Stadtverordnete in Schwalmstadt beschließen Finanz-Transparenz
SCHWALMSTADT. In der Festhalle zu Treysa, also dort, wo die Kultur eine Heimat hat in Schwalmstadt, trafen sich die politischen Repräsentanten der größten Stadt im Schwalm-Eder Kreis, um sie durch die Corona-Pandemie zu steuern. Mit viel Platz – der Schutzmaßnahmen wegen.
„Auch ich fasse mich kurz!“ Mit diesen Worten leiteten nahezu alle – und das ist keine journalistische Übertreibung – Stadtverordneten am Rednerpult ihre Beiträge ein. Tatsächlich war nichts kürzer oder anders als sonst und vor der Frage, wie fasse ich mich eigentlich kurz, steht am Ende nur der Journalist, der aus „kurz gefassten“ drei Stunden Stadtverordnetenversammlung, bei 24 Punkten, von denen etwa die Hälfte ohne Diskussion bei schneller Abstimmung über die Bühne gingen, mal eben noch mal kurz zusammenfassen will. Sie sehen, schon allein diese Beschreibung ist fast so lang, wie ein üblicher Zeitungsartikel.
Geld locker machen oder massiv sparen?
Dort, wo Kultur und Karneval (!) also zu Hause sind, aber gerade nicht stattfinden, beschlossen die 37 Abgeordneten der sechs Fraktionen – laut Stadtverordnetenvorsteher Reinhard Otto das erste Mal in seiner Zeit überhaupt vollständig –, einige Punkte, in denen jetzt entweder Geld locker gemacht wird oder in denen vehement postuliert wird, dass jetzt der Gürtel aber enger geschnallt werden muss! Es war erst die dritte Sitzung im Jahr 2020. Ausgefallen ist aber nur eine, nämlich die am 23. April, wie Bürgermeister Stefan Pinhard freudestrahlend zu berichten wusste. Alle Sitzungen in anderen Gremien haben sonst stattgefunden, ein Beleg für die Handlungsfähigkeit der politischen Gremien in Schwalmstadt, findet Bürgermeister Stefan Pinhard. Also, wie sieht es aus, mitten in Corona in Schwalmstadt? Bühne frei!
„Uneinige Einigkeit“ über Berichte zu Schwalmstadts Finanzsituation
Wenn sich 37 Stadtverordnete etwa eine halbe Stunde lang leidenschaftlich und – wechselseitig angestachelt – impulsiv, mal mehr, mal weniger eloquent, das heißt ausdrucksstark und verbal-künstlerisch, um einen einzigen Tagesordnungspunkt streiten; und wenn sie dann am Ende aber – ohne den Inhalt eines Antrages der FDP-Fraktion auch nur in einem Wort zu ändern – einstimmig entscheiden –, dann kann man sich schon die Augen reiben. In diesem Falle für regelmäßige Berichte über Schwalmstadts Finanzsituation. Worum ging‘s?
Die FDP hatte folgendes beantragt: Der Magistrat wird wegen der zu erwartenden wirtschaftlichen Verwerfungen infolge der Coronakrise beauftragt, den Stadtverordneten monatlich einen schriftlichen Bericht über die Entwicklung der städtischen Finanzen zu erstellen. Stadtverordnetenvorsteher Reinhard Otto (CDU) befand, dass nach hessischer Gemeindeordnung (HGO) ohnehin vierteljährlich berichtet werden muss. Constantin Schmitt (FDP) möchte aber lieber eine einfache, die sowieso ein „Abfallprodukt“ aus der Kämmerei sei. Bürgermeister Stefan Pinhard widerspricht dem Abfallprodukt, äußert sich im Grunde aber positiv: „ich habe vorhin schon Kernzahlen genannt. Das ist mit Arbeit verbunden, aber damit muss man rechnen.
Einfach Gürtel enger schnallen oder wissenschaftlich analysieren?
Dr Jochen Riege (B90/GRÜNE) empfindet – weit ausholend – hemmungslose Globalisierung falsch. Es müsse in Schwalmstadt um ökologische Investitionen gehen. Auch die Abteilung Stadtmarketing müsse berichten. Sogar das Bauamt. Es gehe um wissenschaftlich gestützte Entscheidungen. Thorsten Wechsel (CDU) – im realen Leben Steuerberater – findet es wichtig, engmaschig zu kontrollieren. Aber weil die Zahlungen nicht gleichmäßig kommen, ergäben sich aus monatlichen Darstellungen Zerrbilder. Tobias Kreuter (SPD) geht darauf ein und findet den Antrag gut, um den Gürtel enger zu schnallen. Das stehe jetzt an. Sondereffekte ließen sich erklären und interpretieren.
Wie bereits erwähnt, befanden die 37 Stadtverordneten den Antrag am Ende der dreistündigen Sitzung für gut. Das war ein langer Weg und gleich zu Beginn der Sitzung musste sich der Bürgermeister einer Anfrage der LINKEN (Inge Schmidt-Nolte) mit sieben Unterfragen zum Thema Corona stellen. Es ging um Zuwendungen, Unterstützungen, ausfallende Einnahmen, Maßnahmen der Kinder- und Jugendarbeit, allgemeine Einschätzungen zur Krise, Erkenntnisse, Regelungen und die „parlamentarische Pausenregelung“.
Stefan Pinhard: keine Pause aber auch keine Propheten
Bürgermeister Stefan Pinhard (PARTEILOS) sagte das, was zurzeit alle Entscheidungsträger bundesweit meist äußern: „Keiner kann sagen, wie lange die Krise anhält. Eine Aussage über die finanziellen Zuwendungen ist noch nicht möglich.“ Die Stadt Schwalmstadt habe für 10.000 Euro Gutscheine von Schwalmstädter Geschäften erworben, die statt üblicher Präsente bei entsprechenden Anlässen überreicht werden. Den 121 Kunden der Schwälmer Tafel wurden im Wert von 3630 Euro Gutscheine für einen Discounter zur Verfügung gestellt. Insolvenzen sind nicht bekannt. Die Kinderferienspiele können dieses Jahr nicht in gewohnter Form stattfinden, es werden aber Einzelveranstaltungen geplant. Eine Öffnung des Jugendzentrums ist zurzeit nicht möglich. Der Corona-Ausschuss arbeitet und hat in einem Monat viel geleistet. Die Gremienarbeit funktioniert und es ist nichts liegengeblieben. Also keine Pause: „Die heutige Tagesordnung ist mit 24 Punkten ein Beleg dafür. Sitzungen haben bis auf eine Stadtverordnetenversammlung alle stattgefunden. Von der neuen Möglichkeit, dem Haupt- und Finanzausschuss Entscheidungsbefugnis zu übertragen, hat die Stadt Schwalmstadt keinen Gebrauch gemacht.“
3,5 Millionen Euro „Minus“?
Die erste Einschätzung zur finanziellen Situation in Schwalmstadt ist aufgrund des massiven Konjunktureinbruchs, so Pinhard, eher ernüchternd: Die Auswirkungen werden jahrelang anhalten. Erfahrungen gibt es für so etwas nicht. Es wird zu verminderten Einnahmen und zu erhöhten Ausgaben in noch nicht absehbarer Höhe kommen, der Haushaltsausgleich ist gefährdet. Die Liquidität der Stadt ist derzeit noch gut. Das dürfte sich im laufenden Jahr verschlechtern. Ein Rückgang der Gewerbesteuer um 2,4 Millionen Euro wird erwartet. Dafür sinken auch die Umlagen. Es stehen allerdings Gewerbesteuernachzahlungen aus den Vorjahren aus, so dass per Saldo eine Mindereinnahme von 1,4 Millionen Euro zu erwarten ist.
Der Minderertrag in den Kindergärten beträgt 560.000 Euro. 772.000 Euro werden an Mindereinnahmen aus der Einkommensteuer erwartet. Die Stadt geht zudem von Einbußen in Höhe von 50 Prozent bei den Eintrittsgeldern (Schwimmbäder und andere Einrichtungen) aus. 50.000 Euro mussten für Corona-Schutzmaßnahmen aufgewendet werden. 3,5 Millionen werden es vermutlich insgesamt sein, die fehlen. Mit Landesmitteln und Rücklagen könnte ein Ausgleich für 2020 theoretisch möglich sein.
Straßenausbaubeiträge und Landesgartenschau neu denken?
Nach der Finanzkrise 2008/2009 habe die Stadt, so der Bürgermeister, bis 2015 negative Abschlüsse „erlitten“. Wenn es wieder so lange dauert, dann stehen Schwalmstadt schwere Jahre bevor. In diesem Zusammenhang bittet er die gänzliche Abschaffung der Straßenausbaubeiträge zu überdenken und betrachtet die Landesgartenschau eher als Prestigeobjekt, für das jetzt eine Machbarkeitsstudie sinnvoll sei.
Thomas Kölle (FW) entgegnete erzürnt, die Landesgartenschau sei eine beschlossene Sache des obersten Entscheidungsorganes Schwalmstadt, „und das sitzt vor Ihnen!“ Im Dialog erwiderte Stefan Pinhard, er wolle nicht blockieren, schließlich habe er die Bewerbung zu Landesgartenschau abgegeben. Trotzdem stelle sich die Frage nach der Wirtschaftlichkeit.
Thomas Kölle (FW) erinnert an ausstehende Antworten zu Fragen bezüglich des Steuerlichen Querverbundes und möchte gerne mehr wissen über die Vermarktung der Konfirmationsstadt? „Was macht das Stadtmarketing?“ In Homberg gäbe es eine Online-Plattform für die Gewerbebetriebe. Außerdem: Gibt es eine Erhaltungsmanagement für die Straßen? Oder in den Sommerferien eine Notgruppe in den Kindergärten für Eltern, die durch Corona ihren Urlaub bereits aufgebraucht haben? Ruth Engelbrecht (B90/GRÜNE): fragt nach Blühstreifen und nach einem Livestream aus dem Stadtparlament.
Kommentiert: Eine Stunde für einen Tagesordnungspunkt – zwei Stunden für den Rest
Nach diesem ersten Tagesordnungspunkt (Mitteilungen und Anregungen) war bereits eine gute Stunde vorüber und die Wortbeiträge im Durchschnitt tatsächlich überhaupt nicht kürzer als sonst und auch nicht weniger. Es ist halt schwer, wenn die Charaktere so verteilt sind, wie sie sind. Da kommt die SPD-Doppelspitze aus Patrick Gebauer, der intellektuell beschlagen seine Statements abgibt und Daniel Helwig, der mit pädagogischer Leidenschaft gerne noch eins drauf gibt, gerne von zwei Seiten, während der schelmisch-frech provozierende Thomas Kölle (FW (ohne G)) stets leidenschaftlich für den Aufmacher sorgen möchte, gelegentlich sachlich eingenordet von MdEP Engin Eroglu (FW).
Der wissenschaftlich bewanderte und immer sachlich-aufgeregte Dr. Jochen Riege bringt immer wieder neue Aspekte ein, flankiert von der jugendlich, frisch und unbekümmerten Ruth Engelbrecht, die neue Alternativen aufzeigt, bevor Heidemarie Scheuch-Paschkewitz (LINKE) immer wieder versucht, die Grätsche, zwischen sachlichem Beitrag und maximaler Aufregung hinzubekommen. Schließlich kommt die CDU mit Marcus Theis, der gerne mal einen raushaut, um dann doch milde lächelnd vom Rednerpult abzutreten, wie ein Weitspringer, der gerade mal einen Zoll am Balken übergetreten ist und natürlich ganz sicher weiß: Touchdown!
Bis am Ende Constantin Schmitt (FDP) intelligent und sachlich-abgewogen versucht, den Sack zuzubinden, mit der Last im Rücken, viele aufgeregte Emotionen beruhigen zu müssen, weil er selbst die wenigsten Parlamentarier hinter sich hat – was in Schwalmstadt übrigens eine gute Voraussetzung für das Bürgermeisteramt ist…
Eine Live-Übertragung von diesem Ort wäre wirklich sehens- und begrüßenswert. Auch wenn die Einschaltquoten weniger berauschend sein dürften als die vielen Beiträge.
Alle weiteren Beschlüsse in Teil 2
So, wie die Stadtverordneten in der geräumigen Festhalle keine Platzprobleme hatten und wegen Einhaltung der Abstandsregeln auch auf den Mundschutz verzichten konnten, hat auch nh24 keine Platzprobleme und bietet allen gerne das Podium, ihre Beiträge auch ohne Livestream in großer Öffentlichkeit kundzutun. Das ist in diesem Fall nicht in einem einzigen Artikel möglich. Alles andere folgt ein separat und vielleicht veröffentlichen wir dann auch die Klickzahlen, damit das öffentliche Interesse deutlich wird. (Rainer Sander)
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