NORDHESSEN. Sie kennen das? Ein alter Film, eine verrauchte Kneipe, Zigarre qualmende Typen und volle Aschenbecher? Eine Diva, die lasziv an der Zigarettenspitze zieht und ein Ganove, der lustvoll am Zigarillo sabbert? Das ist so unendlich weit weg von unserer Realität und doch: noch vor wenigen Jahren haben wir uns das mit dem Rauchverbot gar nicht vorstellen können.
Noch vor wenigen Jahren war es völlig normal in einer Gaststätte am Tisch zu sitzen, während nebenan ordentlich gequarzt wurde. Es ist noch kürzer her, dass wir uns bei der Begrüßung umarmt haben und bei Konzerten nicht umfallen konnten, weil alle um uns herum eng genug standen. Wir haben uns bei großen Festen und Feiern durch Menschenmengen gequetscht und beim Pogen in der Disco oder Tanzen auf der Kirmes sind wir uns so richtig nah gekommen… Und tatsächlich, immer noch tauchen solche Bilder in Filmen auf oder in mehr als sechs Monate alten Aufzeichnungen von Fernsehshows. Länger ist diese „alte Wirklichkeit“ nämlich nicht her. Und schon erschrecken wir: wie können die?! Ist das ein Regelverstoß? Körperverletzung live? Oder wie alt ist das?
Neue Normalität…
Und so, wie wir Rasern in unseren Straßen gerne ein Vogel zeigen oder den Nachbarn erklären, was Sonntagsruhe ist, wenn er seinen Rasenmäher um 14 Uhr einschaltet, möchten wir bei solchen Fernsehbildern sofort aufstehen und sagen: „so geht das nicht!“. Weil wir uns auch gerne verantwortlich für die ganze Menschheit fühlen. Gäbe es bei den Öffentlich-Rechtlichen oder im Privat-TV eine Kommentarfunktion, wie bei Facebook oder nh24, gäbe es längst meterlang wütende Proteste, Drohungen und Hasstiraden unter manch altem Film oder Aufzeichnung.
Ich frage mich ernsthaft, wie wir aus dieser Haltung und aus dieser Nummer jemals wieder rauskommen werden und ob wir das überhaupt noch einmal wollen? Steril, antiseptisch und antibakteriell ist doch ganz pfiffig! Distanz passt zur Generation Smartphone. Luftfilter summen in öffentlichen Räumen. Sind Reinraumatmosphäre, Desinfektionsmittel, Mundschutz und 1,5 Meter Abstand das erstrebenswerte Ziel und Quell ewiger Gesundheit? Nie wieder Grippe und was sonst noch so durch die Luft geflogen kommt. Wie konnten wir überhaupt so weit kommen und überleben angesichts dermaßen vieler Bedrohungen wie Masern, Grippe, Herpes, Windpocken, und anderen Viruserkrankungen, Keimen oder Bakterien?
Alles eine Frage der Architektur…
Werden wir jemals wieder im Stadion ganz eng beieinanderstehen, mit 40 oder 50.000 auf Festivals Rock-Heroes feiern? Das scheint aus jetziger Sicht schwer vorstellbar. Die Reflexe sind längst so programmiert, dass man unweigerlich einen Schritt zur Seite macht, wenn andere Menschen nahekommen. Oder man möchte abwehren! Die Hand schütteln? Die Idee kommt schon gar nicht mehr auf. Schnell gewöhnt man sich an Realitäten.
Wie es weiter geht? 50.000 Menschen im Fußballstadion? Kein Problem – vorausgesetzt, dass man Fußballstadien einfach fünf- oder besser zehnmal so groß baut. Alles nur eine Frage der Architektur. Wer 828 Meter hohe Gebäude (Burj Khalifa/Dubai) bauen kann, wird auch dies schaffen! Keine Frage! Man sieht dann nichts mehr? Quatsch: Große LED-Wände erwarten wir – seit es Konzerte in Autokinos gibt – zukünftig sowieso. Eine Konzertarena für 50.000 ist noch leichter zu errichten. Alles wird größer: Supermärkte, Dorfgemeinschaftshäuser, weil eine Hochzeit sonst nicht mehr gehen, überhaupt alle Gemeinschaftseinrichtungen. Distanz ist am Ende nur ein Problem der Bausubstanz.
Gesund ist gesund?
Klar werden wir zehnmal so viel Flächen versiegeln und genau das tun, was maßgeblich dazu beigetragen beiträgt, dass wir solchen Viren auf den Pelz zu rücken.
Es könnte doch etwas dran sein an der Theorie, dass uns Krankheiten und viele Naturschicksale auf etwas hinweisen. Es ist irgendwie auch nachvollziehbar, dass ein Immunsystem nur mit der richtigen Ernährung (das ist die einzige Quelle für alles Gesunde – aber auch Ungesunde), Bewegung, Frischer Luft und der Konfrontation mit Krankheiten überhaupt funktioniert. Es ist auch nicht ganz abwegig, dass viele Impfungen das Immunsystem am Ende nicht stärken, sondern gar schwächen. Dafür muss man weder Impfgegner noch Verschwörungstheoretiker sein.
Die Frage ist am Ende, ob wir eine Gesellschaft sein wollen, die vor Krankheiten wegläuft oder ihnen intelligent und mit Selbstdisziplin entgegentritt…
Ihr
Rainer Sander