
© Foto: Tino Basoukos
FRIELENDORF. Gerade geht der „Tag des Lokaljournalismus“ zu Ende. Haben Sie’s mitbekommen? Nein? Sehen Sie – das ist der Witz. Früher hätte man das noch gewusst. Da haben wir es nämlich in der Zeitung gelesen. Also in der gedruckten. Auf Papier. Schwarz auf weiß. Da, wo es nach Druckerschwärze roch und die „Redakteurenden“ noch wussten, wie man ein Komma setzt, ohne vorher ChatGPT zu fragen. Die schreiben das immer gerne, weil es die Illusion noch ein wenig aufrechterhält …
Heute? Also heute ist Tag des Lokaljournalismus und für kaum jemanden hat’s eine Bedeutung. Ok, es ist auch das erste Mal. Konnten Sie gar nicht wissen … Wenn etwas seit 1650 existiert, aber erst 2025 – zum 375. Geburtstag – seinen Namenstag bekommt, dann stimmt etwas nicht. ok … Redaktionen sind ausgedünnt wie das Haar des Chefredakteurs kurz vor der Frühverrentung. Die Leser haben sich verabschiedet, weil der Ortsteil nicht mehr vorkommt und die meisten Nachrichten nichts koste. Wir spielen da gerne mit. Und wenn doch, dann mit einer irreführenden Überschrift, die scheinbar den Weltuntergang verkündet, selbst wenn es nur um einen blinden Alarm, die Fehlfunktion einer Brandmeldeanlage geht. Dabei sind die meisten Blaulichtmeldungen gleich, weil sie nur von den Polizeimeldungen abgeschrieben werden.
Von der vierten Gewalt zur fünften Kolonne der Klickzahlen
Der Lokaljournalismus war mal die vierte Gewalt. Presse- und PR-Texte hatten für ausgebildete Journalisten den Status einer Majestätsbeleidigung. Heute lautet die häufigste Frage der Reporter und Redakteure: „Können Sie etwas schicken, mit Bild in hoher Auflösung?“ Damit ist er bestenfalls noch der fünfte Reiter der Apokalypse, direkt nach Inflation, Digitalisierung, Genderdebatte und Parkplatzmangel. Während früher investigative Lokalreporter durch Ausschusssitzungen krochen und sich durch Bebauungspläne quälten, sitzt heute ein Volontär in der Zentralredaktion 80 Kilometer entfernt und kopiert die Pressemitteilung der Stadtverwaltung direkt in den Redaktionsmanager – ohne die Großbuchstaben zu kontrollieren und Trennstriche, die beim Konvertieren aus nervigen PDFs übernommen werden.
Warum? Weil’s keiner mehr liest. Oder weil’s keiner mehr lesen will? Die Antwort liegt irgendwo zwischen Netflix, TikTok und WhatsApp-Statusmeldungen.
Welcome to America – oder: Wenn keiner mehr kommt
Ein Blick über den großen Teich zeigt, wohin die Reise geht. Und das hat nichts mit Trump zu tun. Aber es hat ihn vielleicht ermöglicht, wenn man denn mehr als eine Erklärung sucht. In den USA verschwinden Lokalzeitungen im Wochentakt – im wahrsten Sinne. 2,5 Blätter pro Woche gehen aktuell ein. Sie sterben still, wie ein Ertrinkender.
In Salt Lake City, Pittsburgh oder New Orleans? Keine gedruckte Zeitung mehr. Nichts. Nada. Null. Die Menschen dort leben in einem medialen Niemandsland. Selbst wenn sie wollten, könnten rund ein Drittel der Amerikaner keine Lokalzeitung mehr abonnieren – es gibt schlicht keine mehr. Und wir? Wir kommen nach. Mit etwa sechs Jahren Verspätung – für gewöhnlich. Aber der ICE der Medienverödung fährt sogar in Deutschland pünktlich. In Ostthüringen (Landkreis Greiz) und Brandenburg (Prignitz) ist der Tag der Zeitung längst Geschichte. Und zwar nicht nur, weil Montag ist – sondern für immer.
Print stirbt, online schrumpft – alles wird dünn
Auffällig ist: Nicht nur die Zeitungen werden dünner, sondern auch die Online-Angebote. Zwar glitzern noch die Banner, aber hinter vielen Portalen steckt nur noch eine Handvoll Menschen, die versuchen, per Algorithmus das Klickbare vom Relevanten zu trennen. Relevanz verliert meist. Der Nachrichtenfluss versiegt, der Lokalteil ist ein Tropfen auf dem heißen Server. Und selbst die TAZ – DIE TAGESZEITUNG – hat’s eingesehen: Ab Herbst 2025 kommt sie nur noch am Wochenende aus dem Druck. Der Rest? Digital oder gar nicht. Mit dem Eingehen der Zeitung stirbt die Online-Zeitung als PDF oder E-Paper gleich mit. Wer sollte das noch layouten – und wofür – wenn es nicht mehr als Druckvorlage gebraucht wird?
Das Dilemma der drei Säulen – und der vierten, die nicht kippt
Früher trug sich eine Zeitung durch zwei Dinge: Abonnenten und Inserenten. Bein Anzeigen-Zeitungen vor allem Inserenten. Nachrichten dürfen nicht kosten, weshalb die Abonnenten davonlaufen. Wenn in einer durchschnittlichen Kleinstadt von einst fünf Schuhhändlern nur noch einer übrig geblieben ist, hat er nur noch Zalando und ein bisschen Amazon oder baur als Konkurrenten. Oder TEMU? Also er oder Online! Das ist eine Mentalitätsfrage, die sich kaum noch durch klassische Inserate beeinflussen lässt. Und Handwerker brauchen alles, nur keine neuen Kunden, für deren Aufträge sie keine Fachkräfte mehr haben. Also wirbt niemand mehr …
Redaktion, Druck, Verteilung kosten. Aber heute trägt sich gar nichts mehr. Die Redaktion spart man zuerst weg – ein paar Zeilen gehen immer, Lokalausgaben werde zusammengelegt. Denn geduckt werden muss immer. Dann hofft man, dass Druckereien billiger werden – Spoiler: werden sie nicht. Und am Ende bleibt die Verteilung: Da klingelt kein Algorithmus an der Tür. Da braucht man echte Menschen mit echten Füßen. Und die kosten. Immer. Entscheidend: Die Strecke wird nicht kürzer, selbst wenn zwischendurch immer mehr Briefkästen wegfallen. Es wird nicht billiger Und ohne Verteilung? Kein Print. Keine Veröffentlichung. Kein Geld.
Zwischen Omma und App – die hybride Hoffnung
Und nun? Hoffnung auf Rettung durch eine App? Vielleicht. Auf kommunalen Webseiten, mit Push-Nachrichten, barrierefreiem PDF und einem Veranstaltungskalender. Der Müllkalender wird dann zum Maßstab aller Dinge.
Da hängt was zusammen: Wenn der Lokaljournalismus stirbt, stirbt nicht nur die Zeitung. Dann stirbt auch das Gespräch. Der Dialog. Die Nähe. Die Demokratie. Weil keiner mehr weiß, was da draußen im Ort eigentlich los ist. Und vor allem: Plötzlich ist alles wahr, aber nichts mehr echt …
Und wir? Ok, wir haben’s noch gut getroffen … !
Ihr
Rainer Sander

1 Kommentar
Eine sehr gute und leider absolut richtige und ebenso erschreckende Analyse. Aber wie sollen nun mündige Gesellschaften entstehen, wenn es keine authentische Darstellung der Gegebenheiten mehr gibt? Und die Parteien, die einst aus einem gesellschaftlichen Anliegen heraus entstanden sind, haben jenes aus den Augen verloren und verstehen das Geschehen offenbar nur noch als Wählerstimmen-Sport… Oh weia!
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