Zwölfjähriger aus Angola wegen Morbus Blount in Behandlung an Orthopädischer Klinik
HESSISCH LICHTENAU. Gleichmäßiges Piepen im Operationssaal weist auf einen ruhigen Herzschlag hin, die Knochensäge brummt schrill, als Chefarzt Tobias Radebold konzentriert den hell ausgeleuchteten Unterschenkelkochen des zwölfjährigen Fernando korrigiert.
Aufwändig ist diese sorgfältig geplante Operation an der Orthopädischen Klinik Hessisch Lichtenau. Dieser Eingriff ist nur einer von vieren für den Jungen, der dafür extra nach Deutschland gereist ist. Aber der Aufwand wird sich lohnen. Denn der zwölfjährige Fernando aus dem afrikanischen Angola wird bald nicht nur richtig gehen, sondern auch mit seinen Freunden sorgen- und schmerzfreier spielen und toben können.
Fernando lebt mit seinen Eltern und seinen neun Geschwistern in der angolanischen Hauptstadt Luanda in einfachen Verhältnissen. Seit seiner frühen Kindheit litt er an Morbus Blount. Das heißt: Durch ein gestörtes Wachstum haben seine Beine eine bogenförmige Deformierung mit einem Knick direkt unter den Knien bekommen. Vereinfacht gesagt, waren seine Beine zu extremen O-Beinen verkrümmt. Zusätzlich bestand eine massive Innendrehung an beiden Oberschenkelknochen. „Fernando konnte durch diese Krankheit ohne Gehhilfen noch nie in seinem Leben richtig laufen“, sagt Tobias Radebold, Chefarzt für Hand- und Unfallchirurgie an der Orthopädischen Klinik in Hessisch Lichtenau.
In hochkomplexen und mehrstündigen Operationen hat Tobias Radebold die Ober- und Unterschenkelknochen, die Verformungen von bis zu 60 Grad aufwiesen, und die Kniebänder korrigiert. Unter anderem musste er dafür Knochenkeile heraussägen und so Fernandos Beine nach und nach in die richtige, grade Position rücken. In Angola gab es dagegen keine Aussichten auf eine erfolgreiche Behandlung von Fernandos Krankheit, einen Eingriff im Ausland konnte sich seine Familie finanziell nicht leisten. Insgesamt war der Zwölfjährige etwa acht Wochen in Hessisch Lichtenau in stationärer Behandlung. Die Kosten für die Operationen trägt dabei die Orthopädische Klinik selbst.
Kooperation mit dem Friedensdorf International
Fernando wurde über die Hilfsorganisation Friedensdorf International nach Deutschland gebracht und an die Orthopädische Klinik Hessisch Lichtenau vermittelt. Die Hilfsorganisation mit Hauptsitz in Dinslaken bei Düsseldorf kooperiert mit Kliniken in ganz Deutschland, um Kindern aus Kriegs- und Krisengebieten eine Perspektive zu geben. Die Kinder stammen aus Gebieten, in denen es oft an grundlegenden Materialien und medizinischen Kenntnissen mangelt, wie Afrika, Kambodscha, Afghanistan, Irak und Zentralasien.
Die Orthopädische Klinik Hessisch Lichtenau gGmbH kooperiert seit vielen Jahren mit dem Friedensdorf International und behandelt Kinder wie Fernando im Rahmen ihrer Mildtätigkeit kostenfrei. Durch die Corona- Pandemie war es in 2020 und 2021 leider nicht in dem gewohnten Umfang möglich, Kinder wie Fernando zu behandeln.
In Sprechstunden vor Ort werden die Kinder ausgewählt, die mitfliegen können. Meist kommen Eltern mit ihren Kindern auf die Hilfsorganisation zu, manchmal werden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf Kinder, denen in ihrem Land nicht geholfen werden kann, in Kliniken vor Ort aufmerksam. Voraussetzung für den Flug nach Deutschland ist jedoch, dass sich auch ein Klinikplatz zur kostenlosen Behandlung findet. Fernando wartete seit 2018 darauf, bis er an die Orthopädische Klinik Hessisch Lichtenau kam. „Durch die Komplexität des Eingriffs war es eine längere Wartezeit, bis eine passende Klinik gefunden wurde, die auch noch bereit war, die Kosten zu tragen“, sagt Raissa Neumann, Koordination für Einzelfallhilfe beim Friedensdorf.
„Bedauerlicherweise stehen überwiegend weniger Behandlungsplätze zur Verfügung, als es Kinder gibt, die Hilfe brauchen“, sagt sie. Dennoch können jedes Jahr etwa 1500 verletzte oder kranke Kinder geholfen werden – sowohl über die Einzelfallhilfe in Deutschland, als auch über Behandlungen direkt in den Projektländern. So wie Fernando. Nach seiner erfolgreichen Behandlung an der Orthopädischen Klinik Hessisch Lichtenau ging es für ihn zurück zum Friedensdorf nach Oberhausen. Dort findet die Rehabilitation statt, er lernt das Laufen neu und ohne Angst zu spielen. Sobald er wieder fit ist, wird er zurück nach Angola zu seiner Großfamilie gebracht: Mit der Chance auf eine bessere und gesündere Zukunft – auch als Erwachsener. (pm)