FRIELENDORF. Im Fernsehen erzählt mir jemand, ich soll Mut haben, weil wir jetzt zusammenstehen – auch wenn wir getrennt stehen. Dass wir die Ärmel hochkrempeln, auch wenn wir Schutzkleidung tragen! Und dass es weitergeht, auch wenn wir stehen bleiben, bei jeder möglichen Begegnung mit anderen Menschen.
Ich finde auch: wir sollen auf jeden Fall positiv und aufgeschlossen in die Zukunft schauen, egal, was gerade passiert! Dann sagt die gleiche Person und das mit Nachdruck im 2. Satz aber, dass es bei uns so fürchterlich werden könnte wie in Italien. Sie beschreibt Schreckensszenarien, die sich auch in deutschen Kliniken abspielen könnten. Wo bleibt bitteschön, wenn wir doch positiv denken wollen, eigentlich der unerschütterliche Glaube daran, dass unser bestes Gesundheitssystem der Welt gut ist, perfekt aufgestellt und diese Krise so oder so meistern wird? Wie kann jemand, der aus purer Angst eine pechschwarze Zukunft malt, gleichzeitig eine Grundhaltung der Hoffnung und Zuversicht erwarten?
Jeden Tag entscheiden, dass es gut ist!
Ich mache mir sowieso mein eigenes Bild und finde, dass wir die Entscheidung dafür, positiv zu denken sowieso jeden Tag treffen. Es sterben jedes Jahr zwischen 3000 und 4000 Menschen im Verkehr und wenn wir an die Wissenschaft glauben, auf die wir in Zeiten von Corona angewiesen sind, dann glauben wir auch daran, dass durch Feinstaub in Deutschland jedes Jahr 56.000 Menschen sterben. Mit jedem Tag, an dem ich mich entscheide vor die Tür zu treten und am öffentlichen Verkehr teilzunehmen, gehe ich ein erhebliches Risiko ein, den Schritt auf die Straße, die Fahrt mit dem Auto oder nur das Einatmen von Luft in Großstädten mit dem Leben zu bezahlen. Und jetzt sage bitte niemand, die Geschichte mit dem Feinstaub wäre nicht so schlimm und Straßensperren seien maßlos übertrieben. Es sind zum Teil die gleichen Wissenschaftler, die gerade vor den Gefahren von Corona warnen und die aktuellen Einschränkungen empfehlen.
Faktisch ist die Wahrscheinlichkeit größer im Verkehr, als an Corona umzukommen. Und mit jedem Kilometer, den ich Autofahre, setze ich nicht nur mich selbst sondern auch andere der Gefahr aus, an meinem Feinstaub oder durch einen Fahrfehler meinerseits zu sterben. Ich gehe aber jeden Tag auf die Straße und setze mich jeden Tag ins Auto, weil ich darüber gar nicht nachdenke. Ich setze mich auch – wie jeder andere – ins Flugzeug und fliege in den Urlaub und jeder, der eine Kreuzfahrt bucht, weiß, wie die CO2-Bilanz eines Schiffes aussieht. An den Folgen des Klimawandels werden allerdings noch weit mehr Menschen sterben – aber zunächst einmal nicht hier.
Leben mit der Hoffnung
Wir leben mit der unerschütterlichen Hoffnung und dem festen Glauben, dass am Ende alles gut wird. Gut so! Angst und Sorge verkrampfen immer. Und tatsächlich: es kommt meist weniger schlimm, als vermutet. Das mit dem Klimawandel könnte allerdings wirklich ziemlich blöd werden und hätte zumindest eine ähnliche Radikalität verdient, wie das, was jetzt gerade an Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus möglich ist.
Vielleicht sorgt Corona tatsächlich dafür, dass wir sensibler werden für das, was auf dieser Welt passiert und was wir mit der entsprechenden Motivation ändern können. Oder wird es so sein, dass wir spätestens dann, wenn wir alle gemeinsam die Rechnung bezahlen, die jetzt gerade geschrieben wird – einige weniger und andere mehr – voller Wut alles ablehnen, was sonst noch an Lösungen für unübersehbare Probleme ansteht? Ich bin gespannt und zugleich voller Mut und Hoffnung!
Ihr
Rainer Sander