Nächtliche Schritte mit Laternen ins „Dunkle Treysa“
SCHWALMSTADT. Mehr oder weniger war Treysa wohl eine ganz normale Stadt im Mittelalter und den Jahrzehnten nach der Reformation. Ein wenig war es in der „Guten alten Zeit“ genauso wie heute. Jedenfalls wurde die Stadt von Diebesbanden heimgesucht, die in Häuser einbrachen, Morde geschahen und Hexen wurden Prozesse gemacht.
All das erfährt man in den Führungen des Stadtgeschichtlichen Arbeitskreises, der alljährlich Führungen mit geschulten Stadtführern anbietet. Der Vorsitzende Bernd Raubert überließ gestern Florian Kristen die Rolle des Geschichtenerzählers. Was heißt Geschichten? Um wahre Begebenheiten geht es, wenn von der dunklen Seite Treysas gesprochen wird. Die Gerichtsprotokolle des Gerichts Treysa haben viele dieser düsteren Seiten konserviert.
Von Wahrsagerin „überführt“ und dann verurteilt
Vom Marktplatz geht es durch den Alten Kirchweg zur Stadtkirche. Von dort eröffnet sich der Blick über die Stadtmauer in die unteren Stadtbereiche. Auch auf der Gasse „Am Angel“. Man schrieb das Jahr 1609, als in der Hausnummer 14, dem heute noch größten Fachwerkhaus in der Straße der Tuchner Jost Schröder lebte. Der Schwiegersohn von Bürgermeister Heinrich Flemming musste zwei Einbrüche in seinem Haus erleben, bei denen erheblicher Schaden entstand. Der bediente sich einer Wahrsagerin, die mit dem Ausschlag einer Waage drei Täter „überführte“, die darauf 19 Monate im Gefängnis verbrachten. Zu Recht oder zu Unrecht?
Als ein Jahr später, also 1610 eine dreiköpfige Diebesbande geschnappt wurde, die in der Spitalsgasse, im heutigen unteren Abschnitt der Steingasse, in das Haus des wohlhabenden Kaufmannes und Pfandleihers Johannes Geisel eingedrungen war und Goldmünzen sowie andere Wertgegenstände gestohlen hatte, gestanden diese neben vielen weiteren Straftaten auch den Einbruch bei Jost Schröder. Verrat kam – wie so oft – aus dem Kreis der geschwätzigen Täter.
Hexenprozess nach zufälliger Aufklärung
Damit war klar, dass drei Unschuldige im Gefängnis saßen. Sie wurden freigelassen und die Wahrsagerin der Hexerei angeklagt. Also ein Hexenprozess über 50 Jahre nach der Reformation. Katharina Schrempf wurde 1610 im Hexenturm eingekerkert. Nur für wenige Tage musste sie im dunklen Loch verbringen.
Wer wollte, durfte einen Blick in den Hexenturm werfen, der alles andere als gemütlich eingerichtet war. Der in die Stadtmauer integrierte Turm hatte nur von oben einen Zugang. Delinquenten wurden heruntergelassen und mussten in der Dunkelheit zwischen ihren eigenen Exkrementen kauern und frieren.
Im Verlies vergessen …
Sterben musste hier niemand. Die hohe Gerichtsbarkeit, also die sogenannte Peinliche oder Halsgerichtsbarkeit, lag in Ziegenhain. Dort stand ein dreischläfriger Galgen auf dem Galgenberg mit Blick über die gesamte Schwalm. Das Privileg des letzten Blickes, wie Raubert und Kristen erklärten.
Die kleine Gerichtsbarkeit war bei der Stadt Treysa angesiedelt und in fast allen Türmen entlang der Stadtmauer gab es Verliese. Trotzdem kamen mitunter Menschen dort zu Tode. Einer war ein Schustergeselle, der in den Schalenturm hinter der Mauer im heutigen Mauerweg gesteckt wurde. Schultheiß Hieronymus Fischer hatte ihn dort vergessen. Der Pfarrer hat dies dokumentiert. Auch von einem ungeahndeten Mord 1627 im Haus Marktplatz 5 (Heute: Alte Wache) wird berichtet. Mitten im 30-Jährigen Krieg kam es wohl auf einen Toten mehr oder weniger nicht an.
Stadttore bis ins 19. Jahrhundert geschlossen
Und das waren nur einige der Straftaten, die in Treysa begangen wurden. Viele Diebesbanden, die mit langen Stangen in die Häuser eindrangen und von denen eine gar aus Gilserberg kam, machten die Stadt in den turbulenten Jahren und Jahrzehnten unsicher. Eine richtige Kriminalstatistik gab es damals nicht. Aber bis 1830 hielt man die Stadttore in Treysa noch geschlossen, um Gesinde und Verbrecher fernzuhalten …
Am 24. Mai geht es in der nächsten Stadtführung in einige der 200 Gewölbekeller unter der Altstadt von Treysa. Informationen findet auf den Seiten des Stadtgeschichtlichen Arbeitskreises oder über den Tourismusservice Rotkäppchenland. (Rainer Sander)