„496 Seiten Stadtpolitik“: Schwalmstadts Stadtverordnete beschließen Wegweisendes
SCHWALMSTADT. 496 Seiten Sitzungsvorlage – Thomas Kölle (FWG) hat durchgezählt – haben die Stadtverordneten der Stadt Schwalmstadt am Donnerstagabend beschäftigt. Der Bebauungsplan für die „Schmelzau“ war der diskussions-intensivste Punkt.
Schwalmstadt Mittelzentrum oder Hinterland?
Mit reichlich Pathos und Vehemenz werden Bauprojekte in Schwalmstadt immer begleitet. Das war im Wieragrund so und das kennzeichnet auch die „Schmelzau“, das frühere Gelände der Kohl Autohäuser und Karosseriebau. Bürgermeister Stefan Pinhard erklärte das Bebauungsplanverfahren, das auch in der Vergangenheit bereits zu Gesprächen geführt habe. Nach Jahrzehnten als Brache und innenstadtnahem Schandfleck möchten die Firmen Tegut (Lebensmittel) und Joneleit (Bürobedarf) dorthin umziehen und dafür neu bauen. In einer öffentlichen Veranstaltung kamen Befürworter und Gegner zu Wort. Für die Stadt sei diese Entwicklung wesentlich, so Pinhard, der damit erstmals aktiv und klar Stellung für das Projekt bezog. Hier war früher auch aktives Gewerbe und die Verkehrsbelastung sollte für ein Mittelzentrum kein Problem darstellen, so der Bürgermeister.
Schwalmstadt Mittelzentrum oder Hinterland?
Michael Schneider (SPD) sah das Thema Schmelzau als das Wichtigste in der aktuellen Sitzung an. „Hier werden Weichen gestellt!“ Schön sei die klare Stellungnahme des Bürgermeisters. Jeder entscheide nun nach bestem Wissen und Gewissen, was daraus werde, wisse niemand. Das Abstimmungsverhalten in der SPD-Fraktion sei nicht einheitlich, verkündete er. Die Schmelzaue sei schon lange Thema. Als Lidl 1200 Quadratmeter bauen wollte, noch vor der Entwicklung des Wieragrundes, hatten die Stadtverordneten eine Veränderungssperre verabschiedet. Ein Einzelhandelskonzept hat die Schmelzaue damals „außerhalb des zentralen Versorgungsbereiches der Innenstadt eingeordnet“ und die Bundesstraße als Grenze gesehen. Hier sollten innenstadtrelevante Sortimente nicht verkauft werden. Nun sollen diese Grenzen verschoben werden. Die Stadt habe viel Geld in die Erschließung des Wieragrundes investiert. Schneider sieht jetzt den Erfolg genau dieser Investitionen infrage gestellt. Baulich seien die Pläne für Tegut und Joneleit allerdings sehr schön.
Die Kritiker scheinen stets davon auszugehen, dass Tegut keinen Kundenbestand mitbringt, sondern diese der Innenstadt entzieht. Die Befürworter sehen allerdings eher Frequenz-Zuwächse. So zum Beispiel Marcus Theis (CDU). Er möchte nicht alles zerreden und negativ sehen. „Wir wollen das Mittelzentrum des Schwalm-Eder-Kreises sein, verhalten uns aber wie Hinterland!“ Ob Sprecher Schwalmstädter Vereine – ohne diese zu nennen, aber gemeint war offensichtlich der G.u.T.e.V. – nicht eher ihre eigenen Interessen, als die der Stadt vertreten, stellte Theis in den Raum und machte damit öffentlich, was viele länger schon diskutieren. Viele G.u.T.-Mitglieder versprechen sich durchaus viel von der Bebauung der Schmelzau. Trotzdem waren nicht alle Christdemokraten dafür.
Konkurrenz belebt oder schwächt das Geschäft?
Pro und kontra lösten sich in der Diskussion weiter ab. Michael Knoche (FWG) stimmte Schneider zu. Tegut könne sich auch am bisherigen Standort entwickeln. Constantin H. Schmitt (FDP) konnte hingegen feststellen, dass die FDP eine einheitliche Meinung hat. Das könne daran liegen, dass die Liberalen nicht die städtische Einflussnahme in die freien Kräfte präferieren. Dass Tegut nur innerhalb des Stadtteils umzieht, stellte er heraus: Es findet nur eine Verlagerung statt, so Schmitt, eine bessere Positionierung der Stadt gegenüber Nachbarstädten und eine Steigerung des Wohnwertes in Schwalmstadt. Im Gegensatz zu Schneider sieht er eine Achse von der Schmelzaue bis in die Schwalm-Galerie.
Tobias Kreuter (SPD) begrüßt zwar die Entwirrung der Eigentümerstruktur und erkennt ein Filetstück. Hier wären städtebaulich interessantere Nutzungsmöglichkeiten möglich, zum Beispiel Wohnungsbau und ein Hotel. Ihm ist offensichtlich entgangen, dass Tegut bereits seit Jahrzehnten in Treysa präsent ist, denn er sprach beharrlich von einer Neuansiedlung und neuer Konkurrenz für bestehende Betriebe. Er sieht sogar zukünftig konkurrierende Zentren innerhalb der Stadtmitte. Die zukünftige Verkehrsbelastung sei nicht zu verantworten.
Eine alte – bisher nicht widerlegte – Kaufmannsweisheit sagt allerdings: „Konkurrenz belebt das Geschäft“. Das sieht offensichtlich Sebastian Vogt (SPD) so ähnlich, er sprach als einziger für die Befürworter innerhalb der SPD. Dazu zitierte er das von Parteifreund/Genosse Schneider erwähnte Einzelhandelskonzept, das sogar eine Integration der Schmelzau in die Innenstadtkonzepte vorschlägt. Dem also gar nicht widerspräche. Ein Kreisel und andere Maßnahmen könnten die Verkehrsbelastung auffangen.
Zerstörte Träume nach klarem Votum?
Thomas Kölle (FWG) blickte in der Stadtentwicklung zurück und sieht einen Traum durch Konkurrenz für den Wieragrund und die bisherigen Planungen zerstört und entstehendes Chaos aufziehen. Durch die Autobahn käme ohnehin Verkehrsbelastung hinzu. Die FWG hatte in der Vergangenheit allerdings nicht einheitlich diesen Traum und bereits in der Vergangenheit gegen städtebauliche Planungen votiert. Ulrich Wüstenhagen (B90/GRÜNE) möchte als Radverkehrsbeauftragter zukünftig in die Planungen einbezogen werden.
Mit 15 Ja-Stimmen, 8 Nein-Stimmen und 5 Enthaltungen wurde die Vorlage zur Offenlegung schließlich mit klarer Mehrheit angenommen. Kommen keine Einwände und Klagen, erfolgt in naher Zukunft der Satzungsbeschluss. Dann darf in der Schmelzau gebaut werden.
Lidl kommt – Aldi erweitert
Damit im Zusammenhang steht ein weiterer Beschluss, welcher der Firma Lidl erlaubt, den alten Tegut-Standort – südlich der Friedreich-Ebert-Straße – weiterzuentwickeln und 1.200 Quadratmeter Discount-Sortiment anzubieten.
Die Bauleitplanung durch den Bebauungsplan 46 „Einkaufszentrum Wieragrund“ wurde einstimmig so geändert, dass eine Erweiterung des ALDI-Marktes möglich wird.
„Sauren Wiesen“ dürfen bebaut werden – Haushaltswaren bei C.H. Schmitt „legalisiert“
Der „Lückenschluss“ in den Sauren Wiesen zwischen Treysa und Ziegenhain ist seit gestern Abend auch mehrheitlich beschlossene Sache. Stefan Pinhard erinnerte an den Beginn der Planung im Jahr 2016. Die Firma Heidelmann will sich hier ansiedeln und weitere Arbeitsplätze schaffen. Ruth Engelbrecht (B90/GRÜNE) möchte die Höhe von 18 Metern nicht und erkennt mehr LKW-Belastung und Flächenversiegelung. Logistiker, so Engelbrecht, gehören in das Gewerbegebiet an der A49. Michael Knoche (FWG) ist selbst Logistiker und erinnerte daran, dass das Geld, mit dem die Stadt arbeitet, aus der Wirtschaft kommt. Damit könne man keine Blumenwiesen finanzieren.
Auf der gegenüberliegenden Seite der B454, An der Feuerwache, gibt es auch eine Veränderung. Der Verkauf von Haushaltswaren im Profi-Baumarkt darf jetzt offiziell erfolgen, der Bebauungsplan wurde entsprechend geändert.
Jugendarbeit schnuppe? Alle gegen oder für Einen?
Ein gemeinsamer Antrag der Fraktion SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen, FWG, FDP und Die Linke (das sind alle Fraktionen) vom 16. September 2019 betraf einen Konzeptentwurf für die Jugendarbeit in Schwalmstadt. Patrick Gebauer (SPD) durfte quasi für alle Fraktionen sprechen. Das Thema Jugendarbeit sei Dauerthema. Schon vor über einem Jahr wurde festgestellt, was die Jugendarbeit nicht leisten könne. Im Juni 2018 sei man sich schon einig gewesen, aber Maßnahmen fehlten bislang. Die Situation in der Innenstadt habe sich entspannt, aber die Probleme nicht gelöst.
Es sei ein seltener Fall, dass sich Haushaltsansätze verdoppeln, aber nichts passiert. Er fragte: „Herr Bürgermeister, kann es sein, dass Ihnen die Jugendarbeit egal ist?“ Auch Thomas Kölle (FWG) wundert sich über den Bürgermeister, der alles auf einem „Silbernen Tablett“ präsentiert bekam. Stefan Pinhard widersprach. Es sei nicht damit getan, Mitarbeiter einzustellen, es müsse erst das Konzept dafür erstellt werden und daran arbeite die Stadt. Inge Schmidt-Nolte (LINKE) kommt aus der Erziehungsarbeit und kann nicht verstehen, dass das alles so lange dauert. Es ginge um Bildungsarbeit, die unbedingt notwendig sei. Sie erwartet zur nächsten Sitzung eine Vorlage. Der Antrag wurde erwartungsgemäß einstimmig verabschiedet.
KWS – Diskussion geht zunächst weiter
Die Beratung einer Vorlage zur „Kommunalen Wohnungsgesellschaft Schwalmstadt“ – KWS wurde auf Wunsch von Bürgermeister Stefan Pinhard zurückgestellt, um interfraktionell weiter zu beraten. Nur die Auflösung des Eigenbetriebes und die Rückführung in den Haushalt wollte der Bürgermeister gerne – der Sanierungsfähigkeit wegen – sofort beschließen. Michael Schneider (SPD) sah die Sanierungsfähigkeit in der bestehenden Rechtsform nicht gemindert. Zukünftig soll die Verwaltung der KWS durch einen externen Anbieter erfolgen.
Haushaltsbericht Ok und neue Stellplatzsatzung
Eine neue „Satzung über Stellplätze oder Garagen sowie Abstellplätze für Fahrräder“ der Stadt Schwalmstadt wurde verabschiedet. Sie wurde an die aktuellen rechtlichen Vorgaben angepasst und nur unwesentlich verändert.
Der Haushaltsbericht zum 31. August 2019 wurde zur Kenntnis genommen. Mit Haushaltsberichten werden mehrmals jährlich – ähnlich der Quartalsberichte von Kapitalgesellschaften – die aktuellen Einnahmen und Ausgaben wiedergegeben.
Öffentliches W-LAN für 42.052,22 Euro
Die WLAN-Hotspot Versorgung in Schwalmstadt ist seit langem ein Kritik- und Streitpunkt. Bürgermeister Stefan Pinhard stellte einen Vertrag mit der Firme IT-Innerebner (Österreich) vor, die den Wettbewerb um die Umsetzung des Projektes „Digitale Dorflinde“ in Hessen gewonnen hat. Mit einer beantragen Förderung in Höhe von 10.000 Euro beim Land Hessen und 21.000 Euro beim Landkreis Schwalm-Eder sowie Eigenmitteln der Stadt in Höhe von 6.443,35 Euro und 4.608,87 Euro für die Antennen, sollen 31 neue frei zugängliche W-LAN-Hotspots zu den vier bestehenden (beide Rathäuser) hinzukommen. Sie werden in den Feuerwehr- und Dorfgemeinschaftshäusern, eingerichtet, decken zum Teil Festplätze ab und den Marktplatz Treysa. Die monatlichen Kosten betragen 906,78 Euro. Die Stadtverordneten stimmten ohne Diskussion zu.
Im Baugebiet „An der Domäne Schafhof“, V. Bauabschnitt im Stadtteil Ziegenhain, stimmten die Stadtverordneten bei einer Enthaltung einem Grunderwerb zu. Eine Satzung über die Aufhebung von Festsetzungen des Rezesses in der Zusammenlegungssache von Ziegenhain vom 11.-16., 16.-19. Februar 1914 wurde angenommen. Für eine Einfügesatzung in der Bauleitplanung „Frankenhain-West“ erfolgte einstimmig ein Aufstellungs- und Offenlagebeschluss.
Stadtwald ok?
Mitteilungen, Fragen und Anregungen standen – wie immer – als erster Tagesordnungspunkt auf der Liste:
Eine Anfrage der CDU-Fraktion vom 13. September 2019 betraf den Zustand des Stadtwaldes und seine nachhaltige Bewirtschaftung. Wie viele Mitarbeiter werden benötigt, wie viele sind beschäftigt, lautete eine Fragestellung. Zwei Mitarbeiter stehen laut Bürgermeister Stefan Pinhard zur Verfügung, mit einem Stellenkontingent von 1,7 Stellen. Die Stadt geht von einem eigentlichen Bedarf von 2,5 Stellen aus. Ob es Sinn ergibt Flächen zu tauschen oder den Stadtwald von Hessenforst bewirtschaften zu lassen, lautete eine weitere Frage. Bürgermeister Pinhard erklärte, dass der Revierförster ohnehin bereits durch Hessenforst gestellt wird und tatsächlich Gespräche geführt werden, Waldflächen gegen landwirtschaftliche Flächen zu tauschen.
Versprechen der Bürgerbeteiligung endlich einlösen
Patrick Gebauer (SPD) hat in der Bevölkerung wahrgenommen, dass das Versprechen des Bürgermeisters aus dem Wahlkampf, die Bürger zu beteiligen, bisher nicht eingelöst wurde und zitierte dazu aus dem Wahlprogramm von Stefan Pinhard. „Ich stehe für einen neuen Politikstil in Schwalmstadt. Bevor Entscheidungen getroffen werden, müssen Menschen und Politiker miteinander reden. Dazu will ich alle Bürgerinnen und Bürger einladen.“ Das hatte Stefan Pinhard unter anderem angekündigt.
Die Online-Plattform „Open Petition“, so schlug Gebauer vor, habe ein Tool zum Einbau in die Homepage einer Stadt entwickelt und angeboten, um unmittelbare Bürgerbeteiligung zu ermöglichen. Bürgermeister Stefan Pinhard, so Gebauer, könne damit sein Versprechen umsetzen. Andere Städte nutzen dies bereits.
Lob und Tadel
Marcus Theis (CDU) möchte wissen, was aus der vorgesehenen weiteren Stelle für einen Hilfspolizisten geworden ist. Die Ausschreibung, so Bürgermeister Stefan Pinhard, sei noch in Arbeit und also nicht erfolgt.
Sebastian Vogt (SPD) freute sich über das Ratsinformationssystem, das er offensichtlich bisher als einziger intensiv nutzt. Es soll die Papierflut (496 Seiten/siehe oben) begrenzen. (Rainer Sander)
11 Kommentare
Wie groß soll das neue Tegut im Vergleich zum alten werden ?
Anm. d. Redaktion:
„Wir reden von 450 Quadratmetern Zuwachs, nicht wie zu lesen war von 1000 Quadratmetern oder mehr.“ (Zitat Werner Gruppe)
Und was passiert mit dem Verkehr, wenn die Masse, die von Tegut/Joneleit-Parkplatz nach links oder rechts auf die Fritze-Ebert-Straße wollen, die bei Fertigstellung der A49 noch verstopfter sein wird, als sie jetzt schon ist? Steht ein einziger Lkw an der Ampel an der alten „Hephata-Kreuzung“, ist der dämliche Kreisel heute schon verstopft und der Verkehr staut sich in die Wierastraße und teilweise bis zum Bahnhof zurück…atz
Und wo baut Lars sein Elektromarkt😂
Die Würfel sind gefallen, jeder ist sich den Vor-und Nachteilen der Lösung bewusst. Die Entscheidungen sind sicher nicht jedem einfach gefallen. Schaun wir mal was wann draus wird.
Zitat:
„Ob Sprecher Schwalmstädter Vereine – ohne diese zu nennen, aber gemeint war offensichtlich der G.u.T.e.V. – nicht eher ihre eigenen Interessen, als die der Stadt vertreten, stellte Theis in den Raum“ Zitat Ende.
Tja Herr Theis natürlich vertreten Vereine erstmal die eigenen Interessen, das steht schon in deren Satzung. Das muss aber nicht im Gegensatz zu den Interessen der Allgemeinheit stehen. Wenn man sieht, wie Sie in Ihrem persönlichen Facebook-Account Beiträge der JU-München Nord teilen, die zweifelhaften Subjekten wie H.G. Maaßen eine Plattform bieteen und aktuell mit der Dämonisierung von Greta Thunberg dort sympathisieren, arbeiten Sie vermutlich bald an einer Tea-Party-Bewegung in Ihrer Fraktion. Dann sind Sie wohl kaum das Zugpferd, dass Schwalmstadt zum modernen toleranten Mittelzentrum bringt.
Das mit dem WLAN ist allerdings totale Geldverschwendung in Zeiten von 4G und immer größeren Datenvolumen.
….ja dem schließe ich mich an.Wer derartige Dienste für sich in Anspruch nehmen möchte,der soll auch dafür die Kosten tragen.
Besonders woher kommen die hohen Kosten? In Cafés wird das kostengünstig über Fritzboxen realisiert. Schwalmstadt hat doch eine aufgeblähte IT Abteilung , was machen die den ganzen Tag ?
Freue mich total über ein größeres und moderners Tegut. Ziegenhain das Tegut hat ja leider total nachgelassen. Joneleit ist so eine Sache, haben ja kaum noch Auswahl und die Beratung ist auch nicht mehr wie früher, da nach dem Inhaberwechsel sich so viel geändert hat.
Es were schön dass sich hier mal was tut in dieser stadt und nicht immer langweiliger wird . Diese stadt gehört uns allen
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