Vergängliche Kunst als Motor eines außergewöhnlichen, beeindruckenden und beispielgebenden Integrationsgipfels
NEUSTADT. Nach der allgemeinen Ernüchterung über die aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen im Zusammenhang mit den Ergebnissen, Begleitumständen und Reaktionen auf die Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen am 1. September bot das Neustädter Straßenmaler-Festival am vergangenen Wochenende ein Beispiel für eine mögliche Antwort auf eine zentrale Herausforderung unserer Zeit.
Ausgerechnet der am frühen Sonntagnachmittag einsetzende Regen brachte es an den Tag: Eben noch beklagt ob der Zerstörung der Kunstwerke von Groß und Klein, von Neuling und Profi, sorgte das Nass vom Himmel zur Siegerehrung auch für ein „volles Haus“ im Saal des Historischen Rathauses zu Neustadt. Das Organisationsteam war selbst überrascht, dass so viele Mitwirkende nach der Flucht vor dem Regen nochmals den Weg zum Veranstaltungsort auf sich nahmen, um der Preisverleihung beizuwohnen. So bot sich im ehrwürdigen Rathaussaal das Bild des einträchtigen Miteinanders. Das gemeinsame Kunstwerk von fast 100 Künstlerinnen und Künstlern hat vermocht, was die große Politik zum Verzweifeln bringt: Die unterschiedlichsten Religionen, die unterschiedlichsten Nationalitäten, Herkünfte wie alle Altersgruppen zusammenzubringen – in geduldiger Erwartung der Siegerehrung. Die Jüngsten waren zuerst an der Reihe. Alle teilnehmenden Kindergartenkinder wurden einzeln unter einträchtigem Applaus aufgerufen und erhielten Medaille, Urkunde und eine Überraschungstüte. Die Eltern und Familien durften höchste Anerkennung und Wertschätzung erleben. Eine gute Grundlage für das Leben in Gemeinschaft.
Man kann der Stadt Neustadt zu dem Ereignis nur gratulieren und für die finanzielle Unterstützung danken. Und so zeigte sich Bürgermeister Groll in seinem Redebeitrag ebenso dankbar über den immensen Einsatz des ehrenamtlich agierenden Organisationsteams unter der nimmer müden Leitung von Roswitha Trümpert und über die in allen Belangen gelungene Werbung für die Stadt als vielfältigen Lebensort.
„Vielfalt“ war bewusst als Thema für die 15. Auflage des Neustädter Straßenmaler-Festivals ausgegeben worden. Und es entstanden auf dem Asphalt der Marktstraße zahlreiche Kunstwerke mit Bekenntnissen für ein gewaltfreies, friedliches Zusammenleben. Und natürlich waren auch viele bunte, farbenfrohe Werke zu bewundern und ebenso Darstellungen lebendiger Natur.
Schon das künstlerische Schaffen auf der verkehrsbefreiten Hauptstraße der Stadt hatte integrative Kraft. Gemeinsames Malen in der Familie und unterschiedliche kulturelle Identitäten Seit an Seit. Vergängliche Kunst als Triebfeder.
Vergängliche Kunst aber auch als Motiv und Motivator. Die zehn teilnehmenden Profis in der Straßenmalkunst erwiesen sich – gut verteilt zwischen den Hobbyakteuren – entlang der Neustädter Kunstmeile wiederum als absolute Attraktionen und ebenso als Ansporn für junge Talente. Aus Staunen wird Nachahmen. So wurden in Neustadt schon einige Straßenmalkünstler „geboren“, wie etwa Nikolaj Arndt, der inzwischen weltweit mit seiner Kunst, vor allem mit dreidimensionalen Bildern verzaubert. Leider war der Regen für seine diesmal präsentierten Fische kein geeignetes Lebenselixier.
Der Fotoausstellung mit 60 ebenfalls vielfältigen Motiven und gestalterischen Inszenierungen von Alexander Schenk verschaffte der Regen zum Abschluss dagegen nochmal ein zahlreiches Publikum.
Es bleibt dem, in diesem Jahr spürbar von der Kultur-Initiative-Willingshausen (KIWI) verstärkten Organisationsteam zu wünschen, die Integrationsarbeit mit der hessenweit einzigartigen „Flüchtigen Kunstmeile“ fortsetzen zu können. Der anwesende Landtagsabgeordnete, Sebastian Sack, jedenfalls würdigte die Veranstaltung als wertvollen Beitrag für die Entwicklung einer zukunftsfähigen gesellschaftlichen Kultur. Dazu gehört auch die angemessene Anerkennung der Profikünstler, die in diesem Jahr erstmals mit individuellen Portraits präsentiert wurden. Nikolaj Arndt, Lena Bexte, Kimberly Hillebrecht, Jürgen Janssen, Stefan Janßen, Chris McCollough, Serena Montagnino, Angelika Richter und Marion Ruthardt freuten sich jedenfalls über die witterungsbeständigen Portraitdrucke und bekamen diese zur Erinnerung an eine überaus gelungene Veranstaltung wie zum Anreiz für das nächste Mal ausgehändigt. (wal)
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