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The Lamb Lies Down … © Foto: Rainer Sander
„The Lamb Lies Down On Piano And Paper“ in Bad Wildungen
BAD WILDUNGEN. Man muss darauf kommen. Man stolpert weder als Musiker noch als Maler über die Idee, ein musikalisch unfassbar komplexes Werk aus einer künstlerisch filigranen Komposition in maximal instrumentaler Vielfalt von Genesis einfach nur am Flügel auf ein Instrument reduziert zu spielen und dabei bunte Bilder zu malen und großflächig zu projizieren:
The Lamb Lies Down On Broadway … Freizeit-Pianist Steffen Waidelich und der Maler Frank Grabowski trauen sich das Meisterwerk, das 1974, also vor gut 50 Jahren auf Vinyl gepresst wurde, musikalisch und künstlerisch auf das Wesentliche zu reduzieren, zu transformieren, um „nur“ Musik und Bilder wortlos sprechen zu lassen. Scheinbar niemand unter den rund 200 Besucherinnen und Besuchern gestern Abend in der Bad Wildunger Wandelhalle kannte die Musik nicht im Original. Der Genesis-Fanklub Deutschland hat die Veranstaltung unterstützt und Bad Wildungens Kulturchef Gereon Schoplick den Mut gehabt, etwas wirklich Außergewöhnliches zu wagen.
Skurriles Abenteuer im Spiegel des Selbst
Außer der Tributeband „The Musical Box“ hat noch niemand von Genesis und Peter Gabriel eine Lizenz bekommen, Shows nachzuspielen. Aber genau das war gestern Nachmittag im Kurpark ganz weit weg. Die Musik pur mit vielen bunten Bildern, wie es Genesis in den Original-Shows mit Hunderten von Dias auch gemacht, aber eben nie live gepinselt hat. Frank Grabowski ist schnell, hat die wesentlichen Elemente vorgezeichnet und ganz so, als würden die Farben aus den Flügel-Tönen herausfließen, entstehen Bilder. Sie sind einmalig und einzigartig und kommen so kein zweites Mal.
Das Lamm liegt – es fehlt noch der passende Rahmen – seit gestern Abend in meinem Wohnzimmer und schaut mich suchend an. Im Genesis-Konzept-Album hat es auf dem Broadway gelegen und mit der eigentlichen Geschichte von Rael und John, zwei puerto-ricanischen Einwanderern, verwickelt in skurrile Abenteuer im Spiegel ihrer selbst und auf der Suche nach sich selbst scheinbar gar nichts zu tun. So ein bisschen sind die musikalischen Werke von Genesis (Schöpfung) wie Bilder von Dali. Der Versuch, sie zu verstehen, zu erklären, führt außer in verbale Sackgassen nirgendwohin.
Das Trauma und der Druck der Fans
Die Geschichte ist, wie sie ist. Das Album Lamb Lies Down lebt seit 1975, als Peter Gabriel, der diese Geschichte erdacht, fast alle Texte geschrieben, aber nur wenig Musik mitkomponiert hat, die Band verließ, mit einem enormen Druck und Trauma. Seit 50 Jahren gärt der Mythos, die Story könnte irgendwann verfilmt oder eben noch einmal live in der früheren Besetzung aufgeführt werden. Die ständig wiederholte Zeile im Titelsong lautet: „Wir müssen hinein, um rauszukommen“. Was so taoistisch klingt, ist Teil der Wahrheit – oder die Wahrheit … Die Musik kaum einer Band ist so in zwei Zeitalter unterteilt und lebt so lebendig in zwei Zeitzonen. Gestern ging‘s raus aus gewohnten Klang- und Lichtbildern, stattdessen mitten hinein in die Seele der Musik von Genesis aus der Gabriel-Ära. Und nur so kommt man da raus … Es ist ja auch nur das Trauma der Fans.
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Tatsächlich war das zweite Werk auf dem Programm sogar die größere Herausforderung. Die 21 Minuten Supper‘s Ready haben auch in der puren Klavier-Version nichts von der Dynamik, dem Abwechslungsreichtum, der Taktartwechsel, Tonartwechsel und Leitmotiv-Wechsel des Originals eingebüßt. Respekt! Das Werk – im Bewusstsein der permanent gleichzeitigen
Auf dem Weg ins „Neue Jerusalem“
Gegenwart von Gut und Böse, Hell und Dunkel, Real und Irreal – stolpert durch skurrile Bilder, in die nicht minder skurrile Apokalypse nach Johannes und als Höhepunkt der Offenbarung in die letzte Textzeile des musikalischen Abendmahls (Supper), die in das neue, friedliche Jerusalem weist. Revelation (Offenbarung) hieß die Band bei ihrer Gründung.
Der Weg ist real unendlich lang, nur metaphysisch gesehen kurz, aber auf der musikalischen Brücke scheinbar leicht zu gehen. Als Zugabe: Musical Box, einer der meistgespielten Genesis-Klassiker. (Rainer Sander)
1 Kommentar
Lieber Rainer Sander,
herzlichen Dank für den wohlwollenden Bericht, Steffen und ich haben uns sehr darüber gefreut.