72. Landwirtschaftliche Woche in Baunatal
BAUNATAL. Mit viel Sendungsbewusstsein melden sich Hessens Landwirte einmal mehr zu Wort. Immer unmittelbar vor der Grünen Woche (17. bis 26. Januar 2020) treffen sich Nordhessens Bauern zu ihrer Landwirtschaftlichen Woche. Schon zum 72. Mal ist das gerade in Baunatal der Fall.
Zur Eröffnung war auch Hessens Ministerin für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Priska Hinz, in die Stadthalle nach Baunatal gekommen: „Wir müssen uns den großen Herausforderungen stellen, die der Klimawandel, der Artenschwund und die zunehmende Belastung von Wasser und Boden mit sich bringen. Wir müssen schnell, besonnen und wirksam handeln. Gerade die Landwirtschaft ist vom Klimawandel stark betroffen und muss sich gleichzeitig der Herausforderung stellen, die landwirtschaftliche Produktion neu auszurichten. Die Landwirtinnen und Landwirte haben dafür unsere höchste Anerkennung verdient“, sagte Landwirtschaftsministerin Priska Hinz.
Die Bauern fragen
In diesem Jahr werde mit der Erarbeitung einer Strategie für eine nachhaltige Landwirtschaft begonnen, erklärte sie die Strategie für den Dialog mit den Bäuerinnen und Bauern. „Wir werden alle Bäuerinnen und Bauern direkt nach ihrer Meinung fragen“, mit dem Ziel, eine Landwirtschaft zu entwickeln, die Böden, das Klima und unsere Gewässer schont und die Artenvielfalt erhält. Gleichzeitig sollen auch kleine familiengeführte Betriebe eine langfristige Perspektive erhalten. Hierfür möchte ich gemeinsam mit der Landwirtschaft nach zukunftsfähigen Lösungen suchen“, erklärte Ministerin Hinz.
Der Präsident des hessischen Bauernverbandes, Karsten Schmal, beschreibt die aktuellen und langfristigen Folgen und Herausforderungen durch Wetter und Klimawandel aus Sicht der Landwirtschaft. 2019 war erneut relativ trocken, die Getreideernte in Ordnung, die Voraussetzungen für den Winter-Raps schlecht. Der wird aber gebraucht für eine funktionierende Fruchtfolge. Zehn Prozent höher sind die Erträge bei Getreide, wenn zwischendurch Raps angebaut wird. Das erklärte Stephan Arens, Geschäftsführer der Union zur Förderung von Öl und Proteinpflanzen e.V. in seinem Vortrag zum Thema „erkannt für den Klimaschutz – was kann Raps leisten?“
Raps ist nicht das Problem sondern Teil der Lösung
Der Rapsanbau sei besonders durch die Wetterextreme der vergangenen Jahre beeinflusst und die zunehmenden internationalen Handelsstreitigkeiten beeinflussen seine Wettbewerbsfähigkeit. Dabei sei der Rapsanbau nicht nur Betroffener sondern Lösungselement für den Klimaschutz. Die Einsparungen an Treibhausgas-Immissionen durch die Bio-Kraftstoffe der „Ersten Generation“ sind eine tragende Säule der Bemühungen um Reduktion. Ein Schlüssel für ihn ist auch der Einsatz von Neonikotinoiden, die nur im Notfall nach EU-Recht erlaubt sind. Andere Staaten, wie Polen hätten den Notfall erklärt, er Deutschland leider nicht.
Karsten Schmal sieht in der Dünge-Verordnung einen Vertrauensbruch. Verlässlichkeit und Planungssicherheit sei bei teilweise 20-jährigen Zyklen für die Landwirtschaft extrem wichtig. Jetzt wurde zweimal kurzfristig verschärft. Dabei sei eine überbordende Regulierung gerade das größte Problem: „wir wissen nicht, was noch kommt!“ Dabei sieht auch er die Landwirtschaft insgesamt als Teil der Lösung, denn durch Pflanzenwachstum wird CO2 gebunden.
Karsten Schmal: „Miteinander reden statt übereinander“
Demonstrieren sei nicht das wichtigste, aber inzwischen überlegen viele Landwirte, ob sich ihre Arbeit noch lohnt und Sinn macht. In den sechs Jahren seiner aktiven Zeit habe man in Hessen immer miteinander gesprochen und nicht übereinander, kritisiert er die bundes- und europapolitischen Vorgänge. Die Stimmung sei noch nie so schlecht gewesen, auch nicht in der existenzbedrohenden Milchkrise 2015/16. Erschwerend kommt hinzu, dass durch das Mercosur-Abkommen weitere Produkte nach Deutschland kommen, während die heimische Landwirtschaft durch Auflagen abgeschossen werden.
Die landwirtschaftliche Woche, so schmal, werde von guten Referenten geprägt und von guten Angeboten begleitet. Geklärt werden soll auch die Frage, was der Ökolandbau-leisten kann. Auch die Landwirtschaft möchte die Nitrat-Einträge verringern, doch es sei auch ein Problem der Messpunkte. Oft liegen gute Brunnen unmittelbar neben schlechten Brunnen, aber das gesamte Gebiet werde plötzlich Einschränkungen unterworfen. Landwirte seien auch Biotop-Manager, es ginge um viele Kleinbereiche, in denen wenig wächst. Bauern können das, aber die Finanzierung müsse geregelt werden. Landwirte müssen von ihrer Arbeit leben können.
Neue Ansätze zum Erhalt der Artenvielfalt
Zu den wegweisenden Referenten gehörte am ersten Tag auch Professor Dr. Werner Kunz mit interessanten und neuen Lösungsansätzen zum Erhalt der Artenvielfalt. Ein gezieltes Habitat-Management könne das Problem lösen. Die vollständige Nutzung jedes Quadratmeters und perfekte Erntemethoden, die zu einer dichten Bedeckung von Flächen mit Vegetation führen, ließen für Brut und Ernährung vieler Arten nichts mehr übrig. Auch Flächen des Braunkohletagebaus, des Kiesabbaus und auf Truppenübungsplätzen, wo es genug Magerböden gegeben hat, gingen verloren.
Ein Zurück zur Landwirtschaft des Jahres 1900 sei eine unrealistische Illusion, wenngleich die beste Garantie für die Wiederherstellung des verlorenen einstigen Artenreichtums. In Dünge-Verordnungen, mehr Vorschriften und der Errichtung von Ackerrandstreifen erkennt er erhebliche Schreibtisch-Bürokratie, ohne dass dabei eine Verringerung des Artenschwundes sichtbar werde. Tatsächlich kämen viele Arten tatsächlich schnell zurück, wenn Sonder- und Ausgleichsbiotope hergestellt würden. Das sei in wissenschaftlich begleiteten Projekten zur Wiederherstellung von Tagebau-Flächen in Nordrhein-Westfalen belegt worden.
Landwirte können das!
Landwirte haben, so Kunz, das Gerät und können mit ihrem Know-how bei entsprechender Beratung diese Flächen herstellen. Es geht also nur mit und nicht gegen die Landwirtschaft. Die protestierte auch in Baunatal mit Traktoren vor der Stadthalle, um auch optisch auf Probleme aufmerksam zu machen.
Rund 30 Vorträge gehören zum Tagungsteil der Landwirtschaftlichen Woche, fast 20 Informationsstände helfen den Landwirten mit praktischen Angeboten, Beratung und Kompetenzerweiterung. Heute gegen 15:00 Uhr wird die landwirtschaftliche Woche Nordhessen zusammen mit den 27. Kasseler Gartenbautagen zu Ende gehen. (rs)