Stadtverordnete tagen heute Abend
BAUNATAL. Die Zeiten, in denen sich Baunatal viel mehr leisten konnte, als andere Kommunen und sich nebenbei auch der Landkreis – durch die Umlagen – über jede Gewerbesteuerzahlung mitfreuen konnte, sind vorbei. Vielleicht sogar für längere Zeit.
Umdenken in allen Automobilstandorten in Deutschland
Was mit der Dieselkrise wie ein Blitz aus heiterem Himmel über alle VW Standorte hereinbrach, führt durch den Klimawandel und die notwendige Energiewende, verbunden mit Umdenken in vielen Lebensbereichen, die der Mobilität, zu einem Paradigmenwechsel. Am Ende bleibt kaum noch etwas wie es war, die Energiekonzerne verdienen ihr Geld heute schon ganz anders und an ganz anderen Standorten als noch vor wenigen Jahren und in der Automobilindustrie wird es kaum anders sein.
Beispiele für die Folgen solcher Veränderungen liegen nicht lange zurück: Es ist nur 13 Jahre her, als sich der Nokia Vorstand als Weltmarktführer im Handybereich mit dem besten Jahresergebnis aller Zeiten auf die Schulter klopfte und gleichzeitig im fernen Silicon Valley Steve Jobs mit einem einzigen Satz die Kommunikation und die Welt veränderte und Nokia schon ein Jahr später an den Rand der Insolvenz führte: „Und wir nennen es iPhone“!
Chancen aber auch Unsicherheiten
Dabei droht Baunatal kein Schicksal wie den Standorten der Nokia-Handyfabriken, weil mit viel Weitsicht der bisherigen Lenker des zweitgrößten Volkswagen-Werkes, dafür vorgesorgt wurde, dass durch die Rolle als Leitwerk für die E-Mobilität, der Standort an sich zu den beiden Schlüsselstandorten in Deutschland gehören wird. Dennoch wird es eine ganze Weile lang anders sein, ohne dass jemand ahnen wird, was dieses „Anders sein“ bedeutet. Es wird auch jede Menge Chancen geben, die sind aber noch nicht klar zu umreißen. So ist es auch für die Politik nicht gerade einfach jetzt die richtigen Entscheidungen zu treffen. Zu viel sparen und Infrastrukturen zu stören? Zu wenig sparen und am Ende etwas gefährden? Die letzten Reserven jetzt aufbrauchen, in der Hoffnung, dass es besser wird? Jetzt noch Reserven anlegen für den Fall dass es noch schlimmer kommt? In wenigen Jahren werden diejenigen, die jetzt auch nicht wissen, wie es weitergeht aber dann gewusst haben, wie man es hätte besser machen können.
Silke Engler hat ihre Haushaltsrede im Dezember wie folgt begonnen: „Stellenabbau bei Volkswagen – auch bei uns in Baunatal, Stellenabbau bei Conti, Aldi und Enercon, drohender Abschwung – das sind nur einige Schlagworte, die seit Wochen durch die Medienlandschaft geistern. Keinen der genannten Sachverhalte können wir in Baunatal beeinflussen und doch hat jeder davon Einfluss auf uns und die finanzielle Lage der Stadt. Als Standort des zweitgrößten Volkswagenwerkes in Deutschland mit rund 17.000 Beschäftigten hat die gesamte Stadt in den vergangenen Jahren, in denen es gute Steuereinkünfte gab, gut leben können. Die guten Zeiten nutzend wurde Infrastruktur errichtet und modernisiert. Gute Auftragslage bei Volkswagen heißt auch immer eine gute Auftragslage bei den Zulieferern und Handwerkern in der Region und hohe Kaufkraft im heimischen Einzelhandel. Wir alle sind untrennbar miteinander verbunden.“
Starke Verbindung zum Hauptsteuerzahler beeinflusst jeden Haushalt
Das beschreibt das Dilemma, in dem alle verantwortlich handelnden jetzt stecken. Und man kann tatsächlich nicht für alles Vorsorge treffen und kann jetzt am allerwenigsten alles weiterlaufen lassen, wie bisher. Die Bürgermeisterin stellte in aller Sachlichkeit fest: „Bei einer so starken Verbindung zwischen einem Unternehmen und einer ganzen Region ist es logisch, dass die Veränderungen beim Hauptsteuerzahler auch im städtischen Haushalt ihren Widerhall finden. Da es noch keine aktualisierten Zahlen für die zu erwartenden Gewerbesteuervoraus-zahlungen für das Jahr 2020 gibt, bringe ich den Haushalt für das Jahr 2020 und den Finanzplan bis einschließlich 2023 mit einem Vorbehalt an dieser Stelle ein.“
Der Baunataler Magistrat kritisiert zugleich die Handlungsweise des Landes Hessen beim Thema der Gewerbesteuerumlage die Finanzplanung der Kommunen erschüttert. Die vom Bund beschlossene Senkung der Umlage aufgrund des Wegfalls des Fonds der Deutschen Einheit hätte ein Betrag von rund 2,7 Millionen Euro mehr für 2020 im städtischen Haushalt belassen. Der Betrag war in Baunatal eingeplant.
Einen Lichtblick, so Engler, bietet die geringe Senkung der Kreisumlage, die einen Betrag von rund 800.000 Euro im städtischen Haushalt belassen wird.
Die wichtigsten Einnahmen und Ausgabenkontrolle
Die Gewerbesteuererwartung für 2020 beträgt 34,1 Millionen Euro, aber auch in den vergangenen Jahren gab es Mindereinnahmen in Höhe von 3,7 Millionen Euro. Schlüsselzuweisungen durch das Land Hessen dürften letztmalig erfolgen. Die Einnahmen durch Einkommenssteuer werden mit rund 18,6 Millionen Euro prognostiziert. Die erstmals seit zehn Jahren erhöhte Grundsteuer wird Einnahmen in Höhe von 6,7 Millionen Euro generieren.
Im Bereich der Ausgaben will der Magistrat die 2019 begonnene grundsätzliche Aufgabenkritik konsequent weiterführen. Bei Leistungen der Stadt werden Pflichtaufgaben hinterfragt und erforderlichenfalls abgesenkt. Freiwillige Aufgaben werden nachhaltig hinterfragt, ob sie noch zeitgemäß und dauerhaft durch den städtischen Haushalt leistbar sind. Hilfestellung zu bereits lokalisierten Einsparpotentialen könnte ein Bericht des Landesrechnungshofes geben. Er könnte belegen, dass der gewachsene Standard an Qualitäten und freiwilligen Leistungen einen Spitzenplatz in Nordhessen einnimmt.
Kindergärten und Bildung
Bildung es bleibt ein Hauptanliegen, die frühkindliche Bildung in Baunatal zu fördern. Die Kindertagesstätten einschließlich U3-Betreuung und Schulkindbetreuung kosten 12,9 Millionen Euro die Einnahmen aus Landesförderung und Elternbeiträgen betragen rund 4 Millionen Euro. 8,9 Millionen Euro werden aus städtischen Mitteln aufgewendet. Das sind rund 6.000 Euro pro Jahr und Kind.
Der begonnene Weg, den Kitabereich organisatorisch zu überprüfen und durch Veränderungen Synergieeffekte zu erzielen, soll fortgeführt werden, denn bereits wenige Monate nach Umstellung der stundenweisen Buchung von Betreuung im Nachmittagsbereich in feste Halb-, Dreiviertel- und Ganztagesplätze ist festzustellen, dass sich die Planbarkeit des Personaleinsatzes verbessert hat.
Die Bestandteile der in ganz Deutschland viel beachteten Bildungskette, sollen weiter vernetzt und neue einzelne Mosaiksteine entwickelt werden, mit dem gemeinsamen Ziel, Kindern einen guten Start in ihr Leben in Baunatal zu ermöglichen.
Feuerwehr und Ehrenamt
Rund 2,5 Millionen Euro sind Ergebnis- und Finanzhaushalt zusammen für die Feuerwehr vorgesehen. Rund 1 Million Euro entfallen auf Investitionen in den Fahrzeugbestand, für Drehleiter sowie drei Mannschaftstransportfahrzeuge, einen Gerätewagen Logistik und ein HLF für die Feuerwehr Hertingshausen, die wieder über eine eigene Einsatzabteilung verfügt.
Ehrenamt und Sport
Etwa 150 Vereine und Verbände sind in Baunatal aktiv. Hier werden viele Stunden ehrenamtlich geleistet. Die Sportstätten in Baunatal sind unbestritten auf einem außerordentlich hohen Niveau, was sich an den vielen überregional bedeutenden Veranstaltungen ablesen lässt. Auch für 2020 sind im Haushalt allein für die Sportstätten rund 1,6 Millionen Euro vorgesehen. Dazu kommen weitere 1,3 Millionen Euro für interne Leistungsverrechnung. Damit sollen die Sportstätten auf dem hohen Niveau gehalten werden. Darüber hinaus werden die städtischen Vereine auch wieder direkt mit finanziellen Zuschüssen unterstützt: die Musikschule mit 70.000 Euro (neben der Bereitstellung des Gebäudes), die Sportvereine mit insgesamt 194.000 Euro, die kulturtreibenden Vereine sollen mit 93.450 Euro und das Kino mit 100.000 Euro gefördert werden. Der, so Silke Engler, bewährte Dreiklang zwischen Bereitstellung von Infrastruktur, Gewährung von finanziellen Zuschüssen und der Unterstützung durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadt soll erhalten bleiben, damit Vereine – im Gegensatz zu anderen Kommunen – für die Nutzung von Anlagen keine Mieten zahlen müssen.
Städtisches Eigentum verpflichtet
Rund 90 Gebäude befinden sich im städtischen Eigentum. Es sollen neue Prozesse definiert werden, um die städtische Bausubstanz zu erhalten. 5 Millionen Euro stehen insgesamt zur Verfügung. Große Investitionen, wie die grundhaften Modernisierungen der Max-Riegel- und der Kulturhalle, sind auch 2020 noch nicht vorgesehen, lediglich die notwendigen Ertüchtigungen, die sich aus der Gefahrenverhütungsschau ergeben haben.
Die Versorgung der städtischen Liegenschaften mit Energie (Strom, Gas und Fernwärme) kostet 1,2 Millionen Euro. Eine Sensibilisierung der Nutzer von Sporteinrichtungen soll zum Energiesparen motivieren und die Stadt nimmt teil am Förderprogramm Energiebildung in den Kitas.
Viele Investitionen werden – der Haushaltslage geschuldet – nach wie vor verschoben. Der Endausbau der Baugebiete Weißes Feld und Am Stadtpark ist für die Jahre bis 2023 vorgesehen.
Rahmenbedingungen für ein „gutes Klima“ und gesellschaftlicher Zusammenhalt
Eine positive Stadtentwicklung und ein investitionsfreudiges Klima sollen Baunatal weiterhin auszeichnen. Dazu gehören der Wohnungsbau am Baunsberg, wo das ganze Wohngebiet umgestaltet wird und in der Innenstadt. In Hertingshausen soll eine brachliegende Fläche gestaltet und Gewerbe angesiedelt werden. Landes-Zuwendungen (2,9 Millionen Euro) für das Programm „Soziale Stadt“ (Baunsberg) in einer Höhe von rund 2,9 Millionen werden Investitionen rund 5,2 Millionen Euro auslösen.
Mit dem Programm „Barrierefreies Bauen“ – als Teil gelebter Inklination – wurden bereits knapp 300 Gehwegabsenkungen gebaut, derzeit werden Bushaltestellen barrierefreien gestaltet. 2020 ist der Umbau der beiden Haltestellen am Ratio mit 150.000 Euro eingeplant. Der einzige Behindertenfahrdienst im Landkreis Kassel kostet auch weiterhin 100.000 Euro pro Jahr und soll als freiwillige Aufgabe die die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am gesellschaftlichen Leben ermöglichen.
Personalentwicklung mit Diskurs
Dass bei 446 Personal-Stellen, die 28,2 Millionen Euro Personalkosten verursachen, das höchste Einsparpotenzial im städtischen Stellenplan liegt, ist auch für Haushalts-Laien erkennbar. Rund 141 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sind im Bildungsbereich und 70 im städtischen Bauhof beschäftigt.
Bereits im vergangenen Jahr hat die Stadt mit Veränderungen im Aufgabenspektrum begonnen. Dieser Prozess soll fortgeführt werden und erstreckt sich über nahezu alle Aufgabenbereiche. Die bereits erwähnte „Aufgabenkritik und damit verbundener Stellenabbau sind kein Ausdruck mangelnder Wertschätzung“, betont Silke Engler. Aber jede freiwerdende Stelle wird auf ihre Wiederbesetzung hin untersucht. Zusammen mit der beschlossenen Reorganisation der Stadtwerke und des Rechnungsprüfungsamtes wird das zu weiteren Veränderungen im Stellenplan führen.
Insgesamt sind 26,5 Stellen im Entwurf des Stellenplans mit einem Vermerk versehen worden, wonach diese, bei der Entscheidung, eine Aufgabe gar nicht mehr wahrzunehmen oder anders auszuführen endgültige abgebaut werden können. Gleichzeitig sollen damit aber auch 10 neuen Stellen entstehen, um Nachwuchspersonal an die Stadt zu binden, weil in den nächsten Jahren die sogenannte Generation der Babyboomer in den Ruhestand gehen wird. Zurzeit sei dieses Kennzeichen ein Diskussionsangebot für einen gemeinsamen Diskurs zu einer guten Entscheidung. Erst dann, so Engler, werden die Stellen endgültig im Stellenplan gestrichen.
Baunatal bewegt immer noch mehr als seine Nachbarn
Ziel des heute Abend zu verabschieden Haushaltsentwurfes sei es, in wirtschaftlich schwierigen Zeiten weiterhin politische Akzente zu setzen, die der Fortentwicklung Baunatals dienen, erklärte die Bürgermeisterin. Das Haushaltsvolumen von rund 90 Millionen Euro beweise immer noch deutlich, dass Baunatal mehr bewegen könne als viele Kommunen in der Nachbarschaft. (rs)