Was ist gestern eigentlich passiert? Nichts, was wir nicht vorher schon wussten. Mich irritiert nicht das Wahlergebnis. Höchstens diese ständige Aufregung und Empörung um den Wahlausgang. Der ist fast exakt so ausgefallen wie vermutet! Überraschung? Was, um Himmels willen, ist daran schlimm, wenn Menschen wählen, was sie wollen? Schlimmer ist, dass alle Politiker – die von der AfD sind leider kein bisschen besser als die „Altparteien“ – immer genau wissen, was DIE Wähler wollen. Das war schon immer so, zuletzt bei der Europawahl.
Da haben wir aber Abgeordnete aus 15 verschiedenen Parteien nach Brüssel geschickt, die allesamt etwas anderes wollen und anderes versprechen für den Fall, dass sie die Chance bekommen, ihre Versprechen einzulösen. Was war noch mal DER Wählerwille? Ganz offensichtlich maximale Vielfalt. Oder? Und ich glaube, da geht noch weit mehr in den nächsten Jahren!
Ich kann mich an Zeiten erinnern, da wäre keine Partei auf 32,8 Prozent der Stimmen stolz gewesen. Heute ist man damit selbst erklärter Wahlsieger und formuliert Regierungsansprüche. Ach Du lieber Himmel! Das ist der Wählerwille? Der Wählerwille von 67,2 Prozent war das aber offensichtlich nicht. Der Wählerwille wäre höchstens, dass sich ein paar Zusammenraufen und über ihren Schatten springen. Es war – glaube ich – tatsächlich kein Geheimnis, dass mit der AfD gerade niemand spielen möchte, die AfD im Grunde auch lieber allein spielt und sie deshalb schon den ganzen Sandkasten gewinnen muss. Hat sie aber nicht.
Früher war das besser!
Die AfD wäre tatsächlich nicht die erste Partei, die mit 33 Prozent nicht regiert. Noch vor 40 Jahren konnte sogar passieren, dass man mit 45 Prozent nicht regiert. Das war übrigens in den Zeiten, in denen es uns angeblich besser ging als heute. Obwohl wir auch damals immer lautstark erklärt haben, dass nur noch früher alles besser gewesen ist. Der Blick zurück ist immer verklärt: Wenn wir Wähler wollten, dass eine Partei allein regiert, würden wir sie wählen! Ganz sicher!
Wenn 51 Prozent AfD gewählt hätten, müssten übrigens ebenfalls alle mit dem Ergebnis leben. Ich habe Demokratie immer so verstanden, dass man akzeptiert, was andere wollen. Sogar dann, wenn’s nicht ins eigene Weltbild passt. Nun fehlt da ein bisschen. Die fehlenden Stimmen hat sogar noch – mit 15,8 Prozent – das Bündnis Sahra Wagenknecht bekommen. Alles Protestwähler? In der Summe fast 48,6 Prozent? Ich habe immer noch die Hoffnung, dass die beiden zur neuen Großen Koalition zusammenfinden und endlich einmal beweisen können, was sie so draufhaben. Ich bin wie Bolle gespannt, was dann wirklich anders wird und ob es dann denen besser geht, die jetzt ganz offensichtlich unzufrieden und mächtig wütend sind?
Die Wut und der Wechsel sind treue Seelen
Apropos früher. Es ist übrigens keine 800 Jahre her, als Hessen noch von den Thüringer Landgrafen regiert wurden. Auch damals war das Volk immer schon wütend auf seine Herrscher. Das war auch später bei den Kaisern so und das bekamen auch die Politiker in der Weimarer Republik zu spüren. Nichts als Wut! Ok, dann kamen 1000 Jahre, in denen das keine nennenswerte Rolle gespielt hat, außer für die Größe der Arbeitslager. Aber dann waren die Thüringer wütend auf die Kommunisten. Gemeinsam im Osten haben sie die Wende erzwungen und zunächst die CDU gewählt, um anschließend – vor lauter Wut auf die Christdemokraten – wieder die „sanfteren“ Kommunisten zu wählen. Jetzt sind sie auf die Linken wütend und auf die Ampel und wählen mehrheitlich die AfD und die richtigen Kommunisten.
Ich glaube, AfD und BSW wollen gar nicht regieren. Sonst würden sie mögliche Koalitionspartner jetzt nicht noch mehr beschimpfen als im Wahlkampf. Es wird ihnen aus der Historie längst klar sein, dass die Thüringer nach kurzer Zeit auch wütend auf diese beiden Regierungsparteien wären. Das Leben würde schließlich nicht grundlegend anders werden. Die Opferrolle vom Wahlsieger, dessen Sieg von einem Komplott geraubt wird, hält die Illusion von einer besseren Welt noch eine ganze Weile aufrecht und sichert die vielen neuen Abgeordnetendiäten auch bei AfD und BSW. Vielleicht über mehrere Legislaturperioden? Das ist doch ein guter Grund nicht zu regieren. Oder?
Von wegen Nazis
Ich finde, das ist vor allem ein Grund mehr, es mit den beiden mal ernsthaft zu versuchen, damit der rosa Elefant endlich nicht mehr im Raum steht. Bleibt noch der Mythos von den Nazis in der AfD. Die Nazi-Definition gerät gerade mächtig ins Wanken. Also: Nazis vergasen Juden, sterilisieren Behinderte, verhaften Schwule, diffamieren Farbige, verbrennen Bücher, bauen Autobahnen und überfallen Russland.
Die AfD wird Russland aber nicht überfallen! Die Alternativen lassen sich höchstens überfallen! Und weil sie keine Waffen wollen – außer Sturmgewehre für Facebook & Co – wehren sie sich nicht einmal. Sie sind die geborenen Opfer! Nein, nein, das hätte es bei Adolf nicht gegeben, dieses dauernde Gejammer über schlechte Behandlung und Benachteiligung und dass der Russe ihnen dafür auch noch applaudiert! Das sind definitiv keine echten Nazis!
Politiker wachsen gar nicht auf Bäumen …
Ein paar von ihnen spielen die Nummer allerdings so gut, dass sich selbst die ultrarechten Partner in den anderen EU-Ländern plötzlich daran erinnern, dass ihre Staaten mit deutschen Nazis mal ganz schlechte Erfahrungen gemacht haben und sie – bei allem Verständnis für Nationalismus – das nicht noch einmal erleben wollen. Schon gar nicht mit schlechten Schauspielern.
Zugegeben, das alles macht es jetzt nicht einfach. Trotzdem bin ich für den Feldversuch in Thüringen und gebe die Hoffnung noch nicht auf. Ob es schief geht oder nicht, ist weitgehend risikolos. Das Ergebnis ist das Gleiche: Die Thüringer werden ihrer Wutbürger-Mentalität auch unter der nächsten Regierung treu bleiben! Ich freue ich mich darauf zu erfahren, was für eine Partei dann gegründet wird, um die nächste Landtagswahl im östlichen Nachbarland zu gewinnen. Und wenn es lediglich darum geht, zu vermeiden, dass alle wenigstens einmal so viel Hintern in der Hose hätten und anfingen, selbst für ihr Land zu sorgen. Politiker wachsen tatsächlich weder auf Bäumen, noch fallen sie vom Himmel. Wenn wir sie alle nicht mehr wollen, gibt es eben keine mehr. Kommen dann die Landgrafen von Thüringen zurück? Regieren die als nächstes auch wieder in Hessen, wenn wir genauso abstimmen?
Und wenn es wider Erwarten gut geht? Dann werden die Thüringer ganz sicher trotzdem wütend werden … Ich verlass‘ mich drauf!
Ihr
Rainer Sander