Ziel: Unnötige Kontakte vermeiden
MARBURG-BIEDENKOPF|KASSEL. Vor dem Hintergrund steigender Fallzahlen von Corona-Infektionen untersagt der Landkreis Marburg-Biedenkopf per Allgemeinverfügung bis zum 10. April Veranstaltungen mit mehr als 1.000 Gästen und die Stadt Kassel alle Veranstaltungen mit größeren Menschenansammlungen bis einschließlich 30. April 2020.
Landkreis Marburg-Biedenkopf
Gleichzeitig empfiehlt der Landkreis Marburg-Biedenkopf, alle anderen Veranstaltungen abzusagen oder zu verschieben.
Zum Verbot von Veranstaltungen sagte Landrätin Kirsten Fründt, dass die Gefahr, sich bei einer Menschenansammlung mit dem Coronavirus anzustecken, nur schwer einzuschätzen sei. Grundsätzlich sei hier aber Vorsicht geboten. Bei großen Veranstaltungen kommen viele Menschen an einem Ort zusammen, sie kommen aus unterschiedlichen Gebieten oder Regionen, haben engeren Kontakt zueinander und eine zuverlässige Rückverfolgung möglicher Kontaktpersonen ist nahezu unmöglich. Auch die Einhaltung wichtiger Hygienetipps könne nicht immer gewährleistet werden. Das Verbot solcher Veranstaltungen mit mehr als 1.000 Gästen und die dringende Empfehlung auch kleinere Veranstaltungen ausfallen zu lassen oder zu verschieben, sei daher ein angemessenes Mittel.
Leitend für die Entscheidung des Kreises sind die Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts und der entsprechende Erlass des Hessischen Sozialministeriums. Veranstaltungen, die in der Verantwortung oder in der Zuständigkeit des Landkreises liegen, werden ebenfalls zunächst bis 10. April abgesagt. Das Ziel dieser Entscheidungen ist es, unnötige Kontakte zu vermeiden, um eine Verbreitung des Virus zu verlangsamen.
„Wir schränken die Kür ein, damit es bei der Pflicht nicht zu Einschränkungen kommt“, sagte Landrätin Kirsten Fründt. Ziel müsse es sein, dass Schulen, Kindergärten oder auch der Öffentliche Personennahverkehr ohne Einschränkungen in Betrieb bleiben können.
Eine flächendeckende Schließung von Schulen oder Kindertageseinrichtungen hätte weitreichende Folgen auf nahezu alle Bereiche des öffentlichen Lebens, die so lange wie möglich vermieden werden müssen. „Wenn wir jetzt Schulen und Kitas schließen, dann betrifft das auch die Betreuungsangebote an Schulen, was Eltern vor das Problem stellt, die Betreuung ihrer Kinder zu organisieren. Da dies nicht immer möglich ist, müssten die Eltern selbst zu Hause bleiben und könnten nicht zur Arbeit gehen. Dadurch würden wir eine Kaskade von Problemen, etwa in der Krankenversorgung, im Dienstleistungssektor oder in der produzierenden Wirtschaft mit unabsehbaren Folgen auslösen. Das kann nicht das Ziel sein“, betonte die Landrätin. Außerdem sei der Unterricht an Schulen nicht mit öffentlichen Veranstaltungen zu vergleichen. In der Schule seien auch Kontakte und Kontaktpersonen jederzeit nachvollziehbar.
„Diese verschiedenen Aspekte haben wir, auch im Austausch mit dem Staatlichen Schulamt, bei unserer Entscheidung in die Waagschale geworfen. Nach sehr sorgfältiger Prüfung sind wir zu dem Ergebnis gekommen, dass eine flächendeckende Schulschließung derzeit nicht erforderlich ist“, sagte Landrätin Kirsten Fründt.
Um unnötige Kontakte zu vermeiden, sagt der Kreis auch alle eigenen Veranstaltungen ab. Dazu gehören auch alle Kurse und Veranstaltungen der Volkshochschule, Lesungen, Ausstellungen, Informations- oder Schulungsveranstaltungen.
Auch die für Freitag, 27. März, geplante Sitzung des Kreistages fällt aus. Dies hat der Kreistagsvorsitzende Detlef Ruffert in Abstimmung und einvernehmlich mit dem Ältestenrat beschlossen. Auch die vorbereitenden Sitzungen der Ausschüsse finden nicht statt. Wie der Kreistagsvorsitzende erläutert, handele es sich bei der Absage um eine Vorsichtsmaßnahme, die auch darin begründet sei, dass auf der Tagesordnung keine eilbedürftigen Vorlagen oder Anträge vorgesehen seien. „Es ist vertretbar, die geplanten Tagesordnungspunkte zu einem späteren Zeitpunkt zu behandeln“, so Ruffert. Das politische Leben im Landkreis werde trotzdem in bewährter Weise sachgerecht fortgesetzt.
Das Gesundheitsamt des Landkreises Marburg-Biedenkopf ist aktuell intensiv damit beschäftigt, Infektionsfälle früh zu erkennen und Infektionsketten schnell zu durchbrechen. Die Fachleute dort verfolgen die Hauptziele, Menschen mit dem Risiko für einen schweren Verlauf einer Infektion mit dem Coronavirus, dazu zählen ältere Menschen ebenso wie Personen mit relevanten Vorerkrankungen oder chronisch Kranke, bestmöglich zu schützen und die Gesundheitssysteme nicht zu überlasten.
„Wir befinden uns aktuell am Anfang der Ausbreitung des Coronavirus in Hessen und im Landkreis Marburg-Biedenkopf. Jetzt gilt es, die weitere Ausbreitung mit entschlossenen Maßnahmen zu verlangsamen“, erläuterte Dr. Birgit Wollenberg, die Leiterin des Gesundheitsamtes. Sie wirbt für eine breite Akzeptanz in der Bevölkerung für die Maßnahmen, die die Gesundheitsbehörden jetzt auf den Weg bringen.
„Die Situation entwickelt sich sehr dynamisch. Wir beobachten die Entwicklung sehr genau und bewerten die Lage täglich, manchmal stündlich neu, damit wir unsere Schritte an die jeweilige Situation laufend anpassen können“, sagte die Landrätin.
„Jetzt ist jeder und jede Einzelne von uns gefordert, sich solidarisch und verantwortungsbewusst zu verhalten“, erklärte Landrätin Kirsten Fründt. Dass die Infektionswelle auch den Landkreis Marburg-Biedenkopf erfasse, stehe außer Zweifel. „Wir haben es aber in der Hand, wie stark die Auswirkungen auf die Gesellschaft werden. Jetzt gilt es entschlossen, überlegt und mit kühlem Kopf zu handeln“, sagte die Landrätin. Der Kreis sei deshalb auch in engem Austausch mit der Bürgermeisterin und den Bürgermeistern, um ein einheitliches Vorgehen zu erzielen.
Sie bat auch um Verständnis dafür, dass die Kreisverwaltung keine weiteren Details, wie etwa die Wohnorte, zu den bisher bekannten Infektionsfällen veröffentlicht. Der Schutz der Persönlichkeitsrechte der Betroffenen habe Vorrang, zumal diese Informationen auch vor dem Hintergrund der Mobilität moderner Menschen unerheblich seien. „Wir möchten verhindern, dass die Betroffenen in ihren Wohnorten stigmatisiert und angefeindet werden. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Gesundheitsamtes ermitteln jeden Einzelfall, recherchieren akribisch die Kontaktpersonen und leiten alle erforderlichen Maßnahmen, wie beispielsweise die Isolierung, Quarantäne oder einen Test in die Wege“, sagte die Landrätin.
KASSEL: Große und städtische Veranstaltungen bis Ende April abgesagt
In der Stadt Kassel ist die Erkrankung von drei Patienten an der Atemwegserkrankung COVID-19, verursacht durch den neuen Erreger SARS-CoV-2 aus der Familie der Coronaviren, nachgewiesen worden. Der zunächst vorliegende Verdacht ist am Mittwochabend, 11. März 2020, durch entsprechende Laboruntersuchungen bestätigt worden.
Auf Anordnung des Gesundheitsamtes und in enger Abstimmung mit den Hausärzten befinden sich zwei Frauen im Alter von 28 Jahren und ein 56 Jahre alter Mann aus der Stadt Kassel in häuslicher Isolation. Alle waren vor kurzem aus dem Skiurlaub in Österreich zurückgekehrt und hatten sich nach bisherigen Erkenntnissen dort mit dem Erreger SARS-CoV-2 infiziert.
Patienten mit milden Symptomen
Alle Patienten haben milde Symptome einer Atemwegserkrankung wie Fieber, Husten und Halsschmerzen.
Mitarbeiter des Gesundheitsamts haben Kontaktpersonen der infizierten Person ausfindig gemacht. Diese Kontaktpersonen befinden sich vorsorglich ebenfalls in häuslicher Quarantäne. Derzeit liegen keine Hinweise vor, dass sich weitere Menschen durch Kontakte mit den Erkrankten infiziert haben.
Insgesamt ist im Bereich des Gesundheitsamts Region Kassel inzwischen bei sechs Personen die Atemwegserkrankung COVID-19 nachgewiesen worden: drei stammen aus der Stadt Kassel, drei aus dem Landkreis Kassel.
Verwaltungsstab sagt Veranstaltungen ab
Aufgrund der Corona Situation hat die Stadt Kassel einen Verwaltungsstab unter Leitung von Oberbürgermeister Christian Geselle eingerichtet. Dieser hat aufgrund der sich weiter dynamisch entwickelnden Lage entschieden, alle Veranstaltungen mit größeren Menschenansammlungen bis einschließlich 30. April 2020 zu untersagen, um die Ausbreitung des Coronavirus zu verlangsamen.
Grundlage dafür ist § 28 Infektionsschutzgesetz, in dem es heißt: „Werden Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt (…) so trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen (…) soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist. Unter den Voraussetzungen von Satz 1 kann die zuständige Behörde Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen einer größeren Anzahl von Menschen beschränken oder verbieten (…).“
Damit geht die Stadt über einen entsprechenden Erlass des Hessischen Ministeriums für Soziales und Integration vom 12. März 2020 hinaus.
Geselle: „Schutz der Gesundheit der Bevölkerung hat höchste Priorität“
Oberbürgermeister Geselle: „Das Coronavirus wird sich weiter ausbreiten. Daher ist es wichtig, diese Ausbreitung, soweit möglich, einzudämmen bzw. zu verlangsamen. In solch einer Phase ist es leider unumgänglich, dass das öffentliche Leben Einschränkungen erfährt. Ich habe Verständnis dafür, dass die jetzt notwendigen Absagen von vielen Veranstaltungen auch für Unmut sorgen werden. Aber der Schutz der Gesundheit der Bevölkerung hat höchste Priorität.“
Gesundheitsdezernentin Ulrike Gote: „Es ist notwendig, die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen, auch um die Funktionsfähigkeit unseres Gesundheitssystems zu gewährleisten. Ein Großteil der bundesweit Erkrankten leidet glücklicherweise unter milden Symptomen einer Atemwegserkrankung. Aber es gilt, alle Kapazitäten für Risikogruppen wie ältere Menschen und chronisch Kranke verfügbar zu halten.“
Betroffen von den Absagen sind sämtliche Veranstaltungen, bei denen die Stadt als Veranstalter fungiert wie beispielsweise die ursprünglich für den 4. April geplante Sportgala. Auch die im Stadtgebiet vorgesehenen öffentlichen Veranstaltungen wie die Casseler Frühlings-Freyheit, Oster- und Flohmärkte oder ähnliche Formate können nicht stattfinden.
Auch Versammlungen können nicht stattfinden Ordnungsdezernent Dirk Stochla: „Wir bitten um Verständnis, dass vor dem Hintergrund des Infektionsschutzes auch alle angemeldeten Versammlungen und Demonstrationen sowie spontane Ansammlungen mit einer größeren Anzahl von Menschen nicht stattfinden können.“
Ebenfalls betroffen sind Veranstaltungen in Kasseler Museen und Ausstellungshäusern. Für den regulären Betrieb wird die Publikumskapazität eingeschränkt, die personenbezogenen Daten der Besucherinnen und Besucher müssen erhoben werden. Das Kasseler Staatstheater unterbricht sein Vorstellungsprogramm in Opernhaus und Schauspielhaus. Auch die laufende Sonderausstellung „Faszination Körperwelten“ in der documenta-Halle kann nicht fortgeführt werden.
Überregionale Sportveranstaltungen wie die Heimspiele des KSV Hessen Kassel und der Handballer der MT Melsungen können ohne Zuschauer ausgetragen werden. Die Kassel Huskies hatten bereits angekündigt, keine Saisonspiele mehr in der Eissporthalle zu absolvieren. Einschränkungen gibt es auch für Bade- und Saunabetriebe. Diese haben durch entsprechende Zugangskontrollen sicherzustellen, dass sich keine zu große Zahl von Menschen in den Einrichtungen sammelt.
Auch Diskotheken, Kinos, Kirchen und Religionsgemeinschaften betroffen
Die Anordnung auf Schließung betrifft auch Kasseler Diskotheken und Kinos und ist überwiegend auf Verständnis gestoßen. Das Ordnungsamt hat bereits mit Betreibern Kontakt aufgenommen. Auch die Kirchen und Religionsgemeinschaften werden entsprechend informiert.
Die Stadt Kassel beobachtet die weitere Entwicklung fortlaufend und wird gegebenenfalls über weitere Maßnahmen entscheiden.
Abschließend appellierte Oberbürgermeister Geselle an die Kasseler Bevölkerung: „Bleiben Sie bitte besonnen. Geben Sie auf sich und damit auch auf andere Acht. Jeder Einzelne kann mit seinem Verhalten dazu beitragen, die weitere Verbreitung des Coronavirus einzudämmen. Kassel ist gut aufgestellt. Je nach Lage werden wir die notwendigen Maßnahmen ergreifen und Sie weiterhin auf dem Laufenden halten.“
Stadt beantwortet Fragen unter der Rufnummer 115
Auf Grund der Vielzahl der Nachfragen ist das Gesundheitsamt für Bürgerinnen und Bürger unter Umständen nicht direkt erreichbar. Informationen gibt die Stadt über das Servicecenter unter der Rufnummer 115. Die Bürgerinnen und Bürger werden gebeten, ab sofort verstärkt auf das städtische Onlineangebot zurückzugreifen.
Aktuelle Informationen, Hinweise zum Schutz vor ansteckenden Atemwegserkrankungen sowie eine Auflistung der abgesagten Veranstaltungen und geschlossenen Veranstaltungsorte: www.kassel.de/coronavirus. (pm|beg)