
Der Moment zählt auf Europas größtem „Hippie-Festival“
BREITENBACH. Als Elmar Feuerstein die letzten Künstler im Line-Up des Herzberg-Festivals ankündigte, erzählte er von seiner Furcht vor diesem Moment, weil sie den Schlusspunkt markiert, aber auch von der Freude, weil das Devon Allman Blues Summit Project zugleich der Höhepunkt am „Mountain full of Love“ ist. Im wahrsten Sinne des Bandnamens der Gipfel des Berges.
Der Familienname Allman steht wie kein anderer für Southern Rock. „Die Allman Brothers Band“ führt nicht nur alphabetisch die Liste mit Genre-Vertreten wie Charlie Daniels, Lynyrd Skynyrd, Marshal Tucker, Molly Hatchet, Outlaws oder ZZ Top an. Sie zählte zu den ersten Bands mit weißen und schwarzen Musikern und waren – alle gemeinsam – Teil der Antwort auf Neil Youngs Schilderung des systemischen Rassismus im Süden (Alabama/Southern Man).
Die Welt ändert sich, die Konflikte nicht …
Das ist weltweit Teil und oft Ursache von aufkommenden Konflikten und Scheinkonflikten, die wir bis heute erleben. Selbst wenn die alten Geschichten nicht mehr passen, weil viel Wasser den Rio Grande, den Mississippi und den Alabama River hinabgeflossen ist, so sind doch die Widersprüche aus Sehnsucht und Realität immer noch sehr ähnlich. Und der Herzberg – zwischen Schwalm und Fulda, in denen auch unaufhörlich Wasser fließt – ist und bleibt ein Ort des Time-outs zwischen Vergangenheit und Zukunft, um einen neuen Anlauf im Hier und Jetzt zu nehmen.
„Hippie-Festival“ wird längst mit Augenzwinkern geschrieben, Selbstironie gehört zur DNA, das „Älteste Festival“ (1 Jahr vor Woodstock) hat nur noch chronologischen Wert. Cannabis ist längst legal, war nie wirklich das Wichtigste am Herzberg und irgendein „Geist von Gestern“ herrscht weder über den von Dörnbergschen Anwesen noch auf der Festivalwiese oder in Freak-City. Das Festival ist im Heute angekommen, die Grauhaarigen (ich eingeschlossen) sind (wieder) in der Minderheit. Nicht nur vor, sondern auch auf der Bühne.
Aus der Stille der Seele .-..
Alles Große entsteht aus der Stille. Es sind die „Sounds of Silence“, die Auszeiten aus einer hektischen Welt, die monotonen Momente, die den ständigen Wechsel von Black & White, Für und Gegen, Wunsch und Wirklichkeit, vor allem aber Ego und Selbst durchbrechen. Die Blicke auf das Meer, in Sonnen-Auf- oder Untergänge und eben vom Berg ins Tal sind solche Auszeiten, in denen der pausenlos um sein Überleben kämpfende Verstand zur Ruhe kommt. Der Berg ruft einmal im Jahr und das sehr energiereich. Sogar in der Lautstärke mag man Ruhe finden, nämlich vor dem ewigen Geplapper des Egos.

Wer wissen will, was den Herberg ausmacht, es ist genau das: Pause für das Ego und das ewige Schwarz-Weiß-Spiel des Lebens. Ein Moment erholsamer Monotonie, den mehr als 10.000 Menschen Ende Juli erleben. Wolfgang Wortmann schließlich verabschiedete die Gäste noch der Zugabe von Devon Allman nicht nur mit dem Ausblick auf Herzberg 2026 (30. Juli bis 2. August 2026) sondern auch mit den obligatorischen, aber immer wieder neu definierten Abschiedschorografien. „Schaut Euren Nachbarn in die Augen, umarmt Euch …“
Musikalisches „up and down“, slow and fast
Und der musikalische Schlusspunkt? Devon Allman musste jahrelang sein Selbst finden, um nicht ewig der Sohn von Gregg Allman auf der Bühne zu sein. Mit Künstlern wie Sierra Green aus New Orleans, ihren tiefen Soul- und R&B-Einflüssen oder Jimmy Hall, ehemals bei Wet Willie an der Seite, ist er heute Teil einer Supergroup und schreibt seine eigene Geschichte. Natürlich gehören Jessica und Melissa immer noch in die Setlists, aber auch Midnight Lake Michigan oder Down The River (Allman Betts Band). Ein beeindruckender und einprägsamer Schlusspunkt am Herzberg.
Davor haben die fliegenden Holländer „The Magic Mumble Jumble“ das Publikum in Stimmung gespielt und gesungen. Eine genrefreie Truppe, die pausenlos in Bewegung ist und sich nicht einordnen lässt in die vielen Schubladen der Rockmusik. Die Klappe fliegt immer wieder auf. Unmittelbar davor war’s metallisch und laut mit „The Quill“. So viel Abwechslung bietet der Herzberg. Apropos Wasser, das fließt: Es war ein fast regenfreies langes Wochenende. Elmar Feuerstein schickte ein Dank an den Wettergott.
Nach dem Fest ist vor dem Fest
Wer wieder oder zum ersten Mal kommen will, konnte schon am Sonntag und fortan auf der Internetseite des Festivals Karten für 2026 erstehen. Noch ohne LineUp kosten sie 175 Euro (oder weniger im 10er-Pack). Bis zum nächsten Time-out in einer dann wieder anderen Welt …! (rainer sander)
Eindrücke von den ersten beiden Tagen am Herzberg gibt es HIER und HIER bei nh24.

