Eindrucksvolles Plädoyer für Artenvielfalt im Cineplex Baunatal
BAUNATAL. Niemand hat sich in den vergangenen 30 Jahren einen Schottergarten angelegt, weil er so schön aussieht. Auch eine leicht farbige Fläche aus Eder-Kies ist nicht viel ansehnlicher als eine schottergraue Fläche aus heimischem Blaubasalt. Der Hauptgrund für eine Steinwüste im heimischen Karree ist, dass der Garten möglichst wenig Arbeit macht, glaubt Karl-Heinz Härtl.
Der Gärtnermeister und Pflanzensoziologe mit Studienabschluss hält das für einen Trugschluss. Auch eine luftdicht und wasserdicht versiegelte Fläche verhindert nicht, dass sich wieder Substrat zwischen den Steinhaufen sammelt oder durch abstammendes Laub entsteht und irgendwann über der Folie wieder etwas wächst, was die Hausherren eigentlich loswerden wollten. Das wird dann mit Pestiziden bekämpft, die direkt in die Kanalisation gespült werden und Laubbläser verhindern regelmäßig, dass sich etwas zwischen den Steinen ansammeln kann. Ganz ohne Arbeit geht‘s also auch im Schottergarten nicht.
Nicht mehr Arbeit, aber ein schönerer Anblick
Was aber, so stellt er die Frage, wäre, wenn es eine Lösung gäbe, die nicht mehr Arbeit macht als regelmäßig Laubblasen, Pestizide aufbringen und irgendwann doch wieder Unkraut zu rupfen, aber stattdessen gleichzeitig eine blühende Landschaft in das eigene Anwesen – im wahrsten Sinne des Wortes – zaubert?
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In einer beeindruckenden und farbenfrohen Präsentation auf der riesigen Kinoleinwand warb der Naturschutz- und Gartenbau-Unternehmer aus Niedenstein dafür, Schottergärten nicht zurückzubauen, was mit erheblichem Arbeits- und Kostenaufwand verbunden wäre und gar nicht immer ökologisch sofort sinnvoll wäre. Vielmehr fordert er dazu auf, die vorhandene Folie unter der Steinwüste mit Brecheisen oder Presslufthammer im dichten Abstand zu durchstoßen oder zu durchbohren, ein spezielles Substrat einzubringen, welches für das Anpflanzen von Stauden geeignet ist und dann sogenannte Sukkulenten und vielfältige Staudenarten in die Schottergärten einzubringen. Also Pflanzen, die an besondere Klima- und Bodenverhältnisse angepasst sind. Sie zeichnen sich insbesondere dadurch aus, dass sie Wasser speichern können sowie zugleich pflegeleicht und anspruchslos gegenüber ihrem Lebensraum sind.
Artenvielfalt statt Ratten und Mäuse
Gleichzeitig bieten diese Pflanzen einer immensen Artenvielfalt eine Heimat. Dazu gehören die ersten Bienen im Frühjahr, alle anderen Hautflügler, Schmetterlinge, Falter und viele Kriechtiere. Schließlich auch Vögel. Ungemütlich sind sie für Ratten und Mäuse, die sich allerdings insbesondere unter Schottergärten besonders wohlfühlen und mit ihrer Anlage in die Wohngebiete zurückgekehrt sind. Im Verlust der Artenvielfalt sieht Härtl ein größeres Problem als im Klimawandel.
Tatsächlich ist eine – wie auch immer beschaffen – reine Steinwüste auch ein „Klimakiller“. Zumindest für das Stadtklima. Im Frühjahr, bei mäßiger Wärme, erreicht Basalt schon Temperaturen von über 30 Grad, im Sommer sind es schnell 55 Grad und bis zu 60 Grad Temperatur strahlt er ab. Um bis zu 6,5 Grad gegenüber der Umwelttemperatur können Pflanzen wie die Braunelle hingegen die Wärme absenken. Bis zu 60 Liter Wasser pro Tag können Sie abgeben.
Rund 20 Pflanzen vorgestellt
Der Thymian blüht früh, bietet Bienen Nahrung und wirkt für Insekten nach dem kalten Winter wie ein Antibiotikum. In der Fetthenne siedeln sich Holzbienen oder Blindschleichen an. Sie bildet ein dichtes Polster und kommt fast ohne Wasser aus. Glockenblumen ernähren die Schmetterlinge und leben sogar im Winter das Streusalz. Der Scharfe Mauerpfeffer wächst, wo sonst nichts wächst. Einige Pflanzen sind so fest, dass sie sogar in Feuerwehrzufahrten die Überfahrung mit 40 Tonnen aushalten. Das Sempervivum oder Hauswurz ist mit inzwischen 7000 Arten ist die Aloe Vera des Nordens. Einst ordnete Karl der Große die Anpflanzung per Sekret an, weil die Pflanze angeblich vor Blitzschlag schützt. Das ist Unsinn, sagt Karl-Heinz Härtl, und trotzdem ist die winterfeste Art ein Gamechanger für den Schottergarten.
Erster Stadtrat Daniel Jung, der die Veranstaltung am Dienstagabend im Cineplex vor rund 50 Interessierten eröffnete, erklärte, dass – im Gegensatz zu anderen Kommunen oder Regionen – ein Rückbau in Baunatal nicht verlangt wird, obwohl die Neuanlage von Schottergärten in Hessen inzwischen nicht mehr erlaubt ist. Er erinnerte an die klimaschützenden Aktionen in der Stadt mit Baumpatenschaften, den inzwischen 1400 Lebensbäumen, den zahlreich angelegten Blühstreifen oder den Beispielen für die Schotterbepflanzung in Verkehrsberuhigungskübeln am Marktplatz in Großenritte. Auch diese wurden zusammen mit der Gärtnerei Härtl zur Anschauung angelegt.
Schulung demnächst online
Die Gärtnerei Härtl in Niedenstein wird in den nächsten Tagen eine Schulung mit Anleitungen zum Wiederbeleben von Schottergärten online stellen. Die Informationen dazu können unter E-Mail ihr.gartenbau@t-online.de angefordert werden. (rs)
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