Europas größtes Hippie-Festival endet nach 4 Tagen
BREITENBACH AM HERZBERG. Die vier Tage Auszeit vom normalen Leben, vom Alltag, von Realität und Gegenwart sind vorbei. Die persönlichen Gründe, um zum Herzberg-Festival zu fahren, sind und waren stets so vielfältig wie die Menge der Besucherinnen und Besucher. Eines eint alle Besucherinnen und Besucher: Es ist dieses kleine Stück „Anderssein“.
Ein paar Zeltplätze sind bis zum Schluss freigeblieben. Nach Corona ist längst nicht alles wieder wie vorher. Dennoch war das Herzberg-Festival weit besser besucht als viele andere Veranstaltungen in der Post-Corona-Ära.
Anderer Rhythmus, andere Farben …
Obwohl die Welt am Herzberg einen anderen Rhythmus schlägt, andere Farben zeigt, andere Sichtweisen offenbart und von anderen Umgangsformen geprägt ist, sind doch eine jede und ein jeder anders anders …
Die beiden letzten Bands auf der Mainstage standen am Sonntagabend zugleich für das aktuelle „Outfit“ des Festivals. Einerseits stehen von den Bands aus den sechziger und Siebzigerjahren, also den Anfängen des Festivals, immer weniger zur Verfügung und andererseits haben auch die „Früher-war-die-Musik-besser-Fraktionen“ alles schon tausendmal gehört. Vor allem aber haben die unzähligen jüngeren Festival-Besucher zwischen 18 und 28 Jahren nicht alle Lust, die viel zitierten weißhaarigen alten Männer auf einer Bühne zu bewundern.
Eigene musikalische Helden
Sie haben ihre eigenen musikalischen Helden, die keinen Fatz schlechter sind, sondern nur anders. Das beste Beispiel waren die „Blues Pills“. Nein! Nicht die blauen Pillen für die weißen alten Männer! Sondern vier junge (Wahl-) Schweden und eine Schwedin, die mit Nachdruck und ungebremster Bühnenpräsenz zeigen, wie man Blues heute spielt. Immer dann, wenn die Grenzen zu anderen Genres wie Hardrock verschwimmen, wird‘s erst richtig interessant. Sängerin Elin Larsson wirbelt eine Stunde lang ohne Pause mit voller Energie über die Bühne. Schlagzeug, Gitarre und Bass haben keine Mühe, ihr dabei zu folgen.
Die Blues Pills waren zwar nur der „Ersatz“ für das „Devon Allman Project“. Wenn bei der Anmoderation gesagt wurde, dass sie zum Herzberg eigentlich erst 2023 kommen wollten, weil sie in diesem Jahr viele andere Festival-Auftritte hätten, so ließ sich das während der Bühnenshow als Grund nachvollziehen. Das hält man physisch schwer durch. Trotzdem waren sie da und wie! Dafür fehlen sie dann nächstes Jahr.
Reggae zum Schluss
Groundation waren letzte Band. Gegründet 1998 liegen die Wurzeln also jenseits der Sechziger-, Siebziger- und Achtzigerjahre. Und trotzdem hat man das Gefühl, dass alles ein bisschen mitmusiziert. Im Laufe der Jahre hat Groundation den Reggae ein wenig neu erfunden, mit Jazzelementen versehen und in der „Next Generation-Besetzung dürfen Brady Shammar und Alreca Smith ein bisschen mehr singen als Frauen sonst im Reggae. Deswegen heißen sie auch Harmony Vocalist und nicht Background Vocalist. Trotzdem bleibt Reggae „männlicher“ als die meisten Musikstil. Wer bei Groundation stillstehen kann, ist definitiv falsch am Herzberg.
Mir ist es – wie am ersten Tag erwähnt – noch immer nicht gelungen, Hippie zu gendern. Mir ist in den vier Tagen aber auch kein Grund aufgefallen, es tun zu müssen. Auch das mag am Herzberg-Flair liegen.
Das nächste Herzberg-Festival beginnt am 27. Juli 2023 und endet am 30. Juli 2023. (Rainer Sander)