Nur zwei Drittel der Tagesordnung geschafft
Baunatal. Öffentlich? Ja, aber nur für diejenigen, die früh kommen. Zum ersten Mal wohl gab es eine Begrenzung für Besucher bei einer Stadtverordnetenversammlung in Baunatal. Für mehr als 35 Gäste war kein Platz nach dem Hygienekonzept. Darin hat der Ältestenrat auch durchgehend Mund- und Nasenschutz vorgeschrieben sowie eine Uhrzeitbegrenzung bis 21 Uhr festgelegt.
Sinnloser Versuch der Selbstdisziplin
Was bis dahin nicht erledigt war, wurde vorab bereits auf den 7. Dezember vertagt. Im Ältestenrat (Fraktionsvorsitzende plus Stadtverordnetenvorsteher) war man sich zuvor einig gewesen, die Redezeit nicht zu begrenzen, aber an die Selbstdisziplin zu appellieren. Dass Disziplin in einer emotionalen Diskussion schwer funktioniert, bewiesen die Stadtverordneten einträchtig. Nach drei Stunden bei Tagesordnungspunkt 10 angelangt, waren schließlich nicht einmal zwei Drittel der Tagesordnung abgearbeitet.
Dabei fällt eine deutliche Unversöhnlichkeit auf, die dazu führt, dass es meist nur noch zwei Positionen gibt. Im Für und Wider, fühlen sich CDU, FDP und GRÜNE offensichtlich ohnmächtig gegenüber einer stets dominanten und übermächtigen SPD, die keine Bündnispartner braucht und auch nicht vordergründig sucht. Sie würde auch keine finden, denn die anderen drei Fraktionen solidarisieren sich in der akzeptierten Opferrolle längst so stark untereinander, dass erkennbare Unterschiede zwischen ihnen weniger in inhaltlichen Positionen, sondern vielmehr in der Schärfe der Argumentation erkennbar sind. Zwar ist in solcherart verhärteten Fronten normalerweise nach zwei Redebeiträgen alles gesagt, aber eben nicht von jedem. Und so nutzen die gut gemeinten Versuche gar nichts, in Corona-Zeiten eine Sitzung zügig abzuarbeiten.
Streit um Jahresabschluss der Stadtwerke Baunatal
Erster größerer Diskussionspunkt war der Jahresabschluss für die Stadtwerke im Geschäftsjahr 2019. Die Prüfer schlagen vor, hinsichtlich der Verwendung des Jahresüberschusses, der in Höhe von insgesamt 804.457,62 EUR mehr als doppelt so hoch ausgefallen ist, als Wirtschaftsplan eingeplant, wie folgt zu verfahren: Der Gewinn der Abwasserbeseitigung in Höhe von 712.348,93 Euro wird an die Stadt Baunatal abgeführt. Der Gewinn aus der Wasserversorgung in Höhe von 89.441,88 EUR und der Gewinn aus der Fernwärme in Höhe von 2.666,81 EUR wird der jeweiligen Rücklage zugeführt. Dem konnten die Stadtverordneten nach lebhafter Diskussion und dem beschriebenen Muster nach heftiger Diskussion zustimmen.
Lothar Rost (B 90/GRÜNE) kritisierte den Ausbauplan für E-Ladesäulen. Bisher gibt es keine neuen Planungen? Gibt es einen Vertrag über die Fernwärme, will er wissen? Dr. Rainer Oswald (FDP) bereitet das Schwimmbad im Abschlussbericht Sorgen. Sebastian Stüssel (CDU) findet, die politische Entwicklung der Stadtwerke sei eine schlechte. Durch die Bank erkennt er schlechte Nachrichten. Es seien – ohne nachvollziehbare Beweisführung – bewusst falsche Zahlen geliefert worden. Er ahnt Belastungen für die Bürger. Die Risiken bei der Fernwärme beispielsweise seien nicht beschrieben, setzt er den Einwand von Lothar Rost fort. „Es gibt aber keine Risiken für die Stadtwerke, weil Mehrkosten an die Bürger weitergegeben werden.“ Die CDU verweigert die Entlastung trotz eines uneingeschränkten Prüfvermerkes. Edmund Borschel (B 90/GRÜNE) kritisiert die langen Stehzeiten von Autos an den E-Ladesäulen. Er möchte die Ladezeit begrenzen. Das, so Silke Engler, sei mit 3 Stunden bereits angeordnet. Die Umsetzung hängt jetzt an der Lieferzeit für die bestellten Hinweis-Schilder. Von der Energiebeauftragten der Stadt Baunatal hätte Borschel mehr Engagement erwartet. Entlastung wurde mit SPD-Mehrheit erteilt, die Gewinnverteilung – wie vorgeschlagen – beschlossen.
Streitpunkt Jahresabschluss der Stadt Baunatal
Der Jahresabschluss der Stadt Baunatal für das Jahr 2018 ist ebenfalls geprüft und ein Verlust in Höhe von 20.451.605,78 Euro damit rechnungsprüfungsamtlich bestätigt. Lothar Rost (B90/GRÜNE) verwies auf Hinweise aus dem Jahr 2017, begrüßte die Anmerkungen der Rechnungsprüfer und kritisierte abermals, dass das Rechnungsprüfungsamt aufgegeben wird. Der Mehrheitsfraktion attestierte er im Übrigen „grenzenlose Dummheit“.
Sebastian Stüssel (CDU) habe schon zu Manfred Schaubs Zeiten ein strukturelles Defizit von 23 Millionen Euro jährlich gesehen und zu dieser Zeit einen Sparkurs angemahnt. Dr. Rainer Oswald (FDP) findet es – dazu ergänzend – nicht gut, dass Rücklagen aufgelöst werden. Jetzt ginge es darum, die „Freiwilligen Leistungen“ einzuschränken. Heiz Bachmann (SPD) konterte dazu: „Das Rechnungsprüfungsamt ist eine Freiwillige Leistung.“ Sebastian Stüssel (CDU) hätte es besser gefunden, manche Investitionen über Kredite zu Finanzieren. Für eine hohe Eigenkapitalquote könne man sich nichts kaufen. Das Rechnungsprüfungsamt des Kreises könne seine Arbeit aktuell nicht leisten und beauftrage externe Wirtschaftsprüfungsunternehmen.
Edmund Borschel (B 90/GRÜNE) findet, man müsse auch den Zuhörern sagen, dass zukünftig keine „büronahe“ Prüfung mehr stattfindet, sondern eine verspätete von minderer Qualität. Wichtiger wäre aber, den Haushalt 2021 noch vor der Kommunalwahl einzubringen. Heinz Bachmann (SPD) erklärte, es habe bisher aus anderen Kreiskommunen keine Hinweise auf eine schlechte Leistung des Rechnungsprüfungsamtes des Kreises gegeben. Christian Strube (SPD) nannte in dem Zusammenhang den – in seinen Augen – unangemessenen Beitrag von Herrn Rost (B90/GRÜNE) über die grenzenlose Dummheit rügenswert. Stadtverordnetenvorsteher und Fraktionskollege von Herrn Rost, Henry Richter, stellte fest, dass es seine Sache sei, wen er rügt und wen nicht. Auch hier wurde mit SPD-Mehrheit die Entlastung ausgesprochen.
Vom Gertrudenstift wird Geld zurückgefordert
Das Gertrudenstift hat für einen Kindergarten mehr Geld bekommen, als nach der tatsächlichen Belegung und des geschlossenen Vertrages zugestanden hätte. Sebastian Stüssel bezeichnete den Kindergarten des Gertrudenstifts mehrfach als Prunkbau. Wenn die kirchliche Einrichtung teurer baue als nach städtischem Standard und mehr Personal einsetze, seien die 76.000 Euro, die jetzt zurückgefordert werden zu gering. Eigentlich ginge es um rund 250.000 Euro und er hält den doppelten Betrag, also 140.000 Euro für gerechtfertigt. Dr. Rainer Oswald (FDP) findet die Verringerung des Betrages merkwürdig. Der Träger habe nicht sauber gearbeitet. Auch er möchte keinen Nachlass gewähren.
Reiner Heine (SPD) verwies auf die Historie der letzten vier Jahre. 2016 wurde berichtet, dass die Kindergartenplätze in Baunatal nicht reichen. Das Gertrudenstift rettete aus der vermuteten Unterdeckung und eröffnete einen Kindergarten in freier Trägerschaft; und es sei kein Prunkbau. Die Stadt Baunatal musste die ungedeckten Mittel übernehmen. Die Einrichtung sei nur zu Hälfte belegt gewesen. Thomas Gerke (CDU) dazu: Wir begrüßen die Vielfalt. Aber es muss auf Basis des Vertrages abgerechnet werden. Wenn die Kirche falsche Geschäftsführer beschäftigt, muss sie dafür bezahlen. Mit SPD-Mehrheit wurde der Änderungsantrag der CDU, 140.000 Euro zurückzufordern, abgelehnt.
Führung-Personal wird weiter wie bisher ausgewählt
Bei Stellenbesetzungen für Fachbereichsleiter wollten die GRÜNEN eine Bewerberauswahl durch eine Auswahlkommission unter Beteiligung der im Stadtparlament vertretenen Fraktionen einsetzen. Außerdem wollen sie den Stellenplan engmaschiger prüfen und kontrollieren können. Qualifizierungen von Mitarbeitern sollten in der Stadtverordnetenversammlung öffentlich werden.
Dr. Rainer Oswald (FDP) befürwortete, dass hier ein Instrument zu Feinjustierung genutzt werden könnte. Christian Strube (SPD) findet hingegen, dass der Magistrat der richtige Adressat ist. Dass möglicherweise öffentlich werden würde, welche Vergütungen gezahlt und welche Fortbildungen besucht werden, hält er für problematisch. Auch der Stellenplan werde jedes Jahr beschlossen. Warum also nochmals im Laufe einer Legislaturperiode?
Sebastian Stüssel (CDU) forderte – nicht zum ersten Mal – einen Personalentwicklungsplan ein, damit keine qualifizierten Mitarbeiter verloren gehen und keine Mitarbeiter auf Stellen „geparkt“ werden. Es bedürfe eines politischen Zugriffs. Auch Stadtverordnete seien dem Datenschutz verpflichtet. Edmund Borschel (B90/GRÜNE) erklärte den Antrag mit mehr Transparenz. Früher sei sogar der Bauhofleiter in der Stadtverordnetenversammlung entschieden worden. Er vermutet ein System dahinter, dass immer die ersten Ausgewählten zurückziehen oder nicht eingestellt werden und stattdessen in der Auswahl unterlegene Kandidaten eingestellt werden. Die Opposition nannte als Beispiel, dass es bei der Frauenbeauftragten schließlich auch möglich war, die Stadtverordneten einzubeziehen.
Bürgermeisterin Silke Engler (SPD) stellte klar: Wir reden über die Fachbereichsleiter. Die Stadt beschäftigt aber über 625 Mitarbeiter. Es gibt ein festgelegtes Auswahlverfahren für Stellen. Die Frauenbeauftrage habe einen direkten Kontakt zu den Fraktionen. Daher die Ausnahme. Die Fachbereichsleiter sind keine politischen Beamten, sondern dem Magistrat unterstellt. Es gebe Transparenz, aber von der Opposition werde Kontrolle gefordert. Das müsse man dann auch so sagen. In einem zweijährigen Programm werden zurzeit Führungskräfte weitergebildet. Es gebe also durchaus Personalentwicklung. Personalentwicklung ohne Plan findet Sebastian Stüssel (CDU) allerdings intransparent. Alle drei Anliegen der GRÜNEN wurden allerdings abgelehnt.
Mehr Digitalisierung
Einstimmig annehmen konnten die Stadtverordneten einen SPD-Antrag zur Ausweitung der Digitalisierung im Rathaus. Sebastian Stüssel (CDU) kritisierte in diesem Zusammenhang, dass Bürger PDF-Anträge zu Hause ausdrucken, ausfüllen und dann analog ins Rathaus schicken müssen. Dr. Rainer Oswald (FDP) freut sich über die schon lange liberal geforderte Initiative.
„Da fährt immer ein leerer Bus“ – Expertise zum ÖPNV
Die SPD beantragt – gemeinsam mit dem NVV – eine Expertise zum Stand des öffentlichen Nahverkehrs, seiner Entwicklungsmöglichkeiten Defizite erstellen zu lassen. Dr. Klaus-Peter Lorenz (SPD) erläuterte das: Es geht um eine Expertise, die präziser ist als die Aussage, „da fährt immer ein leerer Bus“. Man könne die Erfahrungen der Kunden abfragen aber auch weiße Flecken erkunden. Die Anbindung der Bahnhöfe und die Erreichbarkeit sozialer Einrichtungen, sowie der Einkaufsmöglichkeiten sei zu untersuchen. Am Ende gehe es auch um Wirtschaftlichkeit. Sebastian Stüssel (CDU) freut sich, weil dann auch Alterativen für die nächsten Ausschreibungen geprüft werden. Auch die Sicherheit unter Corona-Bedingungen gehöre dazu. Man müsse überhaupt neu denken. Dr. Rainer Oswald freut sich ebenfalls, nämlich darüber, dass auch die Wirtschaftlichkeit überprüft wird und Edmund Borschel (B 90/GRÜNE) erkennt, dass die Stimmung der Bevölkerung abgefragt wird, aber vorher möchte er auch wissen, was die Expertise kosten wird. Deshalb entschieden die Stadtverordneten, soll das Angebot im Haupt- und Finanzausschuss noch einmal vorgelegt werden.
Was kostet Baunatal?
Dazu, was Baunatal kostet, hat das Rathaus eine Broschüre entwickelt, die nicht gedruckt wurde, sondern lediglich online als PDF zur Verfügung steht. Ein kleines Stück Digitalisierung also. Aufgefallen waren Differenzen in Höhe von 12 Millionen Euro zwischen aufgelisteten Ausgaben und Einnahmen. Warum wurde nicht alle Produktbereiche genannt, will er wissen und warum findet man keine Kennzahlen, die eine Vergleichbarkeit zum Haushaltsplan herstellen? Warum steht beim Personalaufwand die Zahl von 2018, was hat die Broschüre gekostet und wer hat mitgewirkt? Warum gibt es nicht die aktuellen Zahlen, die die jetzige Krise spiegeln?
Bürgermeisterin Silke Engler nahm dazu Stellung: Die Broschüre sollte ganz bewusst nicht den Haushalt abbilden, sondern den Bürgern eine überschaubare und verständliche Darstellung bieten. Es ging nicht um Vollständigkeit, sondern um Darstellung für Menschen, die sich nicht mit Haushaltspläne beschäftigen. Die Auswahl erfolgte daher nach dem Interesse der Allgemeinheit. Ziel war, dass die Broschüre auch gelesen wird. An der Erstellung waren die Fachbereichsleiter Metz und Lutzi beteiligt. Die Haushalts-Situation habe sich erst nach Redaktionsschluss verschärft. Es ginge allerdings auch nicht um eine Darstellung der Dramatik, sondern der Normalität. 2.600 Euro hat das Layout gekostet. Die Broschüre sollte im Übrigen auch den Stadtverordneten helfen, die Bürger zu informieren. Das provozierte lautes Lachen bei den GRÜNEN.
Mehr Fotovoltaik
Solarenergie jenseits der stadteigenen Dächer nutzen war das Ziel eines SPD-Antrags zur Prüfung, ob die Bürgerenergie-Genossenschaft hier tätig werden kann. Beispielsweise auf Industriegebäuden. Dr. Rainer Oswald (FDP) befand, „wir sind nicht zuständig“. Lothar Rost stellte fest, die GRÜNEN hatten bereits einmal ein Solarkataster gefordert. Die Energiegenossenschaft habe nicht alle möglichen Dächer genutzt: Es bedarf eines Konzeptes. Sebastian Stüssel (CDU) findet in dem Antrag sogar rechtswidrig, eine Genossenschaft zu beauftragen. Bei anderen Themen werde argumentiert, es sei keine Zeit vorhanden, aber jetzt soll die Stadt prüfen, um einer wirtschaftlichen Genossenschaft Aufträge zu ermöglichen. Edmund Borschel hält alles für einen Schaufensterantrag. Der GRÜNEN-Antrag zum Thema „100 Dächer“ vor einiger Zeit wäre zielführender gewesen. Der jetzige Antrag sei wohl bereits dem Kommunal-Wahlkampf geschuldet. Dr. Klaus-Peter Lorenz (SPD) attestierte den GRÜNEN innovativkraft. Es gebe aus statischen Gründen bei der Stadt keine weiteren nutzbaren Flächen. Jetzt ginge es um weitergehenden Ausbau, mit Dank an die parlamentarische Arbeit der GRÜNEN.
Die zahlreichen Zuhörer, die wegen drei Verkehrssicherungsmaßnahmen gekommen waren, mussten nach drei Stunden erkennen, dass sie vergeblich gewartet haben. Am 7. Dezember geht es in die letzte Runde 2020. (Rainer Sander)
Hier lässt sich nachlesen, was aus Zeitgründen nicht behandelt wurde.
1 Kommentar
Ich hoffe dass wir nach der nächsten Kommunalwahl wieder einen Stadtverordnetenvorsteher bekommen, der für das Amt geeignet ist. Ein Trauerspiel und für Baunatal unwürdig. Aber für Borschel und Stüssel eine gute Marionette, um ihre schmutzigen Spielchen zu machen.
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