimmkurse.
Gemäß aktueller Beschlusslage wird Baunatal auch weiterhin zwei Hallenbäder betreiben. 20 Kommunen im Landkreis Kassel haben übrigens gar kein Hallenbad. (Rainer Sander)