Zweiter Tag Herzberg-Festival
BREITENBACH. Vielleicht haben auch Sie Eltern oder hatten eine Oma und vielleicht einen Ur-Großonkel, der im besten Fall sogar zwei Weltkriege erlebt hat, die allesamt herzlich gerne von alten Zeiten schwärmten, von den wenigen Problemen und der Kameradschaft oder der allgemeinen Unbeschwertheit. Daher kennen wir den Satz, „früher war es doch besser!“
Wir haben immer gewusst, dass das nicht stimmt! Wer heute gerne betont, dass wir ohne Helm Fahrrad gefahren und ohne Sicherung auf Bäume geklettert sind, ist schon nah dran, das gleiche zu tun und wer schließlich noch schwärmt, dass es so etwas wie CCR, Jimi Hendrix, Janis Joplin oder Led Zeppelin heute nicht mehr gibt, steckt mittendrin im No Future-Dilemma.
Keine Nostalgie
Und es klingt fürchterlich klischeehaft oder nostalgisch, wenn jemand mit Love & Peace grüßt, sich Blumen ins Haar steckt, ausgestellte Hosen anzieht, die Kette mit dem Peace-Zeichen umhängt, den Geist von Woodstock beschwört und die alten Zeiten grüßt Falls es noch nie erwähnt wurde: Burg Herzberg ist anders. Da fährt auch niemand hin, der nur mal neugierig ist. Der Herzberg ist alles andere als Nostalgie.
Gelegentlich ist es gut, sich mit der Etymologie von Worten zu beschäftigen. Hippies, das sind nicht die Spinner und Fantasten und schon gar keine merkwürdigen oder komischen Leute. Aus dem Englischen stammend beschreibt der Begriff zunächst diejenigen, die „hipp“ sind, also auf der Höhe der Zeit, modisch und gedanklich „Up to Date“. Das hat von Anfang an nicht den Typ des Realitätsverweigerers beschrieben und irgendjemand, der als erstes die Bewegung analysiert hat, muss das mal genau so gesehen haben. Sehen wir es doch wieder so! Vielleicht geht von hier ein Impuls aus, der andere Sichtweisen wieder „hipp“ werden lässt, denn so verkehrt wäre es nicht.
Alle gemeinsam
Das Motto dieses Jahr lautet „All Together, NOW“. Das meint zunächst, dass alle etwas zusammen tun. Vielleicht auch, dass möglichst viele ähnlich denken und gemeinsam handeln. Dafür gibt es gerade jede Menge gute Gründe. In der Musikgeschichte gab es zwei Lieder, die so heißen. Das erste von den Beatles und zuletzt, aktuell bekannter, das von The Farm. Während der Beatles-Titel vom Yellow Submarine-Album schon ein bisschen verspielt rüberkommt und ein Baum gefällt, statt gepflanzt wird, verbirgt sich ein tiefer Sinn hinter dem Text von The Farm. Der liegt begründet im Winter des Jahres 2014. Da schlossen die Soldaten im Ersten Weltkrieg zu Weihnachten den sogenannten Weihnachtsfrieden, beschossen sich einen Tag lang nicht, sondern feierten zwischen den Schützengräben im Niemandsland und spielten sogar Fußball. Selbst wenn Putin Fußballfan wäre, es ist gerade nicht Weihnachten. Den Weg in die Fußballstadien haben beide Titel zu ihrer Zeit auch so geschafft.
Die meisten Medien schreiben eher niedlich über die Hippiekultur. Als wäre das so etwas wie ein Museum, eine Ausstellung. Und das Schlimmste ist, sie machen die Fotos auch so, wie im Zoo.
Wäre die Gegenwart nicht dazwischengekommen
Burg Herzberg ist und bleibt spannend und nicht stehen. Vielleicht deshalb, weil die Veranstalter nie versucht haben, ein lebendiges Museum zu gestalten, sondern zuletzt überlegt (oder vermutlich auch nicht überlegt) haben, wie die Vergangenheit heute aussehen würde, wäre die Gegenwart nicht dazwischengekommen. Sie haben die Gegenwart genommen und in Regenbogenfarben Vergangenheit drübergeschrieben und keinem fällt es so richtig auf!
Es sind auffallend viele junge Menschen, mindestens so jung, wie die Horden einst in Woodstock, Monterrey oder Roskilde. Das das Festival nicht nur mit der eingangs beschriebenen Nostalgie zu tun hat, zeigt das Line Up der Bands. Spidergawd, die gestern Abend gespielt haben, könnten natürlich auch in Wacken auftreten, dürften viele denken, die genau dort nicht hingehen werden. Und tatsächlich spielen Spidergawd auf der Headbangers Stage zur Primetime in Wacken um 20:00 Uhr. Da spielen auch die Headliner von heute Abend, New Model Army, die als eigentlich in die Gegenbewegung zur Hippie-Kultur, der New Wave Ära gehören. könnten.
Als der Regen kam
Ohne einen Tag Regen ist ein Festival grundsätzlich kein Festival. Der Tag war gestern und mit etwas Glück bleiben den Besuchern weitere Regengüsse erspart. Leidtragende des Gewitterschauer waren Spidergawd aus Norwegen, die richtig gut drauf waren und scherzhaft zur handverlesenen Schar von Zuhörern meinten, wir haben unser norwegisches Wetter mitgebracht. Im Laufe des Konzertes, angelockt von rockigen Klängen, wurden es bis zum Ende des Gigs allerdings stetig mehr Menschen. Von Beginn an legte das Quartett mächtig los, als würde es gelten den RegenGott ordentlich zu erschrecken.
Es hat funktioniert, allerdings profitierte davon erst Bukahara. Was soll man zu Bukahara sagen? Aus allen Ecken und Winkeln kamen die Menschen und es war am Ende mächtig voll vor der Bühne. Die Gruppe ist eine richtige Festival-Band Alle spielen mehrere Instrumente, manchmal gleichzeitig, mal miteinander, mal gegeneinander, stets füreinander und vor allem für das Publikum. Bei Reggae-Rhythmen, die sich abwechselnd mit sparsam eingestreuten sanften Klängen startete das Programm. Was die Band nicht so gerne mag, ist der 4/4-Takt. Bukahara macht auf jeden Fall Spaß, man kann nicht stillhalten und wenn selbst Folk-Klänge plötzlich mit Tempowechseln und Rhythmen daherkommen, die dafür vielleicht nicht gedacht waren, dann kommt so richtig Festival-Stimmung auf. (Rainer Sander)