Gewerbegebiet „Sandershäuser Berg“ – Baunatal dabei
BAUNATAL. Die Gewerbegebiete werden knapp im Landkreis Kassel. Viele Kommunen können keine neuen Gewerbeflächen mehr ausweisen. Im Gebiet des Zweckverbandes Raum Kassel (ZRK) können Flächen über fünf Hektar nur noch interkommunal umgesetzt werden. Im Niestetaler Ortsteil Sandershausen stehen rund 97 Hektar mögliche Gewerbeflächen zur Verfügung.
Hier soll sich an ein bereits bestehendes gemeindliches Gewerbegebiet eine interkommunale gewerbliche Entwicklung anschließen. Aufgrund der Vorplanungen sollen rund 22 Hektar in einem ersten Schritt interkommunal entwickelt werden. Die Kommunen im Zweckverband, also auch Baunatal, sind frei in ihrer Entscheidung, sich daran zu beteiligen.
Kann ein Gehirn zwei Meinungen haben?
Am Montag stand die Baunataler Beteiligung auf der Tagesordnung der Stadtverordnetenversammlung und sorgte für eine mehr als lebendige Diskussion über Zukunftsvorhersagen, richtige oder falsche, vor allem aber folgenschwer Zitate, die sich mit zunehmendem Verlauf zu einem Kampf um die gegenseitige Wahrung der Gürtellinie entwickelte.
Ob alle Stadtverordneten ein Gehirn haben und es auch einsetzen dürfen, wurde zu einer zentralen Frage. Wie uneinheitlich die GRÜNEN in Kreis und Stadt abstimmen, war eine andere Frage, die erst mit der Abstimmung geklärt wurde. Zuhörer auf der Suche nach Gründen, warum sich Menschen zunehmend weniger für Politik interessieren, könnten einige interessante Aspekte entdeckt haben.
Strube und Oswald sehen positive Zukunft und Einnahmequellen
- Christian Strube (SPD) schaut nach der Krise einmal positiv in die Zukunft. Baunatal habe nur wenige Gewerbeflächen. Einige davon sind für den größten Steuerzahler optioniert. Aus dem Güterverkehrszentrum (das erste große interkommunale Gewerbegebiet) fließe jetzt endlich Geld. Gewerbegebiete ab 5 Hektar Größe sind nur noch interkommunal möglich. Wenn’s Brei regnet, müsse man den Löffel in der Hand halten.
- Dr. Rainer Oswald (FDP) erinnert sich, dass Baunatal die Diversifikation der Gewerbelandschaft oft diskutiert habe. Er möchte die eigenen Flächen nicht alle aus der Hand geben. Langfristig entstehe eine sichere Einnahmequelle.
Widerspruch – Teil 1: Richter weiß, dass VW keine Flächen mehr braucht
- Das sah Henry Richter (B90/GRÜNE) völlig anders. Entscheidungen sollten zum Wohl der eigenen Bevölkerung getroffen werden. In der Vorlage vermisst er die wichtigsten Grundlagen für die Wirtschaftlichkeit. 312.000 Euro soll Baunatal zahlen. Es ist für ihn nicht erkennbar, welche Gewerbe sich ansiedeln werden. Es sei wichtiger denn je, Vorteile und Risiken auszuloten. Erschließungskosten in unbekannter Höhe kämen hinzu. Ohne Wirtschaftlichkeitsberechnung könnten die GRÜNEN nicht zustimmen. Auch das Niestetaler Parlament habe nicht einstimmig beschlossen. Auch dort hätten die GRÜNEN dagegen gestimmt. Reichen die Gewerbesteuer-Einnahmen bei 50 Prozent für Niestetal und 50 Prozent für alle anderen Kommunen, um die Kosten zu decken, so seine Frage. Der Naturschutzbeirat im Landkreis wolle Reduzierung des Flächenverbrauchs und mehr Flächen im Innenbereich für Wohnungen und Gewerbe.
- Dann holte Henry Richter weit aus: Baunatal habe Flächen, die für Volkswagen zurückgehalten werden. VW brauche diese Flächen nicht mehr, das habe ihm das Werksmanagement gesagt. Diese Aussagen lösten heftige Irritationen im Parlament aus. Bürgermeisterin Manuela Strube wollte wissen, wer im VW-Werk ihm das gesagt habe. Henry Richter konnte nur sagen: das Werksmanagement.
Widerspruch – Teil 2: VW erklärt, über Flächenbedarf sei nichts entschieden
Weil das Werksmanagement ein recht unklarer Begriff ist, hat nh24 im VW-Werk nachgefragt. Von dort erhielten wir die Antwort: „Die internen Prüfungen zur Nutzung dieser Flächen sind noch nicht abgeschlossen. Es ist daher noch keine Entscheidung getroffen worden. Demnach müsste Herr Richter mehr wissen als die Führungsgremien von Volkswagen.
- Christian Strube (SPD) blickte zurück: „Wenn wir so beim GVZ diskutiert hätten, dann würde heute kein Geld fließen.“ Brauchen Kühe einen Gleisanschluss? So hatte eine Zeitung damals getitelt. Heute sei das GVZ der größte Gewerbepark zwischen Frankfurt und Hannover. Baunatal habe nur noch wenige Flächen im Besitz, unter anderem in Hertingshausen. Wer jetzt schon sagen könne, wie sich das Gewerbe verändert, „kann auch die Lottozahlen vorhersagen“.
- Henry Richter (B90/GRÜNE) erinnerte an die schwierige Haushaltslage. Es müsste eine Machbarkeitsstudie geben.
- Frank Böttcher (SPD) hingegen erinnerte als Vorsitzender des Haupt- und Finanzausschusses daran, dass Fragen im Ausschuss beantwortet wurden. Auch die Zahlen wurden diskutiert. Plötzlich komme ein solcher Beitrag von den GRÜNEN.
CDU: Stüssel sieht Gegenwert durch Bodenbesitz – Mock „faszinieren“ Widersprüche
- Sebastian Stüssel (CDU) erkennt eine gespaltene Zunge. Sie ziehe sich durch den Abend. Im Ausschuss wurde tiefgründig diskutiert, „da hatten wir gesamte Zustimmung.“ Auf Kreisebene haben die GRÜNEN zugestimmt. Es gehe nicht um eine Aktienbeteiligung. Die Beteiligung an einem Gewerbezentrum kann man nicht haushalterisch betrachten. Es gehe darum, die Vor- und Nachteile gemeinsam zu tragen: „Mit den Belastungen sind wir sowieso gestraft, können aber von den Vorteilen profitieren!“ Die Investition sei marginal klein und der Gegenwert ist durch den Mitbesitz am Boden ohnehin vorhanden.
- Andreas Mock (CDU) ist fasziniert von dem, was geboten wird. In den Gremien im Kreis und in der Stadt Baunatal gebe es kein einheitliches Verhalten der GRÜNEN. Im Kreistag hätten GRÜNE genau zu diesem Punkt zugestimmt, im Zweckverband uneinheitlich abgestimmt und jetzt komme eine völlig andere GRÜNE Theorie. Er sei gespannt, wie sich die GRÜNEN in Baunatal verhalten, die im Kreis mit „Ja“ gestimmt haben. Es gehe um eine Fläche ohne Wald an einer viel befahrenen Autobahn. Im Hinblick auf Verkehrsbelastung gäbe es keinen besseren Standort. Im Übrigen werde ein Gewerbegebiet erweitert, in dem ein Solartechnik-Unternehmen seine Chance gefunden hat.
(Nur) GRÜNE dürfen ihr Gehirn benutzen (?)
- Damaris Müller (B90/GRÜNE) stellte dazu fest, die GRÜNEN-Fraktion in Baunatal habe sich entscheiden, dass die Nachteile überwiegen. Dass die GRÜNEN unterschiedlich abstimmen, liegt daran, dass alle ein Gehirn haben, dass sie auch benutzen dürfen.
- Stadtverordnetenvorsteher Reiner Heine (SPD) reagierte umgehend und wollte sich verbitten, dass kolportiert wird, alle anderen Stadtverordneten hätten kein Gehirn.
- Sebastian Stüssel (CDU) formuliert klar: „Wir müssen hier nicht das Gewerbegebiet Sandershäuser Berg beschließen. Alles, was Sie wissen wollen, ist beschrieben.“ Auch wenn er nicht so viel Gehirn habe, könne er das erkennen. Er formuliert die Bitte, tolerant zu sein und anderen nicht den Verstand absprechen.
- Dr. Reiner Oswald (FDP) sieht sich heute bei jedem Redebeitrag verblüfft. „Wir müssen unsere Einnahmesituation verbessern. Wir können nicht mit der Sammelbüchse rumlaufen. Die A7 ist die meistbefahrene Straße Deutschlands.“ Die Beteiligung sei ein kalkulierbares Risiko. Niemand wird seriös erklären können, was sich dort ansiedelt. Zu den Widersprüchen stellte er fest, die GRÜNEN seien schließlich auch für Windräder im Reinhardswald.
Edmund Borschel (GRÜNE): „Ja“ aufgrund der Fakten, Demokratieverständnis steht infrage
- Kreistagsmitglied Edmund Borschel (B90/GRÜNE) erklärt am Ende der Diskussion, dass er dafür stimmen will, weil er im Kreis auch dafür gestimmt habe. Sein Urteil basiere auf den Fakten. Er möchte das Beste geben und nicht als Wendehals gelten. Trotzdem sei richtig, was Kollege Richter gesagt habe. Es ist eine Hypothek auf die Zukunft. Er findet die Interkommunalen Gewerbegebiete gut und Herr Stüssel solle andere Meinungen nicht kritisieren, sondern gelten lassen. Es gehe um parlamentarischen Diskurs: „Es scheint hier eine panische Angst zu geben, dass nicht einheitlich abgestimmt wird. Demokratie wird in diesem Hause falsch verstanden“.
- Andreas Mock (CDU) dazu: Jede Replik ist jetzt stark demokratiefeindlich? Die GRÜNEN würden eine Weltklasse-Strategie fahren: Wird es ein Erfolg, waren ja einige GRÜNE dafür, wird es ein Misserfolg, waren die Grünen mehrheitlich dagegen.
Bei der Abstimmung stimmte lediglich die Mehrheit der GRÜNEN dagegen, Edmund Borschel stimmte mit 31 anderen dafür, womit die Beteiligung am interkommunalen Gewerbegebiet „Sandershäuser Berg“ dank 32 Ja-Stimmen beschlossen ist. (Rainer Sander)
Mehr aus der Baunataler Stadtverordnetenversammlung hier:
1 Kommentar
In Schwalmstadt gibts viel platz am A49 zum Gewerbegebiet bauen
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