Baunatals Bürgermeister Henry Richter dagegen
BAUNATAL. Es war gestern die erste Stadtverordnetenversammlung in Baunatal mit Henry Richter (parteilos). In der ging es nicht nur um den Regionalplan, sondern auch um die innere Haltung zur Bewältigung von bestehenden Schwierigkeiten und Haushaltsproblemen sowie um eine Vorbereitung auf mögliche weitere Probleme aus aktuellen Veränderungen bei VW.
Sogar der Hessische Rundfunk war vor Ort und außerdem jede Menge Besucher und Teilnehmer im Livestream. Stadtverordnetenvorsteher Reiner Heine hatte dem hr erklären müssen, dass eine Nutzung des Livestreams laut Satzung nicht möglich ist.
Großenritte Nord ist Teil der Regionalplanung
Unter neun Punkten stand die Stellungnahme der Stadt Baunatal zum Entwurf des Regionalplans Nordosthessen 2024 auf der Tagesordnung. Ein Regionalplan ist als Element der großflächigen Raumplanung zwischen Landesplanung und Plänen zur kommunalen Flächennutzung/Bebauung angesiedelt. In Hessen regeln Regionalpläne auf Ebene der drei Regierungspräsidien, wie sich Kommunen in einem Zeitraum von zehn Jahren entwickeln können, aber nicht müssen. Sie weisen beispielsweise Potenzialflächen für Wohnbebauung und Gewerbeansiedlung aus. Für den Festlegungszeitraum von zehn Jahren können Kommunen nur schwer von der Regionalplanung abweichen. Das jeweilige Regierungspräsidium achtet auf die Einhaltung von Vorgaben, beispielsweise aus dem Bereich des Naturschutzes.
Für Baunatal geht die Regionalplanung von einem Bevölkerungsrückgang in Größenordnung von 645 Einwohnern und einem maximalen Flächenbedarf zur Wohnbebauung von 45 Hektar im nächsten Planungszeitraum bis 2035 aus. Der Regionalplan schreibt nicht Innenentwicklung statt Außenentwicklung vor, sondern wägt zwischen raumplanerischen Aspekten ab. Die Planung von Flächen unter fünf Hektar am Ortsrand ist grundsätzlich möglich. Die in der Siedlungsentwicklungs-Planung des Zweckverbandes Raum Kassel bis 2030 für Baunatal enthaltene Potenzialfläche Großenritte-Nord ist ebenfalls Teil der Regionalplanung.
Antrag des Magistrats, Änderungsantrag der GRÜNEN
Großenritte-Nord ist bereits im Bürgermeister Wahlkampf dominierendes Thema gewesen und hat mutmaßlich zum Ausgang der Wahl beigetragen. Bürgermeister Henry Richter hat mehrfach die Positionen der Baunataler Bürgerinitiativen übernommen und sich gegen diesen Punkt in der Planung ausgesprochen. In der politischen Wirklichkeit treffen jetzt Mehrheitsbeschlüsse der politischen Gremien auf Wahlversprechen des Bürgermeisters. In der demokratischen Welt der Gewaltenteilung muss die Verwaltung den Entscheidungen der Gremien folgen.
So hält die Verwaltung der Stadt Baunatal in ihrer vorbereiteten Stellungnahme im Wesentlichen daran fest, hat die Fläche unter Position 8 allerdings als nicht mehr notwendig eingestuft, dafür weitere Flächen unter Position 7. Der Magistrat hat auf dieser Basis einen Antrag in die Stadtverordnetenversammlung eingebracht. Die Fraktion der GRÜNEN stellte einen Änderungsantrag, der erwähnt, dass nach einem Wohnraumentwicklungskonzeptes der Uni Kassel die Bevölkerungszahl bis 2045 höchstens um 400 steigen wird und hält die Änderungen für entbehrlich. Die Flächen unter Position sieben sollten ebenfalls gestrichen werden, um wertvolle landwirtschaftlichen Nutzflächen nicht zur Bebauung freizugeben, wie Lothar Rost (B90/GRÜNE) begründete. In der Folge geriet die Diskussion zu einer Grundsatzdiskussion über die aktuelle Situation der Stadt und die Bewertungen der Zukunft.
Das Dilemma mit dem Eigentum – Richter für Fristverlängerung
- Bürgermeister Henry Richter hat im Magistrat gegen die Stellungnahme gestimmt, betrachtet Großenritte Nord als überflüssig und sieht nur wenig Bewegung in der Einwohnerzahl, weil sie sich auch in den vergangenen Jahren nicht großartig verändert habe. Von der Uni Kassel derzeit erarbeitete Entwicklungsprognosen sollten abgewartet werden. Er verwies auf Gewerbeflächen in Rengershausen als Vorranggebiet und das interkommunale Gewerbegebiet mit Schauenburg. Potenzialflächen seien überdimensioniert und sollten zum Schutz der Landwirtschaft reduziert werden. Obwohl der Regionalplan bindende Wirkung habe, sei ein Zielabweichungsverfahren immer wieder möglich. Bislang unbebaute Flächen solle vorrangig entwickelt werden und Außenbereiche nur, wenn Bestandslücken nicht nutzbar seien. Standortgebundene Landwirtschaft habe Vorrang vor Bebauung. Globale Veränderungen und Sicherheitsinteressen Deutschlands sind definierte Ziele im Regionalplan. Er kann dieser Stellungnahme nicht zustimmen. Die Stadtverordnetenversammlung solle die Verwaltung auffordern, Fristverlängerung zu beantragen.
- Udo Rodenberg (SPD) erwiderte, man habe gerade in den vergangenen Jahren die Innenentwicklung sehr stark vorangetrieben und ganz klar sei: Keine Enteignung! Aber nicht nur Ackerböden haben Eigentümer, auch Grundstücke im Innenraum. Rodenberg erinnerte an zwei Eigentümerabfragen, die faktisch zu einem Dilemma führen: bei den landwirtschaftlichen Flächen besteht ausnahmslos keine Verkaufsbereitschaft, und bei den 150 möglichen Innenraumflächen haben ganze zwei 2 Besitzer Verkaufsbereitschaft signalisiert. Derzeit gebe es keine Bereitschaft für einen Bebauungsplan. Aber Hinter verschlossenen Türen, wie von den Bürgerinitiativen oft behauptet werde, werde kein Bebauungsplan vorbereitet. Solche Behauptungen führten zur Spaltung. Nichtsdestotrotz sei die Wohnraumsituation unbefriedigend. Menschen ziehen weg und bebauen woanders wertvolles Ackerland. Frühere Bevölkerungsprognosen seien von 20.000 ausgegangen, jetzt gibt es 28.000 Baunataler. Vor allem ältere Menschen wollen jetzt kleinere Wohnungen, die es nicht gibt.
Emotionen schwingen kräftig mit
- Rodenberg fragt auch, „warum soll VW nicht gestärkt aus der Krise hervorgehen?“ Fläche 8 sei schon herausgenommen. Alles anderen wäre grob fahrlässig und Zielabweichungsverfahren bedeuten viel Aufwand und Kosten irre viel Geld. „GRÜNE sind gegen alle Entwicklungen“. Menschen am Oberen Heimbach haben auch auf bestem Ackerland Flächen bebaut und wollen das jetzt anderen verwehren.
- Martina Klein (B90/GRÜNE) sieht im Plan keine Verbesserung der Klimasituation. Es gehe auch um Frischluftschneisen. „Wir wollen Bebauung in Großenritte Nord auch nicht in 20 Jahren!“
- Reiner Oswald (FDP) erkennt kein Verbot der Außenbebauung, aber in Großenritte Nord jage Mann einer Schimäre hinterher. Die Flächen sind auch zukünftig nicht verfügbar. Er will keine Landschaft ohne Wälder und ohne Felder. Anfangs habe man das nicht gesehen, aber Bürger fühlen sich überfahren und haben die Bürgermeisterwahl genutzt, sich eine Stimme zu geben. Lieber solle man Lücken zwischen den Stadtteilen schließen. Viele Bewohner werden Häuser in Zukunft nicht mehr nutzen, er sieht keinen Wohnraumbedarf.
Stüssel: Haushaltssituation dramatisch – kommen stattdessen Steuererhöhungen?
- Sebastian Stüssel (CDU) reagiert verwundert. „Da könnte man der Meinung sein, das hätte mit einem Baugebiet zu tun. Hier geht es aber nur um die Flächen im Regionalplan, nicht um einen Bebauungsplan. Das Potential müsse man groß halten, denn was ist, wenn das verbleibende 7c aus irgendwelchen Gründen nicht geht? Dann geht gar nichts mehr. Schließlich verwies er auf die Situation der Stadt Baunatal und den Haushalt 2035. Für den erwarte er 35 Millionen Euro Defizit. Die nachfolgenden Haushalte werden nicht besser aussehen. Da ist die Krise bei VW mit Stellenabbau und möglicher Schließung noch gar nicht drin. 35 Millionen kann man bei 120 Millionen Gesamthaushalt gar nicht ausgleichen. Und weiter: Wir dürfen gar keine Schulden machen, also erhöhen wir die Grundsteuer A und B. Das sei schon in der Pipeline des Bürgermeisters, denn die Stadt stehe mit dem Rücken an der Wand. Die Prognose sei, dass der Hauptsteuerzahler auch bis 2035 keine Gewerbesteuer zahlt, aber Baunatal müsse eine Infrastruktur für 40.000 Einwohnern pflegen: „Wir brauchen Menschen, die hier Steuern zahlen oder müssen Gewerbe ansiedeln. Auch das braucht Flächen: „Ich erwarte eine Aussage dazu, wie wir dann die Stadt finanzieren wollen.“
- Franziska Bünsow (B90/GRÜNE) sieht ein Patt zwischen Mehrheit im Parlament und Spitze der Verwaltung. Sie bittet um eine Sitzungsunterbrechung, um das Anliegen der Fristverlängerung zu besprechen
- Sebastian Stüssel (CDU) sieht kein Patt, denn man entscheide über eine Magistratsvorlage mit Mehrheit.
Trotzdem Pause – danach heftig weiter
- Dr. Reiner Oswald (FDP): „Einkommensteuer rettet unseren Haushalt nicht. Einwohner kosten auch Geld. In der Öffentlichkeit muss das mitgetragen werden.“
- Tamaris Müller (B90/GRÜNE) möchte eine Bürgerversammlung. Vielleicht reichen einzelne Straßen statt riesige Neubaugebiete.
- Sebastian Stüssel (CDU) geht nicht davon aus, dass sich Positionen verändern, also jetzt keine Augenwischerei und nicht wegducken.
- Christian Strube (SPD) stellt klar, dass auch Stellungnahmen von Bürgerinnen und Bürgern gleichwertig behandelt werden, und fordert die Bürger auf, Stellung zu beziehen.
- Erster Stadtrat Daniel Jung (SPD) lobte die Bauverwaltung für gute Arbeit. Die Diskussion werde aus dem Rückspiegel geführt. Auch wenn nicht jetzt nichts gebaut wird, dürfe man Zukunftsperspektiven nicht verlieren. Beunruhigend sei der Vertrauensverlust. Auf unterster Ebene geschehe alles ehrenamtlich durch Bürger, die sich über ihre Stadt Gedanken machen. „Angst ist ein schlechter Ratgeber!“
- Auch Andreas Mock (CDU) möchte den Blick nach vorne richten. Die Bürgerinitiative sage, Baunatal brauche kein Wachstumm und verweist auf die Bertelsmann-Studie. An diese habe sich auch der Kreis gehalten und beispielsweise die Langenbergschule 3-zügig geplant. Inzwischen ist sie 5-zügig. Es gäbe eine komplett andere Wirklichkeit. Im Übrigen wären es gerade die GRÜNEN gewesen, die sich auch in der Vergangenheit gegen Projekte der Nachverdichtung ausgesprochen haben.
- Henry Richter findet, man könne auch in 10 Jahren noch über Bebauung nachdenken. Es gäbe auch Potenzial am Stadtpark, am Baunsberg und an der Besser Straße.
Die anwesenden 21 SPD-, 8 CDU-, 8 GRÜNEN- und 3 FDP-Stadtverordneten stimmten die Anträge wie folgt ab:
- Fristverlängerung abgelehnt bei 12 Ja-, 26 Nein- und 2 Enthaltungs-Stimmen
- Änderungsantrag der GRÜNEN abgelehnt bei 10 Ja-, 26 Nein- und 4 Enthaltungsstimmen
- Stellungnahme zum Regionalplan angenommen mit 26 Ja-, 10 Nein und 4 Enthaltungs-Stimmen
Ein Bürgermeister hat in einer Stadtverordnetenversammlung kein Stimmrecht und muss für seine Positionen Mehrheiten finden. Diesmal ist das Parlament anderen Mehrheiten gefolgt. (Rainer Sander)
In eigener Sache: Wir haben einen Satz zum Versand von Sitzungsunterlagen samt Kommentaren gelöscht. Es hat dafür keine Ursache gegeben, sondern nur ein Missverständnis und offensichtlich zusätzlich auch noch ein Versehen. Am Ende sind ich und der Kommentar beide von falschen Annahmen ausgegangen. Weder Herr Richter, NOCH Herr Heine haben etwas versäumt. Es erschien sinnvoll, Satz UND Kommentar zu entfernen. Rainer Sander
6 Kommentare
Viele Menschen suchen Wohnungen, Häuser oder Grundstücke in Baunatal. Es muss dringend etwas passieren!
Danke für den sehr informativen und dabei sachlichen Artikel!
Der Stavo-Voritzende ist für die Einladungen und somit für die Sortierung der Unterlagen zuständig- die Einleitung suggeriert hier etwas anderes …. warum?
Toller Bericht. Genau so war es. Vielen Dank
Naja…. Es fehlt hier leider die mimosenhafte Opferrolle von SPD und CDU… (Stichwort BN und Meinungsfreiheit), die wiederum keine Möglichkeit versäumt haben, um unter Nachdruck zu beweisen, daß sie an einem Bürgerdialog nicht interessiert sind. (Strube weist darauf hin, dass die Stellungnahmen ihn nicht interessieren, Stüssel findet es lächerlich mit betroffenen Bürgern zu sprechen).
Und dann noch zu jammern daß immer weniger Bürger Vertrauen in „die“ Politik haben ist lächerlich und beweist nur, dass man nichts dazulernen will!
Oh, kann da ein Fanboy des neuen Bürgermeisters nicht ertragen, was Tatsache ist? Und dann auch noch Personen falsch zitieren, um sie in den Dreck zu ziehen, aber das ist eben Euer Niveau.