Bay City Rollers und Rubettes im Ziegenhainer Kirmeszelt
SCHWALMSTADT. Ja, es hat etwas banal-apokalyptisches, wenn Weltstars aus den 70ern im Kirmeszelt auftreten. Also, wenn die Typen aus dem Bravo-Starschnitt irgendwann nach 40 oder 50 Jahren in der Kirmesbank-Arena vor 300 Besuchern musizieren, statt in der Deutsche Bank-Arena vor 30.000. Da wo kurz zuvor der Musikzug der Eintracht Baunatal nach dem Festzug aufgespielt hat.
Aber immer noch sind es die gleichen Fans im Publikum, die den Juke Box Heroes der Post-Beat- und Woodstock Ära zuhören. Die Glamrock-Boys der Bay City Rollers mit „Be My Baby“ oder „Bye Bye Baby“ (ok!) oder der Rubettes mit „Sugar Baby Love“ oder „Baby I Know“ (warum eigentlich immer Baby?) haben eindrucksvoll die gravierende Lücke zwischen Progressive Rock und dem Schlager geschlossen. Tanzbar, kommerziell, mit Showqualitäten aber ohne Nähe zum Seichten. Schon richtig kerniger Rock.
Das Leben ist ganz einfach geworden …
Für Freunde von Deep Purple oder Led Zeppelin war’s deutlich zu kommerziell, für die Fans der Flippers und der Les Humphries Singers eindeutig zu revolutionär. So kann’s gehen … Aber sie waren es, die weltweit die Konzerthallen gefüllt und reihenweise Gold- oder Platinscheiben abgeräumt haben. Und irgendwie ist das nie ganz weggegangen. Heute hat es mehr biologische Gründe, dass die Fangemeinde schrumpft. Mit Arthrose, Rücken, Diabetes und Osteoporose in den Knochen fällt das Rocken einfach schwerer als früher. Man geht nicht mehr so oft raus, vor die Tür …
Das trifft vermutlich auf beide Seiten der Bühnenkante gleichermaßen zu. Dabei ist das Leben ganz einfach geworden. Man hört und spielt die gleichen Hits aus den Jahren vor einem halben Jahrhundert und freut sich, dass die Gute Alte Zeit immer noch nicht ganz vorüber ist.
Das hat definitiv mehrere gute Seiten. Die Musiker haben in mehreren Jahrzehnten der Präsentation, immer wieder der gleichen Lieder, eine derartige Routine entwickelt, dass man sie nachts um 2:00 h wecken und „Listen To The Music“ (Rubettes) oder (wie passend) „Yesterday‘s Hero“ (Bay City Rollers) rufen kann und sie hau‘n das mit einer Leichtigkeit und Innbrunst raus, dass es einfach Freude macht, dabei zu sein.
Spielfreude und mächtig Druck
Bis nachts um zwei ging es am gestrigen Ziegenhainer Kirmessonntag zwischen Just White der Rubettes und dem Schottenrock der BCR nicht. Aber das Publikum war hin- und hergerissen bei Titel wie „Dancing“ oder „Saturday Night“ (zu spät …) von den Rollers oder „Saturday“ (auch zu spät) beziehungsweise Juke Box Jive von den Rubettes gibt es auch gar keine Gründe zum Nörgeln. Man darf neidlos anerkennen, dass die Jungs das einfach gut machen, ihre Instrumente beherrschen und nach derart vielen Live-Jahren eine Menge Druck auf die PA bringen. Chapeau!
Als ehemaliger „eher-Deep-Purple-Genesis-Kinks-Anhänger“ ertappe ich mich dabei, mitzuwippen und das Ganze irgendwie schön zu finden. Übrigens weder aus Mitleid mit den Musikern, noch aus Mitgefühl mit den Zuhörern. Wenn ich aufhöre darüber nachzudenken, was gut oder schlecht, kommerziell oder – ja, was eigentlich sonst? – sein könnte, geht es nur noch um das musikalische Handwerk oder eben die Freude daran, der Musik endlich im Original zu lauschen, die früher aus dem Radio oder der Jukebox kam und für die man in Treysa bei „Otti Rabe“ oder „beim Eulich“ eher aus Verzweiflung einen 50er in die Musikbox geworfen hat, und dafür schließlich von den Roland Kaiser Fans blöd angeschaut wurde. Auch die habe ich gestern übrigens im Kirmeszelt gesehen. Das wächst zusammen, was … ach, egal!
Einfach nur Freude
Es war also ein schöner Konzertabend im Zelt, völlig frei von Erwartungen, der Allen einfach Freude bereitet hat und der, wie alle anderen Abende im Leben, nun auch nicht mehr wieder kommt. Mal sehen, was uns die nächsten Jahre erwartet?
Die Brücke zwischen dem Progressiv- und dem Glamrock schlugen wieder Perfekt die Männer der Steven Stealer Band. Sie sind genauso alt, genauso routiniert und spielen genauso das, was dem Publikum gefällt. Aber nicht, weil sie nur spielen wollen, was gefällt, Sonden ihnen gefällt, was die Menschen gerne gespielt hören wollen. Was für ein großartiger Zufall, auch dass es den alten Helden der Rubettes und der Bay City Rollers nicht anders geht, nach solch einer langen Zeit.
Park oder Arena?
Irgendwann merkt man, dass Musik immer dann schön ist, wenn sie authentisch und mit Leidenschaft präsentiert wird. Das war gestern definitiv zu spüren. Oder? Dankeschön, lieber Thorsten Laabs, dass Du die alten Musiker nicht vergessen kannst und regelmäßig die Schwalm rocken lässt. Und ja, liebe Eintracht-Fans, ich weiß, es heißt Park und nicht Arena, aber das Wortspiel wäre nicht halb so schön gewesen 🙂 Und liebe Ziegenhainer, auch bei Euch gab es Musikboxen, aber die kannte ich nicht, warum auch immer 😊. (Rainer Sander)