Er war ein Typ! Ein Charakter! Er war unverwechselbar und einzigartig in seiner Art. Heute Morgen ist Dr. Walter Lübcke verstorben und jetzt, da er nicht mehr unter uns ist, entsteht unweigerlich das Gefühl, einer der letzten seines Stammes sei gegangen.
Eine Karriere im diplomatischen Dienst wäre für Dr. Walter Lübcke nichts gewesen. Auch wenn er Kompromisse schließen konnte: er war nicht der, der sich Zugeständnisse „erkauft“ hätte. Dazu war der – Edertaler (in Bad Wildungen 1953 geboren) zu sehr geradeaus. Der Mann klarer – und gerne unverblümter – Worte, stand außerdem zu allem, was er sagte. Rückzieher passten nicht zu ihm und Erklärungen musste er zu eigenen Worten nicht abgeben, denn er sagte nie etwas, was er hätte bereuen müssen.
Fast genau auf den Tag vor 10 Jahren, als er am 20. Mai 2009 das Amt als Regierungspräsident antrat, waren es vor allem in der eigenen Partei, der CDU, viele, die ihm den Job nicht zutrauten. Es war nicht der Jurist oder Verwaltungsfachmann, dem die Leitung einer Behörde in die Wiege gelegt wurde. Er war Wirtschaftswissenschaftler und am Ende hat er den Job souveräner und selbstverständlicher erledigt, als viele seiner Vorgänger.
Dabei war Dr. Walter Lübcke überhaupt nicht der Typ Politiker, wie er heute gefragt ist. Genau deshalb werden wir ihn vermissen! Heute suchen wir den den stets kontrollierten Politiker-Typ: sachlich, keine Emotionen, keine erkennbaren Ansprüche, gelebte Bescheidenheit und nie einen Fehler gemacht oder Jugendstreich begangen, den man ihm irgendwann einmal vorwerfen könnte. Dr. Walter Lübcke war emotional und vor allem herzlich. Er war in der Schule nicht der Streber, der niemanden abschreiben ließ. Eher der Kumpel zum Pferdestehlen.
nh24 hat er seine Geschichte hinter den Kulissen einmal so erzählt, dass es ihn in der Jugend eher ins Kirmeszelt gezogen hat. Mit Freunden gesellig zu sein und die dörfliche Gemeinschaft genießen, das hat ihm seine Bodenständigkeit erhalten. Die 68er haben ihn deshalb auch nicht angesprochen. Aber verstehen wollte er sie irgendwann. Er war stolz darauf, die Schule mit der Hauptschule abzuschließen. Das hat gereicht! Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Alles, was danach kam, wurde auf dem zweiten Bildungsweg erarbeitet, zum Teil neben dem Beruf, bis zur Promotion über Sozialismus zwischen Utopie und Pragmatismus.
Mit Pragmatismus, mit Weitsicht und vor allem Menschlichkeit hat er das Regierungspräsidium geformt. Die noch vor Jahren umstrittene Behörde, die viele am liebsten abschaffen wollten, ist inzwischen außerhalb jeder Kritik. Hinter der manchmal scheinbar schnodderig wirkenden Art, glänzten immer Wissen und Sachverstand. Und keine Rede oder Grußwort gab es ohne einen Schuss Humor zu hören. Weil ihm Spaß gemacht hat, was er tat und mit all den apokalyptischen Szenarien vieler anderer Berufsbeamten und Politiker hatte Lübcke nichts am Hut. Er war immer in der Gegenwart verwurzelt und hat hier Probleme gelöst. Auf alles was kam, war er dennoch stets gut vorbereitet. Aber das sind Menschen im Hier und Jetzt eigentlich immer.
Dr. Walter Lübcke hat sich für nichts geschämt, aber er hat auch nichts getan, wofür man sich schämen müsste. Auch nicht, als in Lohfelden bei einer öffentlichen Veranstaltung im Bürgerhaus zur Eröffnung einer Flüchtlingseinrichtung Kritik an der Unterbringung von Flüchtlingen aufkam und er denen, die nur vorgeben abendländisch-christliche Werte zu verteidigen, die Kompromisslosigkeit in der Einhaltung dieser Werte mit deutlichen Worten erklärte: Wer in diesem Deutschland nicht sein wolle, könne auch gehen, sagte er sinngemäß. Und er nahm nichts davon zurück!
Wenn so jemand vor Petrus tritt, dann stellt man sich das auf Augenhöhe vor. Es könnte sein, dass da oben heute Morgen jemand angekommen ist, der den Engeln etwas mehr Gelassenheit beibringt. Wie auf Erden auch…
Rainer Sander