Der erste Tag Burg Herzberg-Festival
BREITENBACH. Guten Morgen Herzberg Festival! Wie war die erste Nacht? Gestern Nachmittag hat sich die große Wiese am Fuße von Burg Herzberg erstmals seit 2019 wieder in Freak City verwandelt, Tausende campen wohlgeordnet. Der ganze Ablauf zeigt: Der oder die (?) Hippie bringt mehr Disziplin auf als Fans preußischer Regelungskunst.
Der Unterschied könnte darin liegen: die einen wollen miteinander klarkommen, die andern müssen …
Übrigens: Was das Tennisturnier in Halle für Wimbledon ist, ist Loshausen für das Herzberg-Festival. Luftlinie liegen die beiden Festival-Orte näher zusammen als das Tennis-Mekka und sein deutsches Warm Up Turnier. Man muss nicht fliegen und stattdessen zieht sich eine Wohnwagen- und umgebaute Krankenwagen-, Reisebus- oder THW-Auto-Kolonne aus der tiefsten Schwalm in Richtung Herzberg. Dazu kommen Hippies aus ganz Deutschland, die, aus allen Richtungen herbeiströmend auf der L3161 und L3340 „vereint“ werden.
Das Mantra der Anreise
Jedes Mal bei der Anfahrt am Donnerstag frage ich mich, ob die lange Schlange, die sich fast bis Ottrau zieht, so etwas wie eine Gruppenmeditation für anreisende Massen ist. Ein bis zwei Stunden Stau werden mit stoischer Gelassenheit hingenommen. Man spielt mit den Kindern auf der Straße neben den Autos und wenn‘s mal 100 Meter weiter geht, stört das beinahe die Idylle. Jedes Jahr wundern sich viele, warum nicht in zwei Spuren parallel „abgefertigt“ wird, aber auch darüber werden die Veranstalter schon mal nachgedacht haben. Letztlich kommt sowieso jeder aufs Gelände und ab dort werden keine Fragen mehr zur Vergangenheit gestellt. Die Anreise gehört dazu. Diesmal auch gehörte zum Festival-Alltag auch der erste Einsatz von „Christoph 28“ aus Fulda, der auf der Wiese oberhalb des Geländes landen musste.
Es ist wunderbar, zwischen den unzähligen Buden, Zelten und Bühnen zu schlendern und in eine völlig andere Welt einzutauchen. Es klingt wie ein blödes Klischee, wenn man sagt: Herzberg ist anders! Und trotzdem so unheimlich echt, dass es locker drei Wochen Schweigekloster oder Eremitage ersetzen kann. Man kommt unweigerlich an dem Punkt, die Welt, wie sie ist, infrage zu stellen und zu merken, dass man vieles wieder vermisst, noch braucht und manches anders geht.
Eine andere Welt
Wer genauer hinschaut, merkt, dass man auf dem Herzberg-Festival nicht in einer Welt der Fantasten, Spinner entrückten und Realitätsverweigerer gelandet ist. Wer mit dem E-Mobil anreist und glaubt, in einer Gemeinschaft der Klimaretter anzureisen, spürt auch schnell, dass er damit völlig allein ist. Und andererseits wird hier mehr Friedfertigkeit, Nachhaltigkeit und Umweltkonsens praktiziert als auf den meisten anderen Festivals oder sonst wo. Das Gemeinschaftsgefühl nährt dabei stets für die Gewissheit, dass es auch noch eine andere Welt gibt als die, die wir vordergründig wahrnehmen. Weil alles immer zwei Pole hat und es immer genauso viel Gutes wie Schlechtes geben muss. Sonst funktioniert diese Welt gar nicht.
Das Schöne ist, die Welt am Fuße des Herzberg wird erklärt, die Welt drumherum verstehen immer weniger Menschen. Wie gesagt, keine Spur von sinnleerer Love + Peace-Romantik. Interessant ist, dass die Musik zwar das verbindende und das ursprüngliche für das Herzberg-Festival ist, aber permanent mindestens die Hälfte der Besucher gar nicht vor den Bühnen zu finden ist, sondern miteinander spricht, miteinander spielt und sich irgendwo begegnet. Selbst die Angebote für Kinder sind anders: keine Karussells, dafür viel zum Mitmachen, Musik machen und ausprobieren.
Musik und mehr …
Trotzdem hatten die Veranstalter auch für den Eröffnungstag ein abwechslungsreiches Bühnenprogramm zusammengestellt. Auf der Hauptbühne waren unter anderem angekündigt Guru Guru, Faber oder Moonlight Benjamin.
Tatsächlich hat das Festival 1967 aber mal als Band Wettbewerb begonnen. Das schlägt den Bogen zu meinem zu meinem Vergleich am Anfang, den ich bewusst gewählt habe: Auf dem Eingangstor zu Wimbledon steht ein interessanter Satz aus dem Gedicht „If“ von Rudyard Kipling: „If you can meet with triumph and disaster and treat those two impostors just the same.“ Das heißt so viel wie: „Wenn du Triumph und Niederlage hinnimmst und beide Blender gleichbehandelst.“ Was nicht dort steht, ist, wie Kipling den Satz fortsetzt: „Dann gehört dir die Welt, und alles, was sie beinhaltet.“
Auf dem Festivalgelände am Fuße der Burg Herzberg spürt man, dass es nicht um Triumph oder Niederlage geht. So sind die meisten Blender ausgeschaltet und alles konzentriert sich ausschließlich auf die Gegenwart. Auf diese Weise gehört den Hippies die Welt und alles, was sie beinhaltet. Und noch einmal zum Anfang: Ich habe keine Ahnung, wie man Hippie gendert. Das Festival-Motto lautet jedenfalls „All Together, NOW!“ Zu beidem Morgen mehr! (Rainer Sander)
Der zweite Tag HIER