Ursulinenschüler ergänzen Wanderausstellung zu Kindertransporten
FRITZLAR-ZÜSCHEN. Im vergangenen Jahr rief das Evangelische Forum Schwalm-Eder mit weiteren Kooperationspartnern das Schülerprojekt „Lebenslinien – 80 Jahre Kindertransporte zur Rettung jüdischer Kinder“ ins Leben. Die daraus entstandene Wanderausstellung über das Schicksal von Menschen aus der unmittelbaren Nachbarschaft war inzwischen an mehreren Orten im Schwalm-Eder-Kreis zu sehen.
Wie bereits in Neukirchen, Steinatal und Treysa, recherchierten auch Schüler der Ursulinenschule Fritzlar über die relativ unbekannte Rettungsaktion, durch die schätzungsweise über 12.000 Kinder vor dem Holocaust bewahrt wurden.
Die Klasse 9R3 beleuchtete die Geschichte der fast gleichaltrigen Anneliese Henriette Katz – die lebte zwar in Essen, besuchte aber regelmäßig ihre Verwandtschaft in Züschen. „Ich fand es sehr spannend bei dem Projekt mitzuarbeiten“, berichtete Annika Beutel von dem außergewöhnlichen Geschichtsunterricht – für das Kapitel „Kindheit in Essen“ hatten die 15-Jährige und ihre Mitschüler unter anderem im Online-Archiv des United States Holocaust Memorial Museum in Washington recherchiert. „Für die Jugendlichen war es sehr eindrucksvoll, in den Tagebüchern und den Briefen an die Eltern zu lesen“, bestätigte Lehrerin Stephanie Trieschmann die Besonderheit der Wissensvermittlung.
Das Ergebnis ihrer Arbeit wurde nun auf zwei Stellwände gedruckt, die die bereits vorhandene Ausstellung ergänzen. Eröffnet wurde sie am 1. März nach dem Gottesdienst, zwei Tage später fand dazu ein weiterer Informationsabend statt. Gemeindepfarrerin Ira Waterkamp und Pfarrer Dierk Glitzenhirn vom Evangelischen Forum freuten sich über gut drei Dutzend Gäste, die sich im Gemeindehaus Züschen eingefunden hatten – besonders begrüßten sie Autor Ernst Klein, der Mitbegründer des Vereins „Rückblende gegen das Vergessen“ in Volkmarsen. Als ausgesprochener Kenner der Geschichte referierte er ausführlich über die Thematik. „Um zu verstehen, warum Eltern ihre Kinder unbegleitet ins Ausland schicken, muss man die Situation in der damaligen Zeit begreifen“, sagte er und beschrieb die Repressionen gegen die jüdische Bevölkerung, die von Tag zu Tag schlimmer wurden. Aus vielen Quellen konnte er von zahlreichen Einzelschicksalen berichten, die bedrückend genau beschrieben, wie es den Kindern allein in der Fremde erging. Darüber hinaus erzählte er von persönlichen und oftmals emotionalen Begegnungen mit Betroffenen, die bisweilen erst nach Jahrzehnten wieder über ihre Erlebnisse sprachen. (pm)
Ferien in Züschen
Anneliese Henriette Katz wurde am 2. Oktober 1925 in Essen geboren, ihr Vater Emil Katz stammte aus einer jüdisch-orthodoxen Familie in Züschen, daher verbrachte das Mädchen seine Ferien oft bei den Verwandten auf dem Land. Sie ging in Essen zur Schule, mit ihren Freundinnen war sie Mitglied im jüdischen Jugendverband „Makkabi Hazair Zionist“, der sich mit einem eigenen jüdischen Staat befasste. Auch Annelieses Eltern überlegten eventuell nach Palästina auszuwandern, doch Emil wollte sein Vaterland, für das er im Ersten Weltkrieg gekämpft hatte, nicht hinter sich zu lassen. Die bis dahin noch relativ unbeschwerte Kindheit endete mit der Pogromnacht im November 1938. Die damals 13-Jährige erlebte mit, wie die Essener Synagoge brannte, ihre Wohnung verwüstet wurde und ihr Vater vorübergehend ins Konzentrationslager Dachau kam. Schweren Herzens entschieden sich die Eltern dazu, Anneliese mit einem Kindertransport nach England zu retten – dort lebte sie erst bei Verwandten und später bei anderen Familien. Der Briefkontakt in die Heimat brach bereits nach dem ersten Kriegsjahr ab, 1941 wurden ihre Eltern ins Ghetto Lodz deportiert und drei Jahre später im Vernichtungslager Kulmhof ermordet. Nach dem Krieg lernte sie ihren Mann kennen und zog mit ihm nach Sri Lanka – dort wurde sie Mutter und Stiefmutter von insgesamt sieben Kindern. Sie begann Lyrik und Prosa, aber auch autobiografische Texte und Essays zu schreiben – über die Jahre wurde sie eine der berühmtesten Schriftstellerinnen Sri Lankas, deren Werke in acht Sprachen erschienen. Ihr einziger deutschsprachiger Band enthält eine Auswahl ihrer Holocaust-Gedichte – ihm stellte sie die Widmung voran: „Den jungen Menschen in Deutschland – damit das Erinnern nicht aufhört“. Anne Ranasinghe (geb. Katz) starb 2016 im Alter von 91 Jahren in Colombo. (Ulrich Köster / pm / nh)