
Rock me Amadeus © Foto: Rainer Sander
Falco, Markus, UKW und Geier Sturzflug über Dich!
BORKEN. Einst war es ein Kulturstreit. Von Popkultur war noch keine Rede, vielmehr prallte nach der Beat-Musik-Ära die Disco Welle auf die Welt der „Progressiven Musik“, der Rockmusik. Mitten in diese jugendkulturelle Spaltung platze Ende der 70er, geprägt auch durch Bombast-Rock Supergroups, der minimalistische, „dreckige“ Punk und in seinem Sog die Neue Deutsche Welle – NDW.
Da ging eine Menge. Die Grenzen verschwammen, neue Genres entstanden und der Mut, es einfach anders zu machen, verrückt und schräg zu sein, wurde plötzlich mit Ruhm belohnt. In den beiden (!) Borken-Nassenerfurther Diskos – Speakeasy/Rock und Capriccio/Disco – wurden plötzlich die gleichen Titel gespielt und Dieter Thomas Hecks Hitparade, die den Daten von Media-Control folgte, wurde ein ums andere Mal auf harte Proben gestellt. Das war alles Deutsch, aber kein Schlager – oder doch?

Irgendwie, irgendwo irgendwann … Liebe wir aus Mut gemacht
Die fröhliche Ska-Musik von Geier Sturzflug war gewiss kein Schlager und als Friedel Geratsch mit Reinhard Baierle als Straßenmusiker unter dem Namen Dicke Lippe unter anderem für die „taz“ gesungen haben, hätte ihr „Bruttosozialprodukt“, erschienen beim links-alternativen Trikont-Verlag, den Weg zu Dieter Thomas Heck gewiss nicht gefunden. Der war not amused, als Geratsch und Baierle mit ihrer Band das Lied im NDW-Sog bei der etablierten Ariola neu eingespielt hatten und live vor einem Millionenpublikum nicht „Mittwoch kommt die Müllabfuhr und holt den ganzen Plunder“, sondern „holt sich einen runter“ sangen. Wie haben sie’s eigentlich Samstagabend gesungen?

Irgendwie sind sie sich bis heute treu geblieben. Sie haben auch dazwischen nie was anderes gemacht: „Besuchen Sie Europa, solange es noch steht!“ Politrock, der ohne Zeigefinger und Agitprop gar nicht als solcher auffällt. Auch Markus hat immer noch den gleichen Spaß wie in den 80ern, ob mit Sternenhimmel oder kleiner Taschenlampe, der süße Kerl von nebenan ist immer noch unheimlich sympathisch in dem, was er macht. Er ist so grundehrlich einfach Markus. Vor über 40 Jahren hat Markus Mörl gemeinsam mit Nena Kerner „Kleine Taschenlampe“ gesungen, Samstagabend zusammen mit Ehefrau Yvonne König „Irgendwie, irgendwo, irgendwann“. Er kann auch mal das Playback weglassen und mit der akustischen Gitarre Spaß haben! Der Sprit kostet inzwischen nicht nur mehr als 3 Mark zehn, das Parken am Singliser See sogar 10 Euro. Da muss man den See schon richtig lieben …
Hans Albers zu Gast
Zum Auftakt des NDW-Abends war Profi-Zappelphilipp Peter Hubert der „karge Rest“ von UKW – immer noch verschossen in die Sommersprossen. Tina in Lima hat er einst besungen und Tina ist noch immer – seit 53 Jahren – seine Lebensgefährtin. „Flieger, grüß mir die Sonne“ war der erste NDW-Hit. Von Hans Albers im Original. NDW hält jung und gesund. Hüpfen geht mit 70 noch, scheinbar ohne die geringste Spur von Knie-Arthrose .. Auch er singt fremd mit dem Skandal im Sperrbezirk und auch wer war einst politisch unterwegs. „Matrosen wollen jetzt von Bord“, sangen UKW während des kurzen Falkland-Krieges.

Auf den eisgekühlten Bommerlunder mit Schinken und mit Ei folgte dann Falco. Nein, er ist nicht wie seine Jeannie wieder auferstanden. Aber Alexander Kerbst springt gerne ein und erzählt, außer dass er ziemlich gut so singen und performen kann wie das Original, aus dem Leben von Falco und die Geschichten hinter den vielen Geschichten. Der Kommissar geht immer noch um und Vienna ist still Calling. „Rock me Amadeus“ war Nr 1 in den USA und stand auch im Borkener Stadtpark ganz vorne an. Dazu der Skandal um Jeannie mit der Auflösung „Coming Home“! War er der „Egoist“? Und sein Tod? Unfall, Mord, Selbstmord? Legenden enden immer legendär oder nie. Schließlich sein eigenes Vermächtnis post mortem: „Out of The Dark“ – Muss ich erst sterben, um zu leben …!“
Völlig losgelöst …
Tod ist die (Neue) Deutsche Welle nicht. So richtig lebendig aber auch nicht mehr. Die Show beim Borkener Stadtparkfest war so etwas wie ein multimediales Open Air Museum: The Art of NDW! Es waren auch die gekommen, die das damals doof fanden. Nicht mitbekommen hat es niemand und selbst die Borkener Jugend war in mehrfacher Mannschaftsstärke vor der Bühne zu finden. Bis zum gemeinsamen Finale mit der puren Lust am Leben und dem König von Deutschland. Rio Reiser hat dazu geschmunzelt. Haben wir von Major Tom gehört … (rainer sander)

