28. bis 31. Juli: Donnerstag startet Europas größtes Hippie-Festival
BREITENBACH AM HERZBERG. Herzberg? Breitenbach? Festival? Da war doch was? Ich weiß gar nicht, wie viele Menschen (mir) schon gesagt haben, „da muss ich unbedingt einmal hin!“ Tatsächlich fällt es kaum jemanden in der Schwalm und um die Schwalm herum schwer zu erklären, was sich hinter dem Mythos verbirgt. Für alle, die’s bisher dennoch verpasst haben: Morgen in einer Woche gehts los.
Zweimal musste selbstverständlich auch das Herzberg-Festival ausfallen. Corona hat alle Bereiche der Kultur gleichgeschaltet. Die Veranstalter sind derzeit bemüht zu erklären, dass noch nicht alles so läuft wie vor Corona. Die Kosten explodieren nicht nur an der Tankstelle, sondern überall und verlangen auch von Kulturschaffenden und Konzertveranstaltern, die eine oder andere Kröte zu schlucken. Davon mehr am Ende des Artikels. Das ändert nichts an der Legende rund um das Festival.
„Schwälmer Festival“ von den Petards gegründet
O. k., wir wissen, dass ihr wisst: Das Festival wurde ein Jahr vor Woodstock, am 7. Juli 1968 als Band-Wettbewerb von den Petards ins Leben gerufen, fand zunächst inmitten der mächtigen Burgmauern statt, hat jedes Jahr mehr Menschen angelockt, musste schon einmal ein paar Jahre Pause machen und ist später auf die Wiese vor Burg Herzberg umgezogen, wo es alljährlich sein Dasein als größtes Hippie-Festival Europas feiert – was immer das bedeuten mag. Und eigentlich ist es ein Schwälmer Festival, denn 1968 gehörte Breitenbach noch zum Kreis Ziegenhain.
Es ist so unendlich schwer, zu erklären, was ein Hippie eigentlich ist. In den späten Sechziger und den Siebzigerjahren hat man Hippies (vermeintlich) immerhin noch sofort erkannt. Die sahen eben so aus wie John Lennon oder Janis Joplin. Also mehr oder weniger jedenfalls. Und nein, wir diskutieren heute nicht, ob John Lennon ein Hippie war. 😉 Heute stehen viele von ihnen an der Drehbank, am Bankschalter, fahren eine Straßenbahn oder backen kleine und große Brötchen. Wenigstens einmal im Jahr kommt die Schlaghose zum Einsatz, wird ein Tuch ums Haar gebunden und die Kette mit dem Peace-Zeichen umgehängt. Jimi Hendrix lässt grüßen und dann darf die Seele das tun, wonach sie sich – jetzt drei Jahre lang – gesehnt hat. Viele leben auch heute so wie die Hippies vor 50 Jahren und es ist auch völlig egal, was jemand an 361 Tagen im Jahr sonst so macht. An vier Tagen ist für viele die Welt einfach anders. Wer‘s schon ausprobiert hat, weiß: Es ist tatsächlich so!
Der Gedanke und so etwas wie eine gemeinsame Lebenseinstellung vereinen für vier Tage im Jahr am Fuße der mächtigen Burg „derer von Dörnberg“. Wer mit den Burgherren spricht, weiß, dass er das bunte Treiben zu schätzen weiß, sonst wäre es so auch gar nicht möglich. Lange Rede, kurzer Sinn:
Morgen in einer Woche gehts los!
Vom 28. bis 31. Juli findet auf dem Forsthof Huhnstadt im Schatten von Burg Herzberg das Herzberg-Festival 2022 statt. Das Festival wird die Welt nicht ändern, den Krieg nicht beenden, das Klima nicht zurückverwandeln und die Inflation nicht bremsen. Aber wenn sich 10.000 oder 15.000 Menschen treffen, die im Internet keine Hass-Kommentare schreiben, sich eine friedlichere Welt vorstellen, ein wenig davon im Privaten umsetzen, genau das vier Tage lang ausleben, dann ist ein kleiner Anfang getan. Ein Anfang, der allerdings jedes Jahr wieder neu gemacht wird …
Das Festival ist selbstverständlich mehr als nur Musik, nämlich zugleich Lebensgefühl, Marktplatz und Tempel unterschiedlicher Weltanschauungen oder Glaubensrichtungen. Aber auch ein Ort der Kultur und ihrer leisen oder lauten Klänge. Dafür sorgen zum Beispiel New Model Army als Headliner , Bukahara, Faber, Efterklang, King, Kadavar, Jamaram Meets Jahcoustix, Wallis Bird, King Khan & The Shrines, Groundation, Siena Root, Roasalie Cunningham, Chico Trujillo, Moonlight, Benjamin, The Dorf, Orange, Spidergawd, Lazuli, Guru Guru, Monsieur Doumani, Djazia Satour oder Yvonne Mwale auf der Hauptbühne. Wer mehr wissen will, schaut einfach auf der Festival–Internetseite.
Für das Devon-Allman-Projekt kommen die Blues Pills
Die letzte Meldung aus dem Festival-Büro ist, dass das Devon-Allman-Projekt, so etwas wie die Enkel der Allman Brothers, absagen mussten, weil die Situation gerade so ist, wie sie ist und es (vor allem wirtschaftlich) keinen Sinn macht, für ein Konzert um die halbe Erde zu reisen. Schade, aber dafür kommen die Blues Pills. Wer könnte mehr Verständnis dafür haben, dass man nichts ändern kann, was ist, wie es ist, als die Hippie-Community? So sollte es sein. Love & Peace. (Rainer Sander)
Der nh24-Artikel von 2019.