FRIELENDORF. Dreieinhalb Monate durchgefeiert, 107 Tage Karneval. Politischer kann Aschermittwoch übrigens gar nicht sein. Jetzt möchte man meinen, alles ist wieder gut. Die Toten von Hanau stehen wieder auf, wie der Hoppeditz in Düsseldorf oder Lohfelden am 11.11. um 11:11 Uhr, alles war nur Theater und am Ende ist es gut.
Die Verletzten in Volkmarsen haben allen Schrecken vergessen, die Bilder sind aus dem Kopf, das Trauma ist weg… Alexander Gauland erklärt, dass politischer Fanatismus nicht nur bei den Moslems zu schrecklichen Entgleisungen führt und räumt ein, dass Hassprediger bei Moslems und weißen „Bio-Deutschen“ gleichermaßen verrückte Handlungen provoziert und nicht nur die Verrückten verrückt sind… Björn Höcke erklärt, dass alles, was er in seinem Buch geschrieben hat – und mich verrückter Weise immer ein bisschen an „Mein Kampf“ erinnert -, sowie seine Dresdner Rede – die mit dem Denkmal der Schande und der 180-prozentigen Wende in der Erinnerungskultur – nur als Büttenrede gedacht war und er dabei einfach nur besser sein wollte als AKK mit ihren nicht immer lustigen Witzen über Bedürfnisanstalten.
Schließlich wäre eine 180-prozentige Wende in der Erinnerungskultur ja auch ein Hurra auf 40 Jahre deutschen Sozialismus „made in GDR“, oder wo hört die Wende auf und wo fängt sie an? Die CDU erklärt die Ministerpräsidenten Wahl von Erfurt zur Wahl des Karnevalsprinzen Thomas Kemmerich: Erfurt Helau und Weimar Hurra! Und heute Morgen erklärt sie einfach, dass es von vornherein völlig unlogisch gewesen ist, tatsächlich alle praktisch möglichen Lösungen kategorisch auszuschließen und wie ein trotziges Kind monatelang mit den Füßen auf den Boden zu stampfen zu rufen: „regiert doch mal jemand! Regiert doch mal jemand! Sie merkt am Aschermittwoch, dass auch sie Verantwortung in Thüringen trägt und nimmt sie ganz einfach wahr, völlig ungeachtet dessen, was in der Berliner Führungsetage immer noch rückwärtsgewandt aus alten Fanfaren geblasen wird.
Christian Lindner wird als würdiger Hoppeditz zu Grabe getragen, bis zum 11.11.2020 fliegt die FDP aus allen Parlamenten raus und kehrt erst in der nächsten närrischen Session zurück, Helau, Alaf oder auf nordhessisch Alleweil oder Aleu!
So ist es aber nicht, die Realität ist anders, auch an Aschermittwoch oder gerade. Wir werden auch heute am Aschermittwoch daran erinnert, dass alles wahr ist, dass alles real ist. Hanau und Volksmassen sind tatsächlich passiert. Die SPD wird weiter darüber jammern, wie schlecht alle anderen (zu ihr) sind, die CDU wird weiterhin fest daran glauben, dass sie eine Volkspartei ist, die FDP wird zum politischen Aschermittwoch blasen und raushauen, was das Zeug hält, ohne zu merken, dass alle anderen tatsächlich über sie lachen und sie sich für die Lacher gar keine Mühe mehr geben muss. Manchmal läuft‘s halt von alleine! Die Grünen werden weiterhin glauben, dass sie allein die Wahrheit kennen. Die AfD weiß hundertprozentig, dass sie allein über den Schlüssel zu allen Unwahrheiten verfügt und die Linke ist immer noch der Überzeugung, dass es eine demokratischen Sozialismus gibt und ihn tatsächlich – tief im Herzen – alle wollen.
In Wirklichkeit wollen wir aber keinen Sozialismus und vielleicht auch gar keine Volksparteien mehr, weil das Volk sich längst nicht mehr einig ist. Jeder will vor allem das, was ihm zum Vorteil ist, jeder etwas anderes und das ist – konsequenterweise – meistens nicht zum Vorteil von Anderen.
Das wiederum funktioniert übrigens nur, wenn es allen gut geht. Wenn es Menschen hingegen schlecht geht, rücken sie immer zusammen und beginnen an einem Strang zu ziehen. Da ist er wieder, der Punkt, der Hoffnung macht! Wenn es uns tatsächlich einmal schlecht gehen sollte, dann werden wir uns wieder einig sein und solange es uns gut geht, dürfen wir hier jeden Blödsinn machen! Auch nach Aschermittwoch. Nur bitte keinen Hass, keine Respektlosigkeit, keine Wutausbrüche mehr! Statt Hasspredigten bitte viel Verstand, Einsicht und Dankbarkeit!
Auch keine Taktik mehr, wie in Erfurt, die doch so durchsichtig ist! Keine Wenden mehr, die niemand nachvollzieht und bitte immer eine Nacht drüber schlafen und erst dann Twitter- oder Facebook-Kommentare schreiben. Und das gilt wirklich nicht nur für Politiker. Jeder Krieg endet mit dem Frieden und wenn der kommt, dann ist es gut, wenn man auch im Streit nur das gesagt und getan hat, wonach man sich dann wieder in die Augen schauen kann…
Ihr
Rainer Sander