Modernste Leitstelle in Nordhessen geht Montag in Betrieb
HOMBERG/EFZE. Die Anforderungen an Qualität und Leistungsfähigkeit eines Rettungssystems wachsen. Digitale Technik eröffnet Möglichkeiten, die bisher unbekannt waren. Gestern wurde die neue Leitstelle des Schwalm-Eder-Kreises offiziell in Dienst gestellt, am Montag geht sie ans Netz.
Natürlich kann man mit einem Telefon, einem Funkgerät und einem Rettungswagen auch Menschenleben retten, Kranke versorgen und Hilfe organisieren. Natürlich kann man in einer Leitstelle auch 27 Stadt- und Gemeindepläne rund um eine Kreiskarte anpinnen und mit langer Telefonschnur den Fahrer eines Krankenwagens dirigieren. Seit Erfindung des Mobiltelefons ist vieles leichter geworden und mit Digitalisierung von Landkarten, dem Abruf von Standortdaten, einem Einsatz von Navigationstechnik und der Übertragung von Bildern oder sogar Live-Videos wird alles zunehmend einfacher und Hilfeleistung damit besser.
Feuerwehr-, Rettungsdienst- und Katastrophenschutz-Einsätze
Das nützt nichts, wenn eine Leitstelle und gleichzeitig alle Fahrzeuge und Helfer, die als Notärzte, auf Rettungswagen von DRK, Johannitern oder Maltesern, als Feuerwehrmänner und -frauen in den Feuerwehren, Helfer im Katastrophenschutz, beim DLRG oder THW im Einsatz sind, nicht mit dieser Technik arbeiten können, weil die Geräte 17 Jahre alt sind. Am 27. Juli 2002 wurde die alte Leitstelle in Betrieb genommen, lange vor Erfindung des Smartphones und zu einer Zeit, als mit dem Einscannen von Dokumenten die Krone der Digitalisierung schon erreicht schien.
Wie sehr sich nicht nur die qualitativen Möglichkeiten und Ansprüche, sondern auch die quantitative Inanspruchnahme weiterentwickelt haben, stellte Landrat Winfried Becker am Freitag mit zwei Zahlen klar. Vor mehr als 100 Gästen zur Besichtigung der neuen Leitstelle erinnerte er daran, dass 2002 „nur“ 28.000 Einsätze von der Leitstelle koordiniert wurden, 2018 waren es bereits 43.000 Einsätze, bei steigender Tendenz. Das sind jeden Tag 118 Einsätze, jede Stunde fünf, also alle 12 Minuten ein Anruf oder eine Alarmierung. Deshalb arbeiten, so Becker, 13 Disponenten (zwölf Männer, eine Frau), stets wenigstens zu zweit in der Leitstelle. Die Zeiten, in denen eine Person allein den Aufwand bewältigen konnte, sind vorbei.
Innenminister Peter Beuth: Land Hessen investiert 16 Millionen Euro in 25 Leitstellen
Es wurde in den vergangenen Jahren nicht viel darüber gesprochen, aber die eingesetzte Technik lag zuletzt weit hinter den Möglichkeiten des Fortschritts. Deshalb wurde bereits vor Jahren neu geplant, aber erst über die landesweite Koordination einer vernetzten Organisation, mit leistungsfähiger und vernetzbarer Software, sowie digitalen Geräten, haben das Land Hessen, die Landkreise und kreisfreien Städte jetzt einen Standard entwickelt, der eine Dimension der Hilfeleistung ermöglicht, die vor 17 Jahren bestenfalls Rettungsdienst-Science-Fiction gewesen wären. Drei Kreis Brandinspektoren waren nacheinander in Planung und Ausführung involviert.
Nach und nach, so Innenminister Peter Beuth beim symbolischen Drücken des „Roten Knopfes“ in der neuen Leitstelle in Homberg/Efze, werden 25 Leitstellen in Hessen mit einem einheitlichen Standard ausgestattet. „Das leisten wir uns gemeinsam“, so der Innenminister im Behördenzentrum, wo die alte und die neue Leitstelle arbeiten: „Wir haben ins Gesetz geschrieben, dass wir innerhalb von 10 Minuten helfen!“ Selbst in Deutschland, erinnert Beuth, ist das nicht überall ein Versprechen und es ist manchmal eben auch teuer.
Im Prinzip geht alles…
In einer Live-Vorführung und Schaltungen in das Polizeipräsidium Nordhessen, zur Autobahnpolizei nach Baunatal, präsentierten Uwe Wunsch (stellvertretender Fachbereichsleiter) und der Chef der Leitstelle, Peter Hoos, was alles möglich ist. Schon kurz nach einem Anruf ist der Unfall- oder Einsatzort nicht nur erfasst, sondern die Position auf der Karte sichtbar. Diese kann auf einer Projektionsfläche auch für größere Einsätze sichtbar gemacht werden. Müssen verschiedene Dienststellen hinzugezogen werden, so ist dies über eine Konferenzschaltung jederzeit in Echtzeit-Qualität möglich. Kaum ein ruckelndes Bild und kaum eine Zeitverzögerung behindern die Kommunikation. In der Datenbank ist alles erfasst, was zur Organisation eine Hilfeleistung nötig ist.
Alarmiert wird grundsätzlich georeferenziert. Heißt: wer am nächsten dran ist, muss helfen und auch dabei weiß das System, wer das ist. Ob Rettungs- oder Feuerwehrwagen, die Daten werden in das Fahrzeug übertragen und die Navigation auf dem schnellsten Weg ist für die Fahrzeugbesatzung sofort verfügbar. Um Situationen und Einsatzorte zu erfassen, ist das Einspielen von Bildern und Videos von jedem Standard-Smartphone möglich. Es bedarf also keiner speziellen Technik, es war sogar wichtig, Geräte einbinden zu können, die verfügbar sind und keine speziellen Neu-Entwicklungen.
Vernetzung per Mausklick
Aber nicht nur das, auch Leitstellen untereinander können vernetzt werden. Kann eine Leitstelle einen Notruf nicht entgegennehmen, springt eine andere ein. Erfordert eine Situation die Zusammenarbeit mehrerer Leitstellen, ist dies jetzt ohne Probleme möglich. Auf diese Weise können auch Transporte in andere Bereiche und gegenseitige Hilfe per Mausklick koordiniert werden. Dabei können sich die Partner immer auch gegenseitig sehen.
Für die neue Kreisbrandinspektorin Tanja Dittmar war es, wie sie selbst sagte, nur ein „Abstaubertor“, die neue Leitstelle jetzt mit in Betrieb nehmen zu dürfen, was die Freude nicht schmälert, jetzt die modernste Technik in Hessen zur Verfügung zu haben. Nur die Leitstelle in Darmstadt-Dieburg wurde zuvor nach dem gleichen Standard errichtet. In Nordhessen ist die Homberger Leitstelle jetzt die modernste. über 5.000 Feuerwehrleute im Landkreis koordiniert sie bei Einsätzen. In 2018 gab es 1.855 Feuerwehreinsätze (487 Brände), 21.882 Einsätze für Rettungstransportwagen, 6.419 Notarzteinsätze und 13.075 Krankentransporte.
1,3 Millionen Euro vom Kreis
Die handelnden Personen stellten klar, dass es keinen Sinn ergeben hätte, innerhalb der alten Leitstelle neue Technik zu implementieren. Für 1,3 Millionen Euro ist ein neues Gebäude mit 328 Quadratmetern Fläche im Homberger Behördenzentrum entstanden, 400.000 Euro hat die Technik gekostet. Diesen Betrag hat das Land übernommen.
Zunächst arbeitet die Leitstelle ab Montag mit der Grund-Software, die dann – landesweit koordiniert – erweitert wird.
Unter den Gästen waren nicht nur die Repräsentanten der Feuerwehren, Polizei und Rettungsorganisationen, die Bürgermeister fast aller Kommunen im Landkreis, sondern auch eine Delegation aus dem polnischen Partnerbezirk Pila. (rs)
Das Bild: Michael Kreutzmann, Winfried Becker, Tanja Dittmar, Peter Beuth und Jürgen Kaufmann drücken den Roten Knopf © Foto: Rainer Sander