Mongole Dendev Terbishdagva stellt Buch in Gudensberg vor
GUDENSBERG | ULAN BATOR. Was verbindet Dschingis Khan mit einer globalisierten, modernen Welt, was haben Nomaden, die mit Viehherden durch die mongolische Steppe ziehen, mit moderner Landwirtschaft zu tun?
Dendev Terbishdagva kann dazu eine Menge erzählen und genau das hat er in Gudensberg am Mittwochabend getan, als er im Bürgerhaus seine Biografie vorstellte: „Im Jahr des Roten Affen“. Untertitel: ein Nomade zwischen Jurte und Brandenburger Tor. Als Junge musste er 25 Kilometer auf einem kleinen Pferd in die Schule reiten. Die Familie gehörte zu den Nomaden, die heute noch immer durch die weiten Steppen des Landes ziehen, das so groß ist wie Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Österreich zusammen, aber nur halb so viele Einwohner hat wie Hessen. Fast die Hälfte davon lebt in der Hauptstadt Ulan Bator (1,5 Millionen Einwohner).
Nomadentum zwischen Tradition und Wissenschaft
nh24 hatte die Möglichkeit, sich, mit dem späteren Botschafter seines Landes in Berlin und auch Vizepremier der Mongolei, zusammen mit Bürgermeisterin Sina Best im Besprechungszimmer des Gudensberger Rathauses zu unterhalten. Schnell werden dabei die Eingangsfragen beantwortet.
Die Jurte war sein erstes Zuhause, erst als er in der 4. Klasse war, zog die Familie nach Ulan Bator. Nomaden sind naturgebunden, ziehen herum, spielen aber in der Menschheitsgeschichte eine große Rolle, ist er sicher. Längst folgt auch diese Art der Viehzucht wissenschaftlichen Erkenntnissen und baut auf Jahrtausende alte Tradition. Er erklärt, dass fast alle Kinder trotzdem in alles lernen. „Schule und Ausbildung sind gut in der Mongolei“
Dschingis Khan war kein Schreckensherrscher, sondern Visionär
Schnell ist er bei Dschingis Khan. „Die westliche Literatur stellt den Mongolenherrscher zumeist falsch dar“, sagt Herr Terbishdagva. Nur reiten und Jagen reichen nicht, um ein Weltreich zu begründen. Drei Weltreiche hat es vor dem Mongolenreich gegeben. Das Römische Reich, das Hunnen-Reich und die Tang Dynastie. Keines davon war so groß.
Die Hochkultur der Mongolen schuf die erste Seidenstraße nach Europa. 16 Prozent der Fläche der damaligen Welt umfasste es und ein Viertel der Menschheit lebte unter der Herrschaft der Mongolen, beschreibt er in seinem Buch. Mit nur 250.000 Soldaten, hat Dschingis Khan sein Reich errichtet. Von wegen Schreckensherrschaft! Ein Visionär sei der Khan gewesen. Bei Achtung der Religion und der Zivilbevölkerung, einer eigenen Schrift und einer Verfassung, herrschten sogar 140 Jahre Frieden in der ganzen Welt. Der zweitlängste nach dem Römischen Frieden, länger als in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg. Eine erste Globalisierung mit Handel und Regeln über zwei Kontinente.
Mussten die Untertanen Steuern zahlen? Die haben die Reichen Leute gezahlt, sagt Dendev Terbishdagva. Es wurden bereits damals diejenigen unterstützt, die es schwer hatten.
Der Weg nach Berlin und die Wende
Gute Schüler durften im Ausland studieren, erzählt er. Eine Woche ging es mit der Transsibirischen Eisenbahn Richtung DDR. Ab Moskau begann der Kulturschock. Bei der Ankunft in Leipzig hat er schon gestaunt, denn solche Städte kannte er nicht. Für junge Mongolen galt die DDR bereits als Westen. Berlin war die Steigerung und bei einem Besuch in Westberlin hat es ihn förmlich umgehauen.
Lebensmitteltechnik hat er an der Humboldt-Universität studiert, was naheliegend war für einen jungen Mann aus einer Familie, die mit Tieren durch die Steppe zog und seit jeher Fleischlieferant gewesen ist.
Auch im Jahr 1989 war er in Berlin. Plötzlich, mitten in einem fernen Land, veränderte sich die Welt und war über Nacht nicht mehr die gleiche. Auch er kennt den Satz von Günter Schabowski, „nach meiner Kenntnis ist das sofort, unverzüglich…“ Ein Stück von der Mauer hat er sich damals ebenfalls erkämpft. Er erinnert sich an viele Geschichten. Die Freude war groß, als er in einer Fleischerei „Tartar“ las. Die Enttäuschung ebenso, denn das war in Deutschland rohes Fleisch. So etwas isst man in der Mongolei gar nicht. Bananen kannte er nicht. Da waren die wenigen Bananen in der DDR schon sehr viel. Die Familie eines Studienkollegen hatte ein Haushaltswarengeschäft, andere eine Fleischerei. Das gab es im mongolischen Sozialismus nicht.
Mit deutschen Tugenden zum Unternehmer in der Mongolei
Pünktlichkeit und Disziplin musste er lernen, genauso wie die Eigenständigkeit. In der Mongolei hielt die Großfamilie zusammen.
Nach der Wende, die auch die Mongolei erreichte, baute er den ersten Supermarkt westlicher Prägung in der Mongolei auf. Sowjetische Reitstiefel gab es gegen 3 Schafe. Aber das war nicht der letzte Karriere-Schritt. In Deutschland gehen Politiker anschließend in die Wirtschaft. „Sie haben das umgekehrt gemacht, warum“, will nh24 wissen. „Berater haben damals empfohlen, nach der Treuhand-Methode alles kaputtzumachen und für Schocksituationen zu sorgen. Wir hatten 300 Prozent Inflation“, erinnert er sich. Im Laden gab es nur noch Salz und Nudeln, dafür gab es Lebensmittelkarten. „Viele Menschen sind trotzdem in kurzer Zeit reich geworden. Ein Freund hat mir gesagt, wir benötigen solche Menschen wie Dich, Du hast im Ausland studiert…“
So ist er Politiker geworden. War mehrere Wahlperioden im Parlament, hat es bis zum Vizepremier geschafft und war Botschafter in Deutschland. „Die Parteien sind heute Schutzgruppen der Oligarchen geworden“, sagt er etwas desillusioniert.
Leseunterstützung von Thomas Hof
In der Lesung liest er nicht selbst. Der Gudensberger Schmeckefuchs Thomas Hof, ausgebildeter Schauspieler, übernimmt die Rolle und rezitiert, unterstützt vom Autor, Geschichten und Geschichte. Eine Anekdote zeigt, wie unterschiedlich die Kulturen sind. Als er zum Empfang beim Bundespräsident Johannes Rau die mongolische Tracht anlegte und das Messer umband, sahen die Sicherheitskräfte im Bundespräsidialamt das nicht als Ehrerweisung, sondern als Tragen einer gefährlichen Waffe. Das „No-Go“ wurde geduldet, aber die Hand durfte sich nicht Richtung Messer bewegen…
Ein spannender Abend, eine spannende Geschichte und ein spannendes Buch, auch für mongolische Auszubildende, die bei der Starthilfe Deutsch lernen. Auch ein Goldenes Buch lag aus: das der Stadt Gudensberg, in dem er sich verewigen durfte.
Wer die Biografie liest, erfährt, auch was es mit dem Jahr des Roten Affen auf sich hat. Mit etwas Fantasie kommt man aber gedanklich in die Nähe der Metapher… (Rainer Sander)