Folge von Corona: Wohl kein Doppelhaushalt 2020/2021
SCHWALM-EDER-KREIS | HOMBERG. Noch tagt der Kreistag im Schwalm-Eder-Kreis nicht, aber Entscheidungen werden angebahnt oder vorläufig im Haupt- und Finanzausschuss (HaFi) getroffen. Das kleinere Gremium, das sonst nur die Parlamentssitzungen vorbereitet, rückt auf allen kommunalen Entscheidungsebenen derzeit in den Fokus und erfährt einen Rollentausch.
Finanzlage so unklar wie selten – dank Corona
So mussten sich die Mitglieder des HaFi in Homberg am Montagmorgen mit schwierigen Weichenstellungen beschäftigen. Im Zentrum politischer Diskussionen auf Kreisebene stehen zurzeit die Auseinandersetzungen über den Haushalt. Dabei geht es nicht nur um einzelne Positionen, um Einnahmen und Ausgaben, die gerade beide gleichermaßen durch die Corona-Krise durcheinandergewirbelt werden, sondern auch um die geübte Praxis der SPD/FWG-Koalition, Doppelhaushalte für jeweils zwei Jahre zu verabschieden.
Die Frage, ob genügend Grundlagen für einen Haushalt 2021 erkennbar sind, beherrschen die Diskussionen durchaus auf beiden Seiten der politischen Bühne. Schnell wurde – offensichtlich nicht erst heute – allen Kreistagsabgeordneten bewusst, dass die klassische Regierungs- und Oppositions-Rollenverteilung gerade nicht zum Ziel führt. Und dabei spielt eine untergeordnete Rolle, dass auch die kreiseigenen Betriebe, wie der Wildpark oder die Freizeiteinrichtungen, gerade zusätzliche Verluste produzieren.
Keine Zeit für Eitelkeiten
Die Verlagerung der Diskussionen in den Haupt- und Finanzausschuss verhindert aktuell auch Endlos-Diskussionen. Das gern gepflegte Prinzip, „es ist zwar alles gesagt, aber noch nicht von jedem“, fruchtet gerade wenig und schnell wurde offensichtlich, dass zurzeit einige wichtigere Probleme zu lösen und größere Aufgaben zu bewältigen sind, als sich selbst in der Regierungs- oder Oppositionsrolle zu gefallen. Es ist gerade nicht die Zeit für Eitelkeiten.
Die Wirtschaftslage, so beschrieb Landrat Winfried Becker die Vergangenheit fast so, als wäre sie noch Gegenwart, ist sehr gut und deshalb konnte der Kreis die Kreisumlage gegenüber den Kommunen niedrig halten. Im Mittelwert aller Kreise sparen die Schwalm-Eder-Kommunen 11 Millionen Euro im Jahr, so rechnet der Kreis. Auch das musste einmal gesagt werden.
Arme Kommunen werden nicht reich – reiche Kommunen deutlich ärmer
Jetzt kommen massive Steuereinbrüche, wie in der aktuellen Steuerschätzung erst vergangene Woche deutlich geworden ist. Die Zahlen sind erschreckend, so Becker und schlagen bis auf die kommunale Ebene durch. Die Städte und Gemeinden mit hohen Gewerbesteuereinnahmen sind am stärksten betroffen. Also wem’s bisher am besten ging, geht’s vermutlich jetzt am schlechtesten. Wer kaum Gewerbe hatte, ist weniger betroffen.
Der Landrat steht zum Doppelhaushalt. Aber auch getrennt sagt er, ist das möglich, weil ein Blick in die Zukunft erst dann möglich ist, wenn Klarheit über Einnahmen und einen umfassenden kommunalen Schutzschirm herrscht, den der Bundesfinanzminister Olaf Scholz angekündigt hat. „Die Sau hat er aber noch nicht herausgelassen“ und so kann sie noch niemand durchs Dorf treiben.
Bernd Heßler: Mut zum Umdenken!
Bernd Heßler (SPD) ist der Meinung, man müsse Mut haben umzudenken. Man kann, so der ehemalige Borkener Bürgermeister, über Doppelhaushalte immer streiten. Alles wäre ohne die Corona-Pandemie vernünftig gelaufen, jetzt gelte es stattdessen „auf Sicht zu fahren“. Aber es sind auch Grundlagen nötig, um weiterzuarbeiten, vor allem, um auch die Investitionssummen aufrechtzuerhalten. Sein Fazit: Jetzt auf das Jahr 2020 konzentrieren. Allerdings auch in diesem laufenden Haushaltsjahr werden im Herbst Nachtragshaushalte kommen, prognostiziert Heßler. Es werde auch einen Einbruch bei den Arbeitslosenzahlen geben.
Jörg Warlich (B90/GRÜNE) findet, das Doppelhaushalte auch doppelte Diskussionen vermeiden. Haushalte sollten aber eigentlich im Dezember des Vorjahres rechtzeitig eingebracht werden. Den Haushalt 2021, so der Grünen-Politiker, kann man jetzt gar nicht beschließen, weil die Unsicherheiten zu groß sind. Er empfiehlt die Einbringung nur für ein Jahr. Strategische Überlegungen lehnten die GRÜNEN ab.
Achim Jäger (FWG) erhält Doppelhaushalte durchaus für usus und offensichtlich sinnvoll. Es stünden Anfang 2021 auch Kommunalwahlen an und es stelle sich die Frage, wie eine Haushaltsdebatte und eine Verabschiedung darin Platz fänden.
Dietrich Hahn: eine Frage der Ehrlichkeit – und der Pünktlichkeit…
Dietrich Hahn (CDU) findet darauf die passende Antwort: Für die Regierung sei es immer schön, wenn man während einer Wahl die Diskussion um einen Haushalt vermeiden kann. Für die Opposition ist die Haushaltsdebatte stets die wichtigste Chance. Die Lösung, so Hahn wäre einfach: warum machen wir es nicht, wie es in der Hessischen Gemeindeordnung (HGO) steht, nämlich pünktlich? Es gibt, so der CDU-Wirtschaftsexperte, immer gute Gründe und neue Aspekte, um etwas zu verschieben. Es gibt aber keine Grundlage, einen Haushalt 2021 zu beschließen.
Das Scheinbar in der Argumentation stechende Argument: „Es ist auch ein Stück Ehrlichkeit gefragt“ Was, fragte Hahn, setzt der Kreistag in der Öffentlichkeit damit für ein Signal? Ehrlichkeit und Transparenz gingen verloren. Eine Erkenntnis bringt es auf den Punkt: es nutzen auch keine Diskussionen, weil sich an der Erkenntnislage nichts ändern wird. Mit Blick auf Bernd Heßler und die SPD fragt er direkt auf die gegenüberliegende Seite, ob er richtig herausgehört habe, dass auch die SPD vom Dogma des Doppelhaushaltes abrückt?
MdL Wiebke Knell (FDP) unterstützt seine Aspekte und möchte mehr Sitzungen: Kommunen wie Neukirchen schaffen es auch. Einen Haushalt 2021 im Dezember einzubringen sollte möglich sein.
Renate Glaser (AfD) hat grundsätzlich keine Probleme mit den Doppelhaushalten, allerdings auch mit dem späten Einbringen. Auch sie ist dafür, 2020 jetzt zu verabschieden und sich für 2021 nicht zum Fenster herauszulehnen.
In der Ferne herrscht Einigkeit…
Und dann kommen die Argumente immer kürzer. Bernd Heßler erkennt im Weitblick Einigkeit. „Der Landrat muss vorgeben!“ Der holt zunächst noch einmal aus, die Opposition hier wolle keine Doppelhaushalte, während in Wiesbaden die CDU gerade das Gleiche mache, spürt aber schnell, dass diese Argumente aus der politischen Mottenkiste gerade nicht zum Ziel führen. Eine Entschuldigung führt er noch an, im November kamen erst die Arbeitsgrundlagen, um den aktuellen Haushalt zu planen.
Um am 29. Juni beschließen zu können, müssen wenigstens zwei weitere HaFi Sitzungen vor dem Termin stattfinden. Auch weil sich die Gesellschafterstruktur der EAM verändere, was einen Beschluss erfordert, außerdem stünden Baumaßnahmen im Behördenzentrum und für das Jugendamt an. Das Gesundheitsamt müsse nach den aktuellen Vorgaben 45 neue Mitarbeiter beschäftigen, die Platz dort brauchen. Zurzeit sind Mitarbeiter umgesetzt worden. All das sollte in einer Haupt- und Finanzausschusssitzung in der ersten Junihälfte besprochen werden.
Jochen Böhme (LINKE) findet schon, der Haushalt 2020 sei Makulatur. Der Kreis brauche aber eine Grundlage. Streng nach Gesetz müsste 2021 im Dezember verabschiedet werden und jetzt besteht die Chance, tatsächlich einmal pünktlich sein.
Michel Kreutzmann: Doppelhaushalte an sich durchaus notwendig
Jörg Warlich stellt fest, dass Absprachen in der Fraktion stattfinden müssen: „Deshalb brauchen wir jetzt eine Vorgabe!“ Der Vorsitzende des Kreistags, Michel Kreutzmann (SPD) meldet sich zu Wort: auch er bemüht zunächst die klassische Rhetorik: „Doppelhaushalte sind nicht am Rande der Legalität, sondern eine Notwendigkeit.“ Ohne Pandemie wäre alles im Zeitplan gewesen. Es scheint, so stellt er treffend fest, aber eine eindeutige Stimmungslage vorzuherrschen: „Man braucht nicht abzustimmen!“ MdB Bernd Siebert (CDU) findet, dass einfachste wäre, wenn der Landrat sagen würde, wir ziehen den Doppelhaushalt zurück, das gäbe keine Gesichtsverluste. Winfried Becker erwidert: „Der Doppelhaushalt ist eingebracht. Wir reden nicht über Gesichtsverluste!“
In der Nähe herrscht etwas weniger Einigkeit…
Und schließlich empfiehlt der Vorsitzende des Haupt- und Finanzausschusses, Hans-Jürgen Köbberling, die einzuschlagende Richtung, indem er feststellt, der Hafi beschließt so etwas nicht, der Landrat solle eine Erklärung abgeben, den 2021er Haushalt zu beerdigen. So findet nun am 22. Juni eine weitere Sitzung des „HaFi“ statt und am 29. Juni ist Kreistagssitzung. Dann soll entschieden werden. In der Diskussion der Einzelheiten des Haushaltes 2020 werden dann die klassischen Rollen wieder eingenommen, die ersten Änderungsanträge liegen bereits vor. So möchte die CDU beispielsweise Geld für die Wirtschaftsförderung umleiten in die Schaffung digitaler Infrastrukturen bei den Schulen im Landkreis. Die Diskussion ist eröffnet! Die großen Überraschungen könnten noch kommen…
Das passende Resümee formulierte Dietrich Hahn: „Der Verlauf dieser Sitzung hat gezeigt, dass Videokonferenzen kein Ersatz sind. Dort werden keine Fragen gestellt. In der Tat hat selten eine Diskussion so gefruchtet, wie heute Morgen in der Homberger Stadthalle“. (Rainer Sander)
1 Kommentar
Wenn man alle Geschäfte Hals über Kopf schließt dann bleiben Steuereinnahmen aus.
Man hätte das sehr gut wie jetzt auch über Zugangsbeschränkungen regeln können!!
Und die Steuereinnahmen werden so schnell nicht mehr werden denn wer hat schon lust mit Maske im Geschäft noch shoppen
zu gehen bei diesem Sommerwetter.
Da holen wir nur noch das wirklich nötigste was wir wirklich brauchen. Dann wird das Steuerloch halt immer größer….
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