Baunataler Stadtverordnetenversammlung tagt 4,5 Stunden lang
BAUNATAL. Mit Themen wie Straßenausbau, Glasfaserausbau, Energieregion, Basketballplatz, Original Play, Stadtwerken, Rechnungsprüfungsamt, Lärmschutz, Ladesäulen, offenen Forderungen, Ausbildungsförderung, Auftragsvergabe, Digitalisierung, Ausländerbeirat und Schulbussen befassten sich die Baunataler Stadtverordnete Montagabend über vier Stunden lang.
Kein Original Play in Baunatal
„Man will nicht von jeder Tante abgeknutscht werden, das kennen wir alle aus der eigenen Kindheit“, sagte Bürgermeisterin Silke Engler zum Antrag der CDU, zu prüfen, ob „Original Play“ in Baunataler Kindertagesstätten Anwendung gefunden hat oder möglich wäre. „Kinder dürfen NEIN sagen“, betonte die Bürgermeisterin. Eine Maßnahme, wie die aus dem Amerikanischen stammende Erziehungsmethode „Original Play“, bei dem Fremden der Körperkontakt zu Kindern ermöglicht wird, sei in Baunatal weder nach dem Konzept noch nach den Dienstanweisungen möglich und habe auch nicht stattgefunden. Dazu gäbe es auch eine Weisung des Jugendamtes für den Kreis Kassel. Ausführlich erläuterte sie dazu das pädagogische Konzept und die Schutzmaßnahmen in den Kitas.
Körperkontakt geht in Baunataler Kindertagesstätten ausschließlich vom Kind aus, zum Beispiel, wenn es nach einer Verletzung getröstet werden will. Unter diesem Aspekt zieht die CDU den Antrag – mit der Bitte um entsprechende Informationen an die Eltern, von denen offensichtlich einige in Sorge waren – zurück. Sebastian Stüssel (CDU) bedankte sich für die ausführliche und schnelle Antwort auf den noch gar nicht abgestimmten Antrag.
Kein „Schnellwurf“ für den Basketball
Die Fraktion B90/GRÜNE wollte als Dringlichkeitsantrag die sofortige Wiederherstellung der Basketballanlage an der KSV-Sportwelt herbeiführen. Grund ist der Beschuss aus dem Jahre 2011, wonach der KSV Baunatal zur Wiederherstellung der Basketballanlage verpflichtet wurde. Das habe, so Dr. Edmund Borschel (B90/GRÜNE), einen städtebaulichen Vertrag nach sich gezogen. Eine andere Situation als bisher in der Auseinandersetzung bekannt.
Dringlichkeitsanträge benötigen zunächst eine Zweidrittelmehrheit in der Stadtverordnetenversammlung, um überhaupt auf die Tagesordnung zu gelangen. Mit den Stimmen der SPD-Mehrheits-Fraktion wurde dies abgelehnt. Die Begründung gab Frank Böttcher (SPD): Es finden gerade Gespräche mit den Nutzern und Anwohnern statt und erst dann soll endgültig entschieden werden. Die Basketballspieler scheinen danach auch den anderen Platz annehmen zu können.
Viiiele Fragen…
Vor das Abarbeiten der Tagesordnung haben die Stadtväter und -mütter die Fragestunde gestellt. Von der Gelegenheit Fragen zu stellen, machten sie diesmal reichlich (10fach) Gebrauch und fast alle Fragen konnten bereits in der Sitzung beantwortet werden:
Dr. Lorenz (SPD) möchte wissen, ob die beiden Abwasserzweckverbände fusionieren können, um Kosten zu senken. Bürgermeisterin Silke Engler erläuterte, dass dies bereits geprüft wird und Gespräche stattfinden.
Rost rastet nicht
Lothar Rost (B90/GRÜNE) möchte drei Fragen geklärt haben:
- 000 Euro stünden für den Straßenausbau im Weißen Feld zur Verfügung. Da 80.000 Euro davon nicht ausgegeben werden, könnten diese doch für den Endausbau im Trineweg verwendet werden, in dem die Anlieger bereits vor 25 Jahren gebaut und Beiträge dafür gezahlt hätten. Erster Stadtrat Daniel Jung erläuterte, dass 30.000 Euro Mittel bereits anderweitig (Oberster Heimbach) umgewidmet wurden. Es würden aktuell 20.000 Euro für den Endausbau fehlen. Da die Stadtwerke Anfang 2021 ohnehin Baumaßnahmen planen, würde es Sinn machen, den Endausbau erst danach vorzusehen.
- Wie weit die Reorganisation des Eigenbetriebes Stadtwerke bereits fortgeschritten ist und wie viele Stellen eingespart werden, möchte er auch wissen. 4 Stellen im Gesamtvolumen von 318.000 Euro aktuell jährliche Personalkosten können eingespart werden, so lautet die Antwort.
- Wie der Fachbereich Bau und Umwelt nach dem Ruhestand von Uwe Schenk geleitet werden soll, ist seine dritte Frage. Zunächst werden Herr Grimm und Herr Wicke den Fachbereich gemeinsam führen, wenn auch Herr Grimm in den Ruhestand geht, wird im September die Stelle für die Qualifikation Diplom-Ingenieur oder Architekt ausgeschrieben.
Lärm in Rengershausen und Vandalismus und Party allerorten?
Frank Böttcher (SPD) hat Sorge bezüglich möglicher Lärmbelästigung in Rengershausen durch eine zukünftig neue Trassenführung der A 44 (neue Bergshäuser Brücke). Erster Stadtrat Daniel Jung erläutert umfassende Maßnahmen, die zum Lärmschutz vorgesehen sind.
Florian Pfeiffer (B90/GRÜNE) möchte wissen, welche Vorkommnisse durch Vandalismus und Partykultur zu welchen Belästigungen und Schäden führen und was die Streetworker tun. Bürgermeisterin Silke Engler erläuterte umfassend: 33 Anzeigen wurden wegen Sachbeschädigungen eingereicht, fast die Hälfte davon bei Fahrzeugen, 4 wegen Graffitis. Laut Polizei ist aktuell – auch während der Corona-Beschränkungen – keine Steigerung zu beobachten. Es gibt zwei Streetworker, die regelmäßig unterwegs sind, aber keine Befugnisse haben, beispielsweise um polizeiliche Maßnahmen zu verhängen. Die Gruppengrößen der Jugendlichen haben sich verringert, aber es sind mehr Jugendgruppen unterwegs. Die Anzahl der Partys geht zurück. Anlass im für die Einführung des Streetworks im Jahr 1988 war, Jugendliche, die nicht von den jugendtypischen Angeboten erreicht werden, ansprechen und integrieren zu können. Besondere Schwierigkeiten sind die zunehmende Distanz der Jugendlichen – zumeist aus prekären Verhältnissen – zur gesellschaftlichen Mittelschicht. Die Arbeit des Streetworks habe sich nicht verändert, betonte Bürgermeisterin Silke Engler.
Mehr Geld in die Kasse?
Dr. Rainer Oswald (FDP) möchte wissen, ob die E-Ladesäulen in der Stadt Baunatal inzwischen alle mit einem Abrechnungssystem ausgestattet sind. Erster Stadtrat Daniel Jung erklärt, dass zunächst Anreize zum Erwerb von E-Autos geschaffen werden sollten. Die Umstellung ist nicht einheitlich möglich, weil die Ladesäulen von unterschiedlichen Herstellern stammen und inzwischen andere Vorgaben hinsichtlich Abrechnung und Eichung existieren.
Dr. Oswald (FDP) möchte ebenfalls wissen, ob und wie 5,8 Millionen Euro offene Forderungen eingefordert werden. Frau Engler erklärte, dass hier zum Bilanzstichtag (Anmerkung: 31.12.2020) nach den Bilanzierungsrichtlinien alle offenen Forderungen ausgewiesen werden, die zu diesem Zeitpunkt bekannt sind und dem alten Jahr zuzuordnen sind.
Für mehr Ausbildung – statt Stadtfest
Die Baunataler Magistrat unterstützt das Ziel, jungen Menschen auch in der Pandemielage eine Ausbildung zu ermöglichen. Ausschließlich kleine und mittlere Unternehmen sind zu fördern. Eine Differenzierung zwischen bestehenden (während Dauer der Notlage) und zusätzlichen Ausbildungsplätzen muss erfolgen, die Subsidiarität gegenüber Bundes- und Landesprogrammen ist zu beachten. Die Stadtverordnetenversammlung bewilligt eine außerplanmäßige Aufwendung von 35.700 €uro für diesen Zweck. Zur Deckung wird Geld aus dem Etat ausfallenden Stadtfestes genommen.
Reiner Heine (SPD) erklärte, dass es noch nie so wenig abgeschlossene Ausbildungsverträge gegeben habe. Er appellierte trotzdem an die Betriebe, mehr Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen. Sebastian Stüssel (CSU) erklärte, es gehe um die Hilfe für kleine und mittelständische Betriebe und darum, zusätzliche Ausbildungsplätze zu generieren. Das sei praktische Wirtschaftsförderung. Dr. Rainer Oswald (FDP) sprach von schwierigen Gesprächen, Dr. Edmund Borschel (B90/GRÜNE) auch. Die Zeiten haben sich umgekehrt. Alle sehen ein sinnvolles Programm
Freihändig geht mehr
Mit den Vergaberichtlinien beschäftigten sich die 40 anwesenden Stadtverordneten in der Folge. Die Rahmenbedingungen haben sich im Zuge der Corona-Maßnahmen erleichtert, so dürfen Kleinaufträge statt bisher 400 €uro jetzt 1.000 €uro betragen. Freihändige Vergaben gemäß steigen im Wert von 10.000 €uro auf 20.000 €uro. Sebastian Stüssel (CDU) und Sebastian Rost (B90/GRÜNE) beklagten die bisher geringe Nachfrage bei Baunataler Unternehmen und hoffen, dass die heimischen Betriebe das neue Angebot, nach dem jetzt keine Ausschreibungen bis zu diesen Grenzen mehr stattfinden müssen, jetzt rege annehmen.
Richtig schnelles Internet – Ausbau geht weiter
Auf „richtig schnelles Internet“ darf sich jetzt auch Altenbauna-West freuen. Die Stadtverordneten gaben den Weg frei für den nächsten Vertrag mit der Deutschen Glasfaser zur Nachfragebündelung und zum Ausbau. Dr. Klaus-Peter Lorenz (SPD) erklärte, dass es nicht nur um den Glasfaserausbau ginge, sondern um den nächsten großen Schritt. Bei der Privatisierung der Post waren Fehler gemacht worden. Sebastian Stüssel (CDU) hätte das auch gerne eher gehabt. Dr. Rainer Oswald (FDP) stimmt gerne zu und Edmund Borschel (B90/GRÜNE) freut sich, dass die abgehängten Stadtteile jetzt die Nase vorn haben. Der Wermutstropfen sei, dass die Baunataler Schulen noch nicht aufgerüstet sind.
Wenig Energie für die Energieregion…
Die neue Bürgschaft über 1.334.458,03 Euro im Zuge der Neuorganisation der Energieregion Kassel wird von CDU, FDP und B90/GRÜNEN abgelehnt. Für Sebastian Stüssel (CDU) und Dr. Rainer Oswald (FDP) sind die Risiken zu hoch. Offensichtlich hätten auch andere Kommunen nicht zugestimmt. Reiner Heine (SPD) erläuterte, dass es sich nur um eine Anpassung der Summe und damit eine Reduzierung handele. Die Stadt hafte aktuell mittelbar für einen höheren Betrag gegenüber den beteiligten Banken und nicht gegenüber der EAM. Die SPD halte das Bürgschaftsrisiko in einem streng geregelten Stromnetz für gering. Sebastian Stüssel (CDU) verwies darauf, dass eine neue Gesellschaft gegründet wurde und der Unternehmenswert gesunken sei. Mit ihm gesunken sei der politische Einfluss. Mit Stimmen der SPD wurde der neue Bürgschaftsbetrag dennoch angenommen.
Trotz anderer Rahmenbedingung: Ausländerbeirat bleibt
Christian Strube (SPD) erläuterte den Antrag, dass der Ausländerbeirat auch zur kommenden Kommunalwahl bestehen bleibt. Das neue Landesrecht sieht alternativ die Bildung einer Kommission vor.
Sebastian Stüssel (CDU) empfindet den Antrag als Schaulaufen für den nächsten Landtagswahlkampf. Die neue Gesetzesmaßgabe hatte zum Ziel, dass auch kleine Kommunen Ausländerbeteiligungen ermöglichen können, wenn es nicht ausreichende Kandidaten für einen Ausländerbeirat gibt. In Baunatal wolle überhaupt niemand den Ausländerbeirat abschaffen. Sein Wunsch wäre gleichwohl, dass aus der „homogenen Truppe älterer Herren“ ein Gremium mit mehr Vielfalt wird, aber das sei Aufgabe der Verantwortlichen. Dr. Rainer Oswald stimmt zu und wünscht sich ebenfalls einen höheren Frauenanteil und mehr Nationalitätenvielfalt. Dr. Edmund Borschel findet den Antrag obsolet. Der Ausländerbeirat könne doch nur angeschafft werden, wenn dies eine Fraktion aktiv beantragt. Solange das nicht geschehe, könne er gar nicht abgeschafft werden. Er wünsche sich angesichts der 80 Nationalitäten, die in Baunatal leben, dass nicht nur eine Nationalität den Ausländerbeirat dominiere. Einem Satz, nachdem die „jetzige Form“ des Ausländerbeirates erhalte bleiben solle, könne er deshalb nicht zustimmen.
Pehlül Karahan (Ausländerbeirat) stellt fest, dass die Politik in Baunatal lebendig ist und freute sich, dass der nicht geforderte Antrag gestellt wird. Ohne die Formulierung „jetzige Form“ können SPD, GRÜNE und FDP zustimmen, die CDU nicht.
Gutachten gegen den Lärm an den Autobahnen A7 und A49
Da an bestehenden Autobahnen nicht automatisch eine Lärmsanierung stattfindet, wenn sich die Bedingungen ändern, werden zukünftig beispielsweise an den Neubauabschnitten (der A 49) strengere Werte für den Lärmschutz gelten, als an den bestehenden Abschnitten. Um eine Lärmsanierung zu erreichen, stellten die Stadtverordneten 15.000 Euro für ein Gutachten zur Verfügung und wollen mit Nachbarkommunen sprechen.
Ralf Löber (SPD) erklärte den Antrag entsprechend. Dr. Rainer Oswald (FDP) erkennt noch mehr oder andere Gründe als die im Antrag genannten. Der Lastverkehr habe zugenommen, der Belag sei schlecht und laut. Messgeräte müssten nicht angeschafft werden, erst wenn alles andere nichts mehr bringt. Sebastian Stüssel (CDU) findet das Thema grundsätzlich wichtig, ist aber auch gegen die Lärmschutzgeräte: Man muss für einen Liter Milch keine Kuh kaufen“. Wenn es um Leben und Tod geht, bei der Anschaffung von festen Blitzern beispielsweise, lehne die SPD die Investitionen ab. Sebastian Rost (B90/GRÜNE) lehnte auch die Messung ab. Die könne gar keine rechtliche Grundlage bilden. Mit unterschiedlichen Stimmgewichtungen haben die Stadtverordneten allen Punkten zugestimmt.
Ein Ausschuss für die Digitalisierung aber (noch) kein Rechnungsprüfungsamt
Die Stadtverordnetenversammlung beschließt auf Antrag der FDP die Änderung der Hauptsatzung um einen Ausschuss „Digitalisierung, Energie und Infrastruktur“ – das einzige Mal in dieser Sitzung ohne jegliche Diskussion.
Dr. Edmund Borschel (B90/GRÜNE) begründete den Antrag zum Erhalt des Rechnungsprüfungsamtes mit der inzwischen verschlechterten finanziellen Situation der Stadt. Dr. Rainer Oswald ergänzte, dass der Kreis mitgeteilt habe, dass er die bisherige Qualität nicht liefern könne. Sebastian Stüssel (CDU) sieht in Corona einen Turbo für die Verschlechterung der Finanzsituation. Vor dem Hintergrund des „Hammerschlages“ aus der vergangenen Woche, müsse das neu überdacht werden. In einem Gespräch mit den Fraktionsvorsitzenden habe sich gezeigt, dass auch bei der SPD ein Umdenken erkennbar wäre. Er ist sich sicher, dass sich in schwierigen Zeiten alle zusammenraufen und möchte den Antrag in die nächste Stadtverordnetensitzung schieben. So wird es nach dem gestrigen Beschluss geschehen. Christian Strube (SPD) sichert bis dahin eine ergebnisoffene Diskussion in der SPD zu und Silke Engler, dass keine personellen Entscheidungen getroffen werden, die das konterkarieren würden.
Zusätzliche Busse
Der Magistrat der Stadt Baunatal muss nach einem Beschluss der Stadtverordneten beim Kreis versuchen, den Einsatz von Entlastungsbussen zu erreichen, damit der Schulbusverkehr coronagerecht durchgeführt werden kann. Die Kosten sollen aus der Coronahilfe des Landes Hessen bestritten werden. Der Antrag wurde einstimmig angenommen.
Mitteilungen
Stadtverordnetenvorsteher Henry Richter hatte einschließlich „ein paar Mitteilungen“, die es am Schluss auch gab, einen kommunalpolitischen Dauerlauf zu moderieren. Die Informationen: 30.000 Euro wurden für mobile Stromerzeugung ausgegeben. Die Broschüre „Was kostet Baunatal“ ist online. Sie ist für alle verfügbar. (Rainer Sander)
1 Kommentar
Ich habe mich gerade ein wenig in den Stüsselschen Eilantrag verbissen und die Berichterstattung mit dem Online-Artikel der HNA verglichen. Von der gesamten StaVo ist bei HNA-Online lediglich die reisserische Überschrift „Kuscheln Kinder mit fremden Erwachsenen? Schwerer Vorwurf gegenüber Kita – Bürgermeisterin dementiert.“ übriggeblieben. Kein Wort davon, dass Stüssel seinen Antrag zurückgezogen hat und das gesamte Gebilde in sich zusammengefallen ist. Was für ein Politikstil. Ich möchte nicht wissen, wie viele Menschen kurz die Überschrift und wenig vom eigentlichen Text lesen. Zeitungsmacher dürften wissen, wie sich was bei Menschen festsetzt. Wird schon was hängenbleiben – oder? Ich weiß ja nicht, ob’s zulässig ist – aber mir fiel in diesem Fall nach der Lektüre zuerst der Begriff Journaille ein.
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