
Baunatals Fachwerkaltstadt © Foto: Rainer Sander/ Nancy O'Flanagan – Bearb. Anita Fleckenstein | nh
Alternative zum Bauna-Center kostet einen Cent
BAUNATAL. Mit einem echten Paukenschlag ging die gestrige Sitzung der Stadtverordnetenversammlung in Baunatal um 23:20 Uhr zu Ende. Nach wochenlangem Streit um die Bebauung der bisherigen Fläche des Parkhauses am Europaplatz kommt eine überraschende Alternativ-Lösung in historischer Dimension ohne Parkplätze und ohne Discountläden.
Seit der Stadtgründung schon quält Baunatal seine geschichtslose Vergangenheit. Neidisch blicken die VW-Städter auf die schönen Altstädte von Wolfhagen und Hofgeismar, die Fachwerk-Ensembles in Melsungen, Fritzlar und Homberg oder den Festungsbereich in Ziegenhain. In wenigen Monaten hat Baunatal auch geschichtlich die Nase vorn. Die Stadt bekommt endlich ihre Fachwerk-Altstadt und ein Schloss.
Bückeburger Schloss und frühere Kasseler Altstadt in Baunatal?
Als Stadtverordnetenvorsteher Reiner Heine verkündete, dass es einen konkurrierenden Antrag zum Bauna-Center gibt, war vielen die Dimension noch nicht klar. Der Magistrat bat um Zustimmung für ein ungewöhnliches Projekt, nämlich den Bau einer Fachwerk-Zeile, eines Schlosses und weiterer Gebäude nach historischen Vorbildern. Das Projekt hat eine Nachhaltigkeitsdimension, die kaum zu überbieten ist. Alle Gebäude existieren bereits und müssen nur – fertig gebaut – über den Seeweg nach Deutschland kommen. Die Geschichte ist abenteuerlich:
1989 wurde nahe der japanischen Großstadt Obihiro (etwa so groß wie Kassel) ein außergewöhnlicher Freizeitpark eröffnet. Die Deutsche Märchenstraße stand Pate und ein Investor realisierte den Märchen- und Grimm-verliebten oder besser -verrückten Japanern den Traum von einem Märchenpark auf der Nordinsel Hokkaido. Karussell und Riesenrad, vor allem aber die (nord)hessischen Märchenfiguren waren die Attraktionen der japanischen Phantasialand-Variante. Aufgebaut wurden dort unter anderem das Rathaus von Hanau, das Haus des Kasseler Kurfürsten Maximilian, das Schlosshotel von Bückeburg mit seinem beeindruckenden Zeremoniensaal und einer Fachwerkzeile der früheren Kasseler Fachwerk-Altstadt.
Deutsches Glücks Königreich in Japan letztlich gescheitert
Einer der „Baumeister“ war der inzwischen verstorbene Gudensberger Künstler Josef Mertin, der als Ruheständler ins Land des Lächelns zog und sogar im hohen Alter noch Japanisch lernte. Die Schwälmer Brauchtumspflegerin Anneliese Heipel weilte mehrmals mit Mitgliedern einer Schwälmer Trachtengruppe im Glücks Königreich in Obihiro. Schwälmer Bäcker sorgten für passende Brot-Rezepte und den Kuchen in Rotkäppchens Korb. Die Wasenberger Fleischerei Schlein lieferte Stracke und Runde nach Japan.

Das war wohl Teil des Problems. Alles sollte originalgetreu sein. Nicht einmal das Kopfsteinpflaster kam aus Asien, sondern wurde aus Deutschland mit Schiffen in den Norden Japans transportiert. Schwälmer Basalt gibt nicht nur den 7000-Beuys-Eichen halt, sondern bringt auch japanische Stöckelschuhe zum Wackeln …
Vom Glück verlassen bekommen Gebäude ein zweites Leben
2007 wurde das Glücks-Königreich endgültig geschlossen, weil es nicht mehr wirtschaftlich zu führen war. Seit 18 Jahren liegt der Freizeitpark brach und wird nicht mehr genutzt. Ein deutscher Lost Place im fernen Japan. Nun ist das Überleben garantiert. Baunatal kauft die ganze Bausubstanz für einen symbolischen Yen. Das ist nach aktuellem Wechselkurs nicht einmal ein Cent (0,006 Euro). Nach Vorstellungen des Bauamtes werden die schönsten Gebäude fachmännisch abgebrochen, die Teile in Containern verschifft, kommen über die Weser nach Kassel und werden in der Baunataler City zu neuem Leben erwachen. Das soll über Spenden und Zuschüsse finanziert werden. Stadtmarketing und Wirtschaftsgemeinschaft signalisieren Unterstützung.

Ein Neubau nach heutigen Standards wäre wesentlich teurer. Es fallen beispielsweise keinerlei Planungskosten an. Die Wohnungen sind dank der Nachfrage praktisch bereits vermietet. Der Zeremoniensaal im zukünftigen Baunataler Schloss wird die Stadthalle stilvoll ersetzen.
Lost Place für Baunatal
- „Da kommt die Stadthalle in Kassel bei weitem nicht mit“, freut sich Bürgermeister Henry Richter, der von dem spontanen Vorstoß völlig überrascht wurde und jetzt die schnelle Umsetzung seines touristischen Konzeptes für Baunatal angehen will. Das ist schließlich viel besser als ein Lost Place im alten Sportbad.
- Sebastian Stüssel (CDU) vermisst noch die konsequente Chancennutzung. Die Potenzialfläche Großenritte Nord könnte jetzt für einen 18-Loch-Golfplatz und eine Ferienwohnanlage genutzt werden.
Die Bürgerinitiative dazu: „Die 18 Bahnen könnten geschickt auf den Grundstücken verkaufswilliger Eigentümer um landwirtschaftliche Flächen herumgeführt werden und die Ferienwohnanlage in der Vor- und Nachsaison mit Erntehelfern der Landwirte belegt werden. Denkbar wäre dafür ein Genossenschaftsmodell für Großenritter Bürger und Landwirte. Alles in Allem viel besser als eine Wohnsiedlung.
Neue Nutzung für die alte Stadthalle
In die jetzige Stadthalle kann der Ankermieter Action-Markt aus dem nunmehr verworfenen Bauna-Center einziehen. Sie bietet auch Platz für die eine oder andere Edelboutique.
- Udo Rodenberg (SPD) freut sich über die spontane Lösung, die alle zufriedenstellen könnte und auf das Kopfsteinpflaster auf dem Europaplatz.
- Dr. Rainer Oswald (FDP) fordert, die Umsetzung einem Investor zu übertragen. Die Stadt könne das nicht selbst.
- Franziska Bünsow (B90/GRÜNE) regt an, Leerfahrten von Frachtschiffen zu nutzen, die aufgrund der amerikanischen Zollpolitik gerade oft leer über die Weltmeere fahren.
- Edmund Borschel (B90/GRÜNE) forderte, bei einer Änderung des Bebauungsplanes Photovoltaik sowie Fassaden- und Dachbegrünung vorzuschreiben.
- Die Wählergemeinschaft GEMEINSAM FÜR BAUNATAL fordert vehement eine Bürgerbeteiligung und eine Verteilung der Gebäude auf alle Stadtteile.
Erster Stadtrat Daniel Jung (SPD), zuständig für die Bauplanungen in Baunatal, sieht Ansätze für ein echtes Versöhnungsprojekt. Solch eine Chance kommt so schnell nicht wieder. Jetzt gelte es, noch einen schönen Standort für das Riesenrad zu finden, das im Kaufpreis von einem Cent enthalten ist. Eine ganzjährige Einnahme könnte den städtischen Haushalt entlasten. (rs)
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6 Kommentare
April Scherz
Die Pläne liegen schon lange auf dem Tisch, jetzt ist es beschlossene Sache, da die kompletten Kosten vom Land Hessen übernommen werden, plant der Bürgermeister noch eine Multifunktions Sportarena für 25000 Fans auf dem Areal
der Rundsporthalle, auch diese Kosten sind durch das Land Hessen gedeckt.
Baunatal steht eine rosige Zukunft bevor.
Leider ein Aprilscherz. Fachwerkhäuser als Neubau währen genial. Nachhaltiger als ein Haus was 300 oder gar 500 Jahre hält geht ja nicht.
Endlich sind sich mal alle einig. Hurra
Großartig! Was für ein Start in den April!
Gelernt habe auch noch über Japan, Luftschlösser und Gudensberger im Exil. Köstlich die versteckten Spitzen!
April April?