Benefiz für die Ukraine auf dem Ziegenhainer Paradeplatz
SCHWALMSTADT. Sie kommen aus Kiew, Charkiw, Lwiw oder Mariupol. Sie haben nichts mitgebracht, außer was sie tragen können, gute Erinnerungen und traumatische Erfahrungen. Sie sind Sirenen in U-Bahn-Schächte gefolgt, haben Explosionen gehört, Tote auf Straßen liegen sehen und ihre zerstörte Wohnung verlassen. Hunderttausende sind unterwegs und die Ersten in der Schwalm angekommen.
Meist sind es Frauen und Kinder, die nicht nur ihr Zuhause aufgegeben haben, sondern auch weder wissen, ob es ein Zurück gibt, noch ob sie ihren Mann oder Papa wiedersehen werden. Für sie und die, die noch kommen werden, standen gestern 36 Musikerinnen und Musiker, Sängerinnen und Sänger, Tänzerinnen und Tänzer sowie ein Pfarrer auf der neuen mobilen Bühne von Mit-Organisator Dennis Krause (SchwalmEvents), der diese – inklusive Technik – genauso kostenlos zur Verfügung gestellt hat, wie die Künstlerinnen und Künstler ihr Repertoire und die vielen Helfer rund um die Veranstaltung, ihre Arbeitskraft.
Annähernd 1000 Besucher
Der zweite „Macher“ des Benefiz-Konzertes, Gerhard Reidt, bat die Gäste um Verständnis, dass Catering nicht mehr zu organisieren war. Die einzige Gaststätte direkt am Platz, das La Copa, wollte nicht von der guten Sache profitieren und spendet ebenfalls den Erlös.
Der Eintritt war frei und bis zu 500 Besucher gleichzeitig hatten geimpft, genesen oder getestet den Weg zum Paradeplatz gefunden, unter ihnen alle drei Bürgermeisterkandidaten der Stadt. Viele Besucher verweilten kurz, manche länger, nicht wenige blieben die gesamten fünf Stunden vor der Bühne. Nach Angaben der Organisatoren könnten es insgesamt fast 1000 gewesen sein.
Hilfe zwischen Mitleid und Lust auf Bühne
Die Freude darüber, nach – oder trotz – Corona wieder auf der Bühne zu stehen, traf gestern Nachmittag zusammen mit dem Anspruch, etwas Sinnvolles zu tun. Während zur gleichen Zeit in Berlin am Brandenburger Tor Peter Maffay, Boss Hoss, Rae Garvey, Natalia Klitschko, Marius Müller-Westernhagen, Silbermond, Mark Forster, Sarah Connor und andere auftraten, spielten in Ziegenhain Die Handwerkers, Michael Rohstock, Danny Ziegert, Michaela Deußen, Christian Bergmann & die Nordhessen 3, Phil Schaller sowie Four In Hand, außerdem tanzten die Redman-Boot-Spurs, die Schwälmer Volkstanzgruppe Röllshausen und die Showtanzgruppe Piccolas.
Zum Auftakt spielten „Die Handwerkers“, eine Band um Jan Heidenreich. Die Tanz- und Trachtengruppe Röllshausen war mit ihren Kindern unter der Leitung von Cornelia Lang dabei. Zu sehen gab es Schwälmer Tänze und auch den Volkstanz-Klassiker Sternenpolka. Michael Rohstock spielte mit Liedern wie Imagine von John Lennon oder Dreamer von Ozzy Osbourne zwei der gerade oft gesungen Lieder zum dauernd präsenten Thema des Nachmittags, die außerdem zum Mitsingen anregten. Die Line-Dancer aus Rodemann brachten das Publikum „auf Linie“ und Danny Ziegert steuerte die Klassiker Blowing In The Wind (Bob Dylan), Where Have All The Flowers Gone (Pete Seeger) und Hallelujah (Leonard Cohen) bei.
Abwechslungsreiches zwischen Dudelsack und Country-Gitarre
Während der Umbaupause auf der Bühne marschierte Michaela Deußen mit dem Dudelsack mitten durch das Publikum und sorgte – vor allem mit Amazing Grace – für ein wenig Gänsehaut. Christian Bergmann und seine drei musikalischen Begleiter aus Nordhessen können vor allem eins: Johnny Cash. Der hat gerne im Knast gespielt, Christian Bergmann jetzt wenigstens vor dem Ziegenhainer Gefängnistor. Walk The Line und Ring Of Fire können auch Menschen mitsingen, die das große Vorbild Johnny Cash nie erlebt haben.
Die Piccola Showtanzgruppe war vor allem energetisch präsent. Phil Schaller hatte nach seinem Voice-Kids-Erfolg wenig Gelegenheiten, sich und sein Können zu zeigen. Bei Udo Lindenbergs zurzeit meistgespielten Titel „Wozu sind Kriege da“ zeigte er, dass er nicht nur singen, sondern auch Klavier spielen kann. Mit Anspruchsvollen Liedern wie „Dein ist mein ganzes Herz“, setzten Four In Hand den Schlusspunkt.
6000 Euro Spenden für unmittelbare Hilfe
Inzwischen waren die Spenden ausgezählt und einschließlich der Spende der Stadt Schwalmstadt in Höhe von 200 Euro brachten die zahlreichen Besucher 5925 Euro zusammen. Bürgermeister Stefan Pinhard fand die ungerade Zahl unpassend und rundete für den Magistrat spontan auf glatte 6000 Euro auf. Diese Summe konnte sofort an den ehrenamtlichen Kreisbeigeordneten Helmut Balamagi übergeben werden, der Landrat Winfried Becker und den erkrankten Ersten Kreisbeigeordneten Jürgen Kaufmann vertrat und in seiner kurzen Dankesrede daran erinnerte, dass man Kriege nicht gewinnen kann, sondern dass es immer nur Verlierer gibt.
Die, die bereits alles verloren haben, bekommen aus den Spendengeldern direkte Zuwendungen, die dabei helfen, den Neuanfang zu gestalten. Die Gottesdienstbesucher in der Festungskirche mussten auf Pfarrer Ingo Fulda einen Moment warten, denn zum Abschluss der Veranstaltung sprach er den irischen Reisesegen „Der Herr sei vor dir“. (Rainer Sander)