CHATTENLAND: Es ist wohl kein Zufall, dass auch wir Chatten zu dieser (Jahres-) Zeit gefeiert haben: Jul. Fest des Lichts, der Hoffnung, aber auch der Geschichten. Mir fällt – 2000 Jahre später in Eurer Zeit – auf, dass Menschen gestern wie heute nichts mehr lieben als gute Erzählungen, die zeigen, dass alles einen Sinn hat. In meiner Zeit spielten viele Götter diese Rollen. Ihr habt nur noch einen Gott, aber auch Eure Engel, Heiligen und sogar den Weihnachtsmann. Hand aufs Menschenherz: Der Kern ist derselbe. Oder?
Wir erzählen vielleicht immer noch die gleichen Storys? Wir verehrten Baldur als Gott des Lichts. Schön, strahlend und rein – seine Geschichte handelt von Tod und Wiedergeburt, vom Sieg des Lebens über die Dunkelheit. Klingt irgendwie bekannt. Oder? Abgesehen davon, dass sich Menschen pausenlos wünschen, auf der Sonnenseite des Lebens zu stehen, was nicht geht, weil immer nur Sonne die Wüste macht, trägt Euer Christus sehr ähnliche Botschaften weiter: Hoffnung, selbst wenn die Nacht am tiefsten scheint. Es ist unsere ewige Sehnsucht nach Licht, ob außen oder innen, die wir schon immer projizieren? Ok! Aber es gibt kein Licht ohne Dunkel. Wer immer diese Welt geschaffen hat, Euer Gott oder unsere Götter, wenn es nicht die dieselbe Gottheit war, hat vorgesehen, dass wir Licht nur im Kontrast mit Dunkelheit wahrnehmen können. Spannend ist aber, dass bei Licht die Dunkelheit verschwindet. Licht hingegen lässt sich nicht durch mehr Dunkelheit auslöschen …
Wenn ich Odin sehe, unseren weisen, oft rätselhafter Allvater, finde ich, dass er mit Eurem Gott ein paar Gemeinsamkeiten pflegt. Trinken beide ab und zu ein Met zusammen und lachen laut über menschliche Streitereien zum rechten Glauben? Beide sind Herrscher über Himmel und Erde, unendlich wissend und stark. Während Gott in stiller, allmächtiger Ferne ruht, reitet Odin selbst durch die Winterstürme, begleitet von zwei Raben, Hugin und Munin, die Wissen bringen. Ihr nennt es „Himmel“, wir nannten es „Asgard“. Beides sind Orte von Ordnung und Entscheidungen.
Der Erzengel Gabriel hat die Ankunft des Heilands verkündet. Ich muss unweigerlich an Heimdall denken. Der war Wächter der Regenbogenbrücke, unsere Verbindung zwischen Götterwelt und Menschenwelt. Ankunft, Wandel, Geburt Christi oder das Nahen von Götterschicksalen: Heilsbringer hatten stets eine große Chance, einerseits beliebt und andererseits umstritten zu sein. Licht und Dunkelheit …
Vor ein paar Wochen war Nikolaus als Vorbote unterwegs. Der Wohltäter hat als Bischof von Myra (bei Antalya) schon Arme beschenkt und erinnert mich unweigerlich an Freyr – Gott der Fruchtbarkeit und des Überflusses. Ihm opferten wir für reiche Ernten. Nikolaus bringt keine Felder zum Blühen, aber Kinderaugen zum Leuchten. Verschiedene Gaben aber ein Gedanke?
Ach, was wäre Weihnachten ohne Knecht Ruprecht, der die Unartigen zurechtweist? Wir hatten Thor oder Donar, den Donnerer. Nee, der ließ keine Ruten sprechen, doch vor seine Wut sollte man besser in Deckung gehen. Beide Figuren erinnern an die Regeln. Ich weiß, es macht Spaß, sie gelegentlich zu brechen. Euer Gott verzeiht das! Da fällt mir diese unsägliche Geschichte mit Bonifatius ein, der Donars Eiche bei Fritzlar umgehauen hat. Donar hat darüber nicht gezürnt. Vielleicht war er doch in der Lage zu schmunzeln und zu sagen, was stört es die Eiche …
Vielleicht liegt die wahre Botschaft von Weihnachten und Jul darin, dass Menschen – egal zu welcher Zeit sie gelebt haben, leben oder leben werden – Hoffnung, Licht und Gemeinschaft brauchen. Und vielleicht hilft es Euch heute bei Euren Problemen zu wissen, dass wir sehr ähnliche hatten und die Welt trotz pausenloser Apokalypsen nie untergegangen ist und Ihr heute so weit seid, dass Ihr in meine Zeit auf keinen Fall zurückkehren wolltet. Obwohl Ihr gerne behauptet, dass früher alles besser war … Welche Geschichten werden die Menschen wohl morgen erzählen und welche Götter werden Menschen dann eigentlich verehren? Die Götter des Internets? Hat jetzt gerade jemand Elon Musk gerufen …?
Auf ein strahlendes Weihnachten mit hellem Licht und Geschichten, die nicht enden!
Euer
Chatte