SCHWALMSTADT. Politiker aller politischen Farben haben sich mehr oder weniger schlau zum Thema Soziale Sicherheit geäußert. Kurt Beck (SPD) sagte zu einem Arbeitslosen: „Wenn Sie sich waschen und rasieren, haben Sie in drei Wochen einen Job.“
Peter Tauber (CDU) verkündete vor nicht langer Zeit in ähnlichem Kontext: „Wenn Sie was Ordentliches gelernt haben, dann brauchen Sie keine drei Minijobs.“ Der neue Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) stellte für alle, die sich daran nicht halten, fest: „Hartz IV ist nicht Armut, sondern ist die Antwort unserer Solidargemeinschaft auf Armut“.
Zu allem können wir aufschreien und in allem steckt dennoch auch viel Wahrheit: Gut rasiert bekommt man bessere Jobs, Bildung und Flexibilität sind der beste Schutz vor Arbeitslosigkeit und nach wie vor gibt es einen breiten Konsens, dass in Deutschland das Existenzminimum abgesichert sein muss, aber nicht mehr, denn Arbeit soll sich lohnen, auch wenn sie schlecht bezahlt wird.
Dann stellt sich die Frage: „Wer ist arm, wer nicht, und wer legt das eigentlich fest?“ Die viel gescholtene EU erkennt „relativ“ arme Menschen in denen, die weniger als die Hälfte des Durchschnittseinkommens ihres Landes zur Verfügung haben. In Deutschland sind das 886 Euro netto pro Person und das betrifft etwa 8 Millionen Menschen. In Rumänien ist man erst ab etwa 75 Euro pro Person arm. Als absolut arm gilt man weltweit bei weniger als 1,90 Dollar am Tag, das sind ungefähr 47 Euro im Monat und es betrifft fast eine Milliarde Menschen weltweit, laut UNO über 10 Prozent der Weltbevölkerung, in Deutschland aber praktisch niemanden.
Wenn ein Minister Spahn sagt, dass man mit Hartz IV noch nicht arm ist, hat er irgendwie recht. Aber viele Deutschen fühlen sich so, weil sie sich vieles mit dem Regelsatz von 416 Euro plus Miete, Heizung und Zuschlägen für Kinder nicht leisten können. Dafür war das Arbeitslosengeld 2 aber auch nicht gedacht. Es sollte weniger sein, als bei geringen Einkommen, damit sich Arbeit noch lohnt. Viele Menschen haben damit ein Problem. Wer so wenig hat, darf zu den Tafeln gehen, die nicht vom Staat organisiert werden und ehrenamtlich organisiert, Lebensmittelreste mit ablaufendem Haltbarkeitsdatum verteilen. Das kommt zusätzlich und ist nicht im ALG 2 eingepreist.
Ob es nun schlauer ist, Hartz IV zu erhöhen, anstatt dafür zu sorgen, dass die Empfänger der Transferleistung weniger werden? Die Bürokratie verhindert gerne kreative Lösungen. Ab einem bestimmten Alter darf zum Beispiel Bildung nicht mehr finanziert werden, aber bis zur Rente gibt es dann noch ALG 2. Das ist nicht logisch. Wer ein bisschen schwarz arbeitet, kommt auch mit Hartz IV gut über die Runden und das sind nicht wenige. Nach vielen Bezugsjahren haben sich eine Menge Menschen außerdem mit ihrer Situation abgefunden und wollen gar nichts anderes mehr. Daran muss sich die Gesellschaft gewöhnen oder den Leistungsbezug unbequemer machen.
Selbständige mit 1000 Euro Gewinn rutschen unverschuldet in Hartz IV, weil sie nicht – wie ein Arbeitnehmer – 14,6 Prozent vom tatsächlichen Einkommen in die Krankenkasse einzahlen, sondern zur Berechnung ein Mindesteinkommen in Höhe von 2.283,75 EUR zugrunde gelegt wird. Statt 146 Euro, werden daher 333 Euro plus Zusatzbeiztrag fällig. Fast 200 Euro mehr als bei einem Arbeitnehmer, die in vielen Fällen über Hartz IV oder nicht entscheiden können.
Jetzt kommt aus der Hauptstadt Berlin wieder einmal der Vorschlag, statt ALG 2 lieber gemeinnützige und sozialversicherungspflichtige Arbeit zu schaffen. Damit stehen vermutlich lebhafte Diskussionen über Zwangsarbeit an…
Ihr
Rainer Sander
9 Kommentare
Der schlimmste Fehler bei Hartz 4 waren und sind nicht die Sätze, sondern dass alle in einen Topf geworfen werden. Das macht die Beurteilung schwer. Es gibt die, die arbeiten wollen und aus den verschiedensten Gründen nichts bekommen und die, die aus den unterschiedlichsten Gründen nicht zu vermitteln sind und es gibt eben die, die selbst niemals dazu beitragen diesen Zustand zu ändern und genau die schreien am lautesten und sind mittlerweilin alllen Medien vertreten.
Egal welcher Politiker sich äußert, er wird in der Luft zerrissen und da hat Herr Sander völlig Recht. Es gibt Dinge die müssen angesprochen werden. Gerade bei der Aussage von J.Spahn war deutlich auch der Einfluss aller Medien zu erkennen. Da werden Geschichten über Armut verbreitet,die bei genauem Hinsehen nahezu lächerlich sind. Meist werden die „armen“ Kinder dazu benutzt. Da sitzen Frauen seit 5 Jahren z.B. als Hauswirtschafterin zu Hause, weil sie angeblich keine Betreuung für ihre Kinder haben. Kinder die schon lange zur Schule/ KG gehen. Oft sind die Wohnung,die gezeigt werden mit allem vollgestopft, was der Markt hergibt, von Flachbildschirm bis Kaffeepadmaschinen.Die Kinderzimmer quellen über mit Plasitkspielzeugmüll. Aber es wird geklagt, was das Zeug hergibt. Da schwillt mir der Hals und ich weiß, das sind keine Einzelfälle.
@ Heinz B; Das ist nicht weltfremd, das ist durchaus möglich, wenn man davon ausgeht, dass außer den alten Parteien bis 1970 das unmöglich war, so ist es heute anders. Es ist durchaus möglich von Newcomer in vier Jahren in den BT zu gelangen. In den Ländern ist es noch schneller möglich wenn man in einer Legislatur sich Ansehen in einer Partei verschafft ist das machbar, ohne in einer radikalen Partei zu sein. Das alle AfD Abgeordneten neu sind ist ja nicht die Regel in jedem BT, aber es ist machbar auch in der CDU/CSU und der SPD nur schwieriger.
@schwälmer
Ihr Ausspruch „jeder könnte dort oben sitzen“ halte ich für sehr weltfremd.
Schön wäre es wenn alle die gleichen Bildungsbedingungen in unseren Land hätten, die Realität sieht anders aus.
Beck hat sich nicht über unrasierte Männer mokiert, sondern über das ungepflegte Aussehen. Doch das gehört nun mal zu einem vernünftigen Job. Hartz IV ist gedacht, um Arbeitsunwillige zur Arbeit zu bringen.
Das es oft zu prikären Arbeitsverhältnissen führt liegt eher an der Qualifikation der Mitarbeiter in Jobcentern, die ohne Phantasie mit den Kunden umgehen. Man kann einen arbeitslosen Optiker nicht in einen Schlachthof vermitteln, der grade einen freien Job anbietet. Hartz IV war ein Fehler, der korrigiert werden muss. So wie vieles in der Agenda 2010 übertrieben wurde, die ganzen Kürzungen der Sozialversorgung führt beid en ärmeren Bevölkerungsschichten zu gesundheitlichen Schäden, die noch durch das ungerechte Steuersystem verstärkt werden.
so mancher gut ausgebildeter hochsulabsolvent hangelt sich von einem praktikum zum anderen durch.
selbstverständlich frisch gewaschen und auch rasiert.
die politiker haben alle immer gut reden.
leben vollkommen weltfremd in ihrem elfenbein turm.
Es ist etwas zu leicht denen da oben die Verantwortung zu übergeben und immer wieder zu sagen, die sitzen ja im Trockenen und sind versorgt. Jeder ist seiens Glückes Schmied, jeder könnte dort sitzen, wenn er sich für die Politik entscheidet, hat aber kaum einer getan, weil es schwer ist dort oben hin zu kommen. Wenn ein Politiker sich zu einem einzelnen Mann und dessen Äußeren sich mokiert, dann muss man das nicht dramatisieren, denn es ist etas wahres daran, dass man mit seriösem Aussehen eher Chancen hat als gammelig daherzukommen. Genauso machte man einem Politker den Vorwurf, dass Behinderte schlechte Chancen am Arbeitsmarkt haben. Das stimmt zwar, hat aber mit der beeinflussbaren Politik wenig zu tun. Denn ob ein Unternehmen einen Behinderten einstellt, entscheidet das Unternehmen und nicht die Politik. Ich bin selber schwerbehindert und habe da meine Erfahrungen gemacht. Ich finde es schlimmer, wenn ein Behinderter von amtswegen eine Förderung versagt wird und er auf Grundsicherung angewiesen bleibt. Das ist ein Skandal, dass Menschen, die bedingt arbeiten können und vor allem wollen, die Möglichkeit überhaupt nicht geboten wird. Ein Freund ist schwerst behindert und muss von Grundsicherung leben, weil er weder von der Arbeitsagentur noch von der Rentenversicherung entsprechend gefördert wird. Beide Sozialeinrichtungen streiten sich seit Jahren wer für ihn zuständig ist. Opfer ist der Behinderte, weil es einfach keine Lösung gibt. Das ist asozial, was der Apperat dort betreibt.
Es ist ja schön und gut, das die netten Herren 🚹 aus berlin , vorschlagen, das kann sich Rasieren und Waschen soll, um einen Job zu bekommen.
Nur was ist mit denen, die eine gute Ausbildung, Rasiert und Gewaschen sind und durch einen Arbeitsunfall nicht mehr richtig laufen können und deswegen keine, oder nur schwer, wieder Arbeit bekommen?
Die Damen und Herren da oben, machen es sich sehr leicht mit ihren Aussagen. Sie haben ja ihre Schäfchen im trockenen
In Deutschland wird es immer schlimmer
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